A MusicManiac's Top 500 Songs

Nach fast acht Jahren als MusicManiac und noch ein paar mehr der Beschäftigung mit Musik wird es Zeit für einen unzureichenden Versuch eines musikalischen Fazits. Natürlich kommt es, typisch für diesen MusicManiac, in ausufernder Listenform und kürt die verwegene Zahl der 500 als beste befundenen, liebgewonnensten und geschätztesten Songs.
Das eher irrsinnige Ausmaß der Liste, die stilistische Bandbreite der Songs darin und die Wankelmütigkeit im Urteil sorgen dafür, dass auch alle Sorgfalt bei der Erstellung nichts daran ändert, dass sie weder vollständig, noch für mich als Ersteller ultimativ zufriedenstellend oder richtig wirkt. Um den Titel der Liste und ihre Aussagekraft noch weiter zu untergraben, sei auch gleich angemerkt, dass sich unter viele, viele wirkliche Songs auch einige klassische Kompositionen und Soundtrackstücke mischen und ihren wohlverdienten Platz bekommen.

 

Deswegen sei gesagt, dass man diese Liste schon ein bisschen, aber tunlichst nicht zu ernst nehmen darf, sondern man viel eher ein bisschen stöbern, die Musik genießen, Spaß haben, überrascht sein, sich wundern sollte. Für Aufregung, Fragen zu meinem Geisteszustand, Beschwerden über die einen Songs und Jubelstürme wegen anderer ist aber natürlich trotzdem immer in den Kommentaren Platz.

Also dann, rein in den finalen, alles entscheidenden Part der unendlichen Liste!

 


25.

 

Sister Ray

 

The Velvet Underground

 

White Light/White Heat
1968

Eine einzigartige Erfahrung wie kaum sonst etwas in der Musikwelt ist es, Lou Reed, John Cale, Sterling Morrison und Moe Tucker dabei zu erleben, wie sie alle musikalischen Konventionen zerstören und über 17 Minuten ein lärmendes, bizarres, latent formarmes Noise-Rock-Ungetüm kreieren. Weil sowas in dieser Form, mit all der für die Ohren mitunter kaum tragbaren Distortion, Reeds wirren, unzusammenhängenden Zeilen und dieser unablässig dahinrauschenden Soundwand, eigentlich gar nicht konzipiert werden kann, ist es auch in einem einzigen Take entstanden, dessen Ergebnis so befremdlich war, dass der für die Aufnahme zuständige Toningenieur Gary Kellgren einfach den Raum verlassen hat, um sich dem nicht die volle Länge über aussetzen zu müssen. Wenn das nicht als Beweis dafür ausreicht, dass es sich hier um eine absolute Form der Antimusik handelt, dann weiß ich auch nicht. Und so wenig man bei all dem von Schönheit sprechen kann, so sehr ist es ein unvergessliches Schauspiel, dieses nicht enden wollende Geschrammel, dieses Duell zwischen Reeds und Morrisons Riffs hier, Cales unrhythmischen Einlagen am Vox Continental Organ da.

24.

 

Crosstown Traffic

 

The Jimi Hendrix Experience

 

Electric Ladyland
1968

Jimi Hendrix, meine Damen und Herren. Was gibt's mehr zu sagen an diesem Punkt? Crosstown Traffic ist die Vollendung einer Rock-Mission, der sich der Gitarrengott vielleicht gar nicht bewusst gewidmet hat. Wohl eher nicht, weil es sein virtuosester oder stimmungsvollster Auftritt war, aber weil die Einzelteile seiner Experience auf dem finalen gemeinsamen Album endgültig alle nahtlos ineinander gegriffen haben und dabei dann im richtigen Moment auch etwas entstehen konnte, das tiefste popmusikalische Spuren hinterlässt. Dieser Song tut das, macht so nebenbei aber auch noch unfassbar viel Spaß, ist textlich wie klanglich mit feinem Humor gesegnet, pointierten Zeilen und dem Hendrix' unschlagbarer Performance an Kamm und Taschentuch sei Dank.

23.

 

Cynthia

 

Soap&Skin

 

Lovetune For Vacuum
2009

Das Debüt von Soap&Skin hat die Qualität, einen in völliger Schwärze einzuhüllen und einen dort nicht mehr herauszulassen. Und diese Finsternis hat in den Händen von Anja Plaschg etwas zutiefst Durchdringendes an sich, klingt dabei allerdings bei aller depressiven Ausstrahlung zumeist beinahe romantisch. Cynthia ist da nicht anders, sondern sogar das Paradebeispiel dessen, erlebt man doch in diesen drei Minuten sich stetig weiter ausbreitende, erdrückende Schwere, aber auch eine exzellente Klaviermelodie, die mit jedem Tastenanschlag aufs Neue auf elegante Art zerbrechlich klingt.

22.

 

Tomorrow Never Knows

 

The Beatles

 

Revolver
1966

Die richtungsweisenden und für ihre Zeit außergewöhnlichen klanglichen Experimente, denen sich die Beatles in ihren späteren Jahren mitunter hingegeben haben, haben nicht selten ein beeindruckendes Endprodukt ergeben. Nie allerdings in so nachhaltiger Form wie mit dem abschließenden Track von Revolver, Tomorrow Never Knows. Fernab aller gängigen Songstrukturen und Aufnahmetechniken ist es eine unbeschreibliche Collage, zu der sich Lennon Inspiration aus Indien und dem Buddhismus geholt hat. Die Komposition sollte sodann auch eine buddhistische Zeremonie imitieren, was inmitten aller klanglichen Manipulation abseits des Textes so überhaupt nicht mehr zum Vorschein kommt. Das ist aber herzlich egal, versinkt man doch in diesem hyperpsychedelischen Amalgam aus diversen geloopten Soundschnipseln, deren Ursprung bis heute strittig ist und die hemmungslos in ihrer Geschwindigkeit und Tonhöhe modifiziert wurden, den vor- und rückwärts abgespielten Riffs und Percussionteilen und Lennons über den Leslie Speaker aufgenommenem Gesang, der sphärisch durch die rastlose, surreale Szenerie schwebt.

21.

 

Isolation

 

Joy Division

 

Closer
1980

Zwar hat Isolation mit seiner Synth-Hook beinahe schon poppige Qualitäten, diese werden durch den ungemütlich hohen, schrillen Klang der Keyboard-Töne und die getriebene Ruhelosigkeit des gesamten Arrangements allerdings derart effektiv sabotiert, dass das Gebilde viel eher wie eine erschreckende Horror-Mutation klingt. Es ist schlicht ein konstantes Unwohlsein, das die Briten mit diesem Sound erzeugen. Das wohl auch bewusst, verstärkt die entrückte Natur der Musik doch Ian Curtis' beklemmend direkten und gewohnt gefühlskalten Gesang derart, dass man Zeilen wie "I'm ashamed of the things I've been put through / I'm ashamed of the person I am" in alle Ewigkeit mit sich herumträgt.

20.

 

Stan

 

Eminem feat. Dido

 

The Marshall Mathers LP
2000

Stan ist auf so mancher Ebene ein Meilenstein für Eminem und Hip Hop als Ganzes. Nicht nur ist das Feature von Sängerin Dido bzw. das Sample von deren Song Thank You eine für die Rapper-Zunft maßgebliche Annäherung an den Pop, es ist insbesondere ein atmosphärisches und inhaltliches Meisterwerk. Die triste, vom fallenden Regen bestimmte Szenerie ist ein bedrückender Unterboden für Eminems Protagonisten, den obsessiven Fan Stan, und seine bedenklichen Briefe an ihn, die das Bild eines psychisch zunehmend entgleisenden Menschen zeigen, dessen Besessenheit ihn und andere in den Abgrund reißt. Das gezeichnete Bild ist schmerzhaft authentisch und geht unter die Haut, wie selten etwas, insbesondere im Hip Hop.

19.

 

Masters Of War

 

Bob Dylan

 

The Freewheelin' Bob Dylan
1963

Bob Dylan hat im Laufe der Jahrzehnte sowohl musikalisch als auch in Sachen textlicher Fertigkeiten oft genug vorgelegt und ein unglaubliches Feingefühl und kreatives Reservoir bewiesen. Insofern mag es absurd erscheinen, ausgerechnet einen Song wie Masters Of War als einen seiner allerbesten herauszuheben, ist es doch ein finessenarmes Exemplar, das sich sowohl klanglich wie lyrisch zu keinen kunstvollen Einlagen hinreißen lässt. Gerade das ist es jedoch, was die schwelend wütende Abrechnung Dylans mit dem globalen Kriegstreiben und dessen Verursachern zu einer solch nachdrücklichen Darbietung macht. Nichts als der stete, drückende Riff der akustischen Gitarre begleitet ihn und unterlegt die wohl direktesten, unbarmherzigsten Zeilen, die sich der Singer-Songwriter jemals erlaubt hat. Genau darin liegt die Genialität und das emotionale Gewicht dieses eigentlich unscheinbaren Songs begründet.

18.

 

Stairway To Heaven

 

Led Zeppelin

 

Untitled
1971

Es ist mir nicht möglich, die unfassbare Qualität aller hier beteiligten Personen oder auch nur die schlichte Schönheit des von ihnen Geschaffenen wirklich passend zu beschreiben. Stairway To Heaven ist die Verkörperung rockmusikalischer Perfektion, die klanglich, dramaturgisch und emotional absolut alles in voller Blüte anbietet, was man sich von einem Song erwarten darf. Die makellose Arbeit, die Jimmy Page, John Bonham, Robert Plant und John Paul Jones hier und auf dem größten Teil ihrer vierten LP an den Tag legen, ergibt ein derart feinsinniges, soundtechnisch präzises und vielschichtiges Schauspiel, dass einen Makel zu finden absolut unmöglich wird. Und weil dem so ist und der Genuss ja doch eher im Hören und weniger im darüber Lesen liegt, lass ich es jetzt auch mit dem deskriptorischen Unvermögen bleiben.

17.

 

Lovesong

 

The Cure

 

Disintegration
1989

So kompliziert und schwierig der Umgang mit und die Bewältigung von bestimmten Emotionen auch sein mögen, so simpel sind diese Gefühle in Ihrer Natur selbst oft. Dieser Diskrepanz ist es geschuldet, dass es verdammt schwierig sein kann, so etwas wie Wut, Trauer oder Liebe wirklich musikalisch Herr zu werden, sodass man die Essenz dessen einfängt. Umso größer muss wiederum die Wertschätzung ausfallen, wann immer es dennoch gelingt. Robert Smith ist es zum Ende der 80er hin auf eine Art für die Liebe gelungen, als er den für seine Verhältnisse und vor allem das dazugehörige Album verdammt untypisch fröhlichen Lovesong veröffentlicht hat. Mit dem verzichtet Smith auf seine oft so ausschweifenden, mäandernden, atmosphärischen Exzesse oder glitzernde Klangbauten, sondern setzt stattdessen auf simplen Synth Pop, dessen einfache Melodie perfekt mit den unumwunden direkten, offenen Zeilen harmoniert. Eloquenz braucht man da nicht suchen, das ist aber auch der Kern dessen, warum hier ein Gefühl in Reinform eingefangen wurde.

16.

 

Blue Monday

 

New Order

 

Power, Corruption & Lies
1983

Des inhaltlichen Gravitationspunktes in Form von Frontmann Ian Curtis durch dessen Selbstmord beraubt, war die Neuerfindung von Joy Division unter dem Namen New Order ein kategorischer Imperativ. Im Lichte dessen ist es beeindruckend, wie gut es der Band gelungen ist, sich alsbald in anderer Form als bisher zu einer einflussreichen und stilistisch innovativen Kraft zu entwickeln. Aus dem vernichtenden Goth Rock wurde ein weitläufiges, buntes Potpourri elektronischer Musik, experimentell und poppig zugänglich gleichzeitig. Dass letzteres eben nicht die Ambition der Band untergraben hat, beweist nichts so sehr wie das legendäre Blue Monday, das Einflüsse aus der Disco-Ära, aus dem damals dominanten Synth Pop und der aufkommenden Dance- und House-Welle zu einem pulsierenden Elektronik-Epos vereint. Die siebeneinhalb Minuten schaffen es dabei, trotz des steten, zugrundeliegenden Beats, einen in kurzweiliger Regelmäßigkeit mit diversen Samples, elektronischen Soundeffekten und knochig-dürren Gitarrenzupfern immer wieder mit neuen Eindrücken zu konfrontieren und so ein rastloses, abenteuerliches Gesamtkunstwerk zu schaffen.

15.

 

Three Little Birds

 

Bob Marley & The Wailers

 

Exodus
1977

Bob Marleys große Leistung besteht vielleicht ultimativ genauso sehr darin, dass er ein wichtiger und unermüdlicher Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit war, wie in seiner Fähigkeit, einem mit seinen Songs auf ganz fundamentaler Ebene das Herz warm werden zu lassen. Nichts kann musikalisch im richtigen Moment eher ultimativen Seelenfrieden, Ruhe und Zufriedenheit auslösen als der richtige Song des Jamaikaners. Der richtigste davon ist zweifelsfrei Three Little Birds, das seine grundoptimistische, lebensbejahende und sonnige Seite derart stark auf die Musik überträgt, auf Marleys relaxten Gesang und die ihn unterstützenden I-Three, dass man dem einfach nicht widerstehen kann.

14.

 

Where Did You Sleep Last Night?

 

Nirvana

 

MTV Unplugged In New York
1994

Wenig erscheint auf so bittere Art passend wie das musikalische Ende der Karriere und des Lebens von Kurt Cobain. Seine letzte vollwertige musikalische Leistung sollte das denkwürdige, in die Annalen eingegangene Unpluggedkonzert für die entsprechende MTV-Serie sein und damit eine Darbietung, die ihn - musikalisch auf das Minimum reduziert - in intimerer und persönlicherer Form denn je gezeigt hat. Und Schlusspunkt dessen war auch ausgerechnet die bis heute kaum fassbare Aufbereitung von Folk-Standard Where Did You Sleep Last Night?, in der sich Cobain stimmlich gänzlich verausgabt. Der zurückhaltende Start mutiert dabei zu zunehmend intensiveren stimmlichen Ausbrüchen, die spätestens mit dem fast erstickten Schrei kurz vor Songende bis ins Mark gehen.

13.

 

Fortunate Son

 

Creedence Clearwater Revival

 

Willy And The Poor Boys
1969

Die große Leistung von CCR ist es im Falle von Fortunate Son, ihre schon grundsätzlich unwiderstehliche musikalische Formel nicht nur in glänzender Form umzusetzen, sondern sie noch dazu mit einem bissigen Kommentar zum Vietnamkrieg und speziell der damit verbundenen Klassenunterschiede zu versehen. In einer wütenden Emotionswallung in aller Schnelle geschrieben, wurde daraus dank der unvergesslichen Hook, dank dieses einzigartigen Gespanns und dank Fogertys textlicher Direktheit eine die Zeiten überdauernde Anti-Kriegs-Hymne, die es bei aller Brisanz des Songs schafft, sich ihre Leichtigkeit, ihren Drive und ein bisschen Galgenhumor zu bewahren. Und das ist ganz, ganz wertvoll.

12.

 

Life During Wartime

 

Talking Heads

 

Fear Of Music
1979

Man zeige mir den Menschen mit zwei funktionierenden Ohren, der diesen Song hört und dabei nicht innerhalb weniger Sekunden den überwältigenden Drang empfindet, sich dazu zu bewegen! Gibt es ihn, möge er sein Leben überdenken. Die anderen dürfen dagegen in Feierstimmung geraten bei dieser jeden Widerstand brechenden Machtdemonstration der Talking Heads, die ihre funkigsten Tage mit einer Darbietung gekrönt haben, die ihresgleichen lange suchen muss. Bass, Beat, Riff, alles göttlich, genauso wie Byrnes exzentrischer Auftritt und mehr noch sein von der energiegeladenen, lockeren Aura des Songs komplett losgelöst wirkender Text, der sich mit Krieg, Guerrilla-Kämpfen, gesellschaftlichen Missständen und dystopischen Fantasien beschäftigt.

11.

 

Babe, I'm Gonna Leave You

 

Led Zeppelin

 

Led Zeppelin
1969

Ein bisschen läuft es meiner Wahrnehmung dieser so sehr in der klanglichen Präzision und der versierten Studioarbeit von Jimmy Page aufgehenden Band zuwider, dass ihr eindrucksvollster Moment dann doch einer ist, der bereits am noch verhältnismäßig bodenständigen, klanglich weniger spektakulären Debüt zu finden ist. Die Briten haben Anne Bredons Song Babe, I'm Gonna Leave You jedoch in einer so epischen und dennoch durchdringenden gefühlvollen Art reinterpretiert, dass an ihm kein Weg vorbeiführt. Die drastischen Brüche zwischen dezenten akustischen Passagen und den plötzlichen, harten Ausbrüchen, in denen Robert Plants aufopfernder Gesang mit Bonhams wuchtig schallernden Drums und Pages rauen Riffs konkurriert, sind einfach zu eindringlich, schaffen ein zu starkes atmosphärisches Ganzes, das durch keine spielerische Finesse oder Studiospielerei verbessert werden könnte.

10.

 

Day Is Done

 

Nick Drake

 

Five Leaves Left
1969

Keiner war so gut darin, die Schönheit auch in den düstersten Gefühlslagen zu offenbaren, wie es Nick Drake war. Doch das elegant-romantische Wesen des Arrangements von Day Is Done und selbstverständlich von Drakes unerreicht weicher Stimme steht hier im Schatten des hoffnungslosen Inhalts, der depressiven Aura dieses Blicks auf das Ende und alles, was damit verloren und gewonnen werden kann. Nichts scheint rückblickend so prophetisch in Drakes kurzem Leben, das wegen einer Überdosis an Antidepressiva sein Ende fand.

9.

 

Like A Rolling Stone

 

Bob Dylan

 

Highway 61 Revisited
1965

So und nicht anders klingt es, wenn bei einer musikalischen Großtat alles perfekt ausbalanciert ist. Gleichermaßen poetisch und leidenschaftlich direkt, emotional und erhaben, locker und angespannt, melodisch eingängig und doch in seiner rustikalen Machart fast etwas abweisend. Bob Dylans Karriere kann zwar wahrscheinlich nicht einmal in 100 Songs ausreichend zusammengefasst werden, gibt es jedoch einen, der einem die Quintessenz der künstlerischen Größe dieses Menschen näherbringen kann, dann ist es Like A Rolling Stone, das einem auf allen Ebenen, auf denen man es betrachten möchte, nur Anlass zu Genuss, Freude und Ehrfurcht bietet.

8.

 

Idioteque

 

Radiohead

 

Kid A
2000

Radioheads realitätsverzerrendes, dystopisches Kid A entfaltet in seiner Gesamtheit eine gewaltige beklemmende Ausstrahlung. Das aber nirgendwo in so komprimierter Intensität wie in Idioteque, dessen mechanischer, unnatürlicher Klang und entrückter Gesang einen emotional ganz gewaltig mitnimmt. Die Szenerie ist von einer eisigen Tristesse, karg, gleichermaßen ruhelos und hart angetrieben und von Thom Yorke mit einer gespenstischen gesanglichen Einlage und nur lose zusammenhängenden, endzeitlichen Zeilen noch in ihrer Wirkung erweitert. Ein Ausbund der musikalischen Unbarmherzigkeit.

7.

 

The Sound Of Silence

 

Simon & Garfunkel

 

Wednesday Morning, 3 A.M.
1964

Zwar sollte es in Zeiten der wachsenden Popularität von Folk Rock so kommen, dass Paul Simon und Art Garfunkel erst mit einer ohne ihre Beteiligung nachbearbeiteten Version dieses Songs Erfolg und Ruhm ernten durften. Die ohne jeden geringsten Zweifel bessere Version ist jedoch die ursprüngliche, rein akustische, die auf dem gefloppten Debüt zu finden ist. Denn die Reduktion auf die akustische Gitarre und dezente Kontrabass-Zupfer trägt nicht nur dazu bei, den Harmoniegesang der beiden ungestört zur Geltung kommen zu lassen, sie verstärkt auch die emotionale Wirkung der Komposition, intensiviert den Eindruck der Isolation und Einsamkeit. Simons Zeilen über die fehlende Kommunikation in der Gesellschaft, über das übersehene Leid und das vernachlässigte Miteinander finden so textlich wie musikalisch ihr treffendes, unter die Haut gehendes Gleichnis in der Stille und hallen so in aller Dezenz umso stärker nach.

6.

 

Janitor Of Lunacy

 

Nico

 

Desertshore
1970

Es ist eine zerstörerische, quälende Aura, die Nicos voluminöses Harmoniumspiel und ihre melodiearme Stimme in Janitor Of Lunacy erzeugen. Und das passiert in so eindringlicher Art, dass man die Deutsche nur mehr als düstere Zeremonienmeisterin wahrnimmt, deren jeder Freude und jedes Lichts beraubter Song einen gefangen nimmt. Dort wohnt nicht nur dem Titel nach ein gewisser Wahnsinn, der sich in dieser unveränderlichen Härte der Szenerie ausdrückt und darin genauso sehr seine Spuren hinterlässt, wie die Resignation und die Hilflosigkeit, die in Nicos Zeilen zum Ausdruck kommen.

5.

 

Hallelujah

 

Jeff Buckley

 

Grace
1994

Vom eröffnenden, allein schon berührenden Hauch Jeff Buckleys weg ist seine Version von Leonard Cohens Hallelujah für sich allein ein musikalisches Vermächtnis, das groß genug ist, um Buckley auf lange Zeit im Gedächtnis zu behalten. Die intime, zerbrechliche Feinheit, mit der er hier sowohl das Arrangement als auch seine gesangliche Darbietung gestaltet, sucht ihresgleichen, trifft insbesondere in den dezenten, nur vom kristallklaren Zupfen der Gitarre unterstützten Beginn mitten ins Schwarze. Und sie vergeht danach auch nicht, paart sich lediglich mit manch mitreißendem stimmlichem Ausbruch, der bis zum Exzess Verzweiflung und Hingabe vermittelt und von einer solch alles durchdringenden Reinheit ist, dass man mitunter ganz schwer schlucken muss.

4.

 

9 Crimes

 

Damien Rice

 

9
2006

9 Crimes ist auf tödlich schmerzhafte Art emotional. Unerreicht ist da Lisa Hannigans erste Strophe, die im Verbund mit den gesetzten Klavierakkorden eine überwältigend fragile, gebrochene, ausweglose Gefühlslage vermittelt, mitunter selbst den Tränen nahe klingt. Jedenfalls wird in diesem Duett das emotionale Dilemma spürbar wie sonst nie, versetzt einen in diffuses, aber kaum besser zu symbolisierendes Beziehungsdrama und wandert nicht etwa einer Lösung oder einem Ausbruch entgegen, sondern geht an der stetig wiederholten Gewissensfrage zugrunde.

3.

 

Hurt

 

Johnny Cash

 

American IV: The Man Comes Around
2002

Was in den 90ern von Trent Reznor in einer depressiven und von Drogen gezeichneten Phase geschrieben und von den Nine Inch Nails sogar als Promo-Single veröffentlichte wurde, fand doch erst Jahre später zu einer unerwarteten und zutiefst berührenden Vollendung. Kurz vor seinem Tod, gesundheitlich und damit auch stimmlich schwer gezeichnet, nahm Johnny Cash den Song auf Empfehlung von Produzent Rick Rubin auf. Cashs brüchige Stimme ist es letztlich in Kombination mit dem dazugehörigen Video auch, die der Komposition ein ungeahntes emotionales Gewicht gibt, sie zu einer Rückschau des gealterten, seinem Tod ins Auge sehenden Country-Stars auf sein langes, nicht zuletzt von eigenen Verfehlungen gezeichnetes Leben werden lässt. Bild und Ton rühren zu Tränen, erwecken das Gefühl von Wehmut, Reue und der Konfrontation mit der Endlichkeit in all seiner Tragweite.

2.

 

Sugarbread

 

Soap&Skin

 

Sugarbread
2013

Musikalischer Terror! Das und nichts anderes ist es, was Sugarbread symbolisiert. Fast eine Minute lang wird man gequält von wuchtig hämmernden Trommelschlägen, von Anja Plaschgs kaum zu identifizierendem, verzweifeltem, gepeinigem Geschrei, bis in einem abrupten Bruch ein militant pulsierender Beat einsetzt und ihren eisig Monolog unterlegt, der gleichermaßen sanft und autoritär anmutet. In Kombination mit dem visuellen Terror der dazugehörigen Collage, die als Video dient, dem unheilvollen, lateinischen Choral und der elektronischen Klänge entsteht so ein albtraumhafter Marsch, der ein dramatisches, faszinierendes Schauspiel ist, das einen fesselt, obwohl man nicht weiß, ob man das wirklich will.

1.

 

Decades

 

Joy Division

 

Closer
1980

Das gesamte Dasein von Joy Division und auch Ian Curtis persönlich erweckt den Eindruck, als wäre es unweigerlich einem ganz bestimmten Ende entgegengegangen, das letztlich im Jahr 1980 eingetreten ist. Weil dem so ist, kann man auch nicht verhindern, dass der Eindruck entsteht, Decades wäre ein würdiger, folgerichtiger und unausweichlicher Schlusspunkt des Frontmanns und der gesamten Band. Denn obwohl die kryptischen Zeilen oft genug als Erzählung von den Schrecken und vernichtenden Auswirkungen des Krieges gedeutet wurden, mutet die langgezogene, sphärische Kulisse des Songs wie ein Requiem an, das sich genauso gut mit Curtis' persönlichem "Krieg" gegen die Epilepsie und seine psychischen Probleme beschäftigen könnte. In jedem Fall ist es ein unfassbar starkes, wirkmächtiges Werk von alles andere erstickender emotionaler und atmosphärischer Eindringlichkeit.

Epilog

 

Herzliche Gratulation an alle, die es bis zum Ende dieser Liste geschafft und vielleicht gar über alle 500 Songs hinweg durchgehalten haben! Trotz des unglaublichen Ausmaßes der Liste sowohl in ihrem Umfang als auch der Dauer der Veröffentlichung hoffe ich, dass es ein unterhaltsamer, interessanter und eventuell gar manche Neuentdeckung für den Leser offenbarender Trip durch meine musikalische Welt oder zumindest die geschätztesten Stücke aus dieser war. Und mehr noch hoffe ich, dass bei über 200 verschiedenen Interpreten und nahezu allen denkbaren Musikstilen trotz einiger dominanter Namen in der Liste nie Langeweile aufgekommen ist.

 

In jedem Fall war es noch ein letztes Mal ein MusicManiac'sches Monsterprojekt, das mehr Zeit als erwartet verschlungen hat, aber deswegen auch ein bisschen was hermacht. Nichtsdestotrotz sind mir schon während der Zusammenstellung der Liste einzelne Songs eingeschossen und in Erinnerung gerufen worden, die es schaffen hätten können und vielleicht sollen, hier auch einen Platz zu finden. Nachdem eine solche Liste ja aber doch nie vollständig, für Verfasser oder Leser zufriedenstellend und schon gar nicht je richtig sein wird, soll das nicht zu schwer wiegen.

Unabhängig aller Unzulänglichkeiten ist es zumindest ein markanter Endpunkt eines jahrelangen Abarbeitens an der Musik, der hier gefunden wurde. Die Entwicklung des vergangenen Jahrzehnts kann er zwar als Momentaufnahme nicht abbilden. Aber immerhin ist es ein vielfältiges Bild des geschmacklichen Hier und Jetzt von meiner Seite.

 

Wer das die ganze Zeit über mitgemacht, begutachtet, kritisch kommentiert und vielleicht sogar angehört hat, bei dem sei größter Dank deponiert! Und jetzt bleibt noch eine letzte Gelegenheit, alle meine Fehler, Auslassungen und Versäumnisse in einem Kommentar zusammenzufassen und die eigene Nr. 1 zu würdigen!

 

- Kristoffer Leitgeb, 26.12.2021


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