A MusicManiac's Top 500 Songs

Nach fast acht Jahren als MusicManiac und noch ein paar mehr der Beschäftigung mit Musik wird es Zeit für einen unzureichenden Versuch eines musikalischen Fazits. Natürlich kommt es, typisch für diesen MusicManiac, in ausufernder Listenform und kürt die verwegene Zahl der 500 als beste befundenen, liebgewonnensten und geschätztesten Songs.
Das eher irrsinnige Ausmaß der Liste, die stilistische Bandbreite der Songs darin und die Wankelmütigkeit im Urteil sorgen dafür, dass auch alle Sorgfalt bei der Erstellung nichts daran ändert, dass sie weder vollständig, noch für mich als Ersteller ultimativ zufriedenstellend oder richtig wirkt. Um den Titel der Liste und ihre Aussagekraft noch weiter zu untergraben, sei auch gleich angemerkt, dass sich unter viele, viele wirkliche Songs auch einige klassische Kompositionen und Soundtrackstücke mischen und ihren wohlverdienten Platz bekommen.

 

Deswegen sei gesagt, dass man diese Liste schon ein bisschen, aber tunlichst nicht zu ernst nehmen darf, sondern man viel eher ein bisschen stöbern, die Musik genießen, Spaß haben, überrascht sein, sich wundern sollte. Für Aufregung, Fragen zu meinem Geisteszustand, Beschwerden über die einen Songs und Jubelstürme wegen anderer ist aber natürlich trotzdem immer in den Kommentaren Platz.

Also dann, rein in Part 12 der unendlichen Liste!

 


225.

 

Nobody's Home

 

Avril Lavigne

 

Under My Skin
2004

Als Höhepunkt einer zugegebenermaßen ausbaufähigen Karriere ist Avril Lavigne mit Nobody's Home etwas gelungen, was heute bei ihr ziemlich undenkbar ist, nämlich ein nahezu perfekt ausbalancierter Song, der in idealem Maße die rockigere Seite von Under My Skin mit einer der überzeugendsten Gesangsdarbietungen der Kanadierin und - in Erinnerung an I'm With You von Debüt - einem wenig aufdringlichen Streicherarrangement verbindet. Das Endergebnis ist in großartiger Manier gleichermaßen spürbar emotional und von einer fast cineastischen Dramatik, die durch das dazugehörige Video insbesondere in den Refrains entsprechend unterstützt wird.

224.

 

Planet Caravan

 

Black Sabbath

 

Paranoid
1970

Als krassen Kontrast gegenüber den frühen Metal-Großtaten, die die Briten rund um Ozzy Osbourne vollbracht haben, findet sich auf dem legendären Paranoid mit Planet Caravan auch die krasse Antithese der Härteeinlagen und düsteren Anwandlungen der Band. Dass gerade dieser Ausflug in jazzig-psychedelische Ruhe, in ein sphärisch durch den Raum schwebendes Klanggemisch zum überzeugendsten Moment der Band werden sollte, ist da wohl Ironie des Schicksals. Jedenfalls übertrifft wenig diese Zusammenstellung von Instrumenten, diesen entspannten Bass, die hellen Akzente der Congas und die langgezogene Instrumentalpassage mitsamt Paarlauf von Toni Iommis geschmeidigen Akkorden an der Gitarre und das dazugeholte Klavier. Dass darüber Ozzys durch den Leslie-Speaker gedrehte Stimme in ihrer entrückten Friedlichkeit auch so überhaupt nicht nach ihm, aber doch unglaublich gut klingt, passt da nur ins Bild.

223.

 

While My Guitar Gently Weeps

 

The Beatles

 

The Beatles
1968

Zu Anfang dieser Liste bereits in einer auf instrumenteller Ebene etwas extravaganteren Version von Regina Spektor geehrt, darf natürlich auch das Original der Beatles nicht fehlen. Als einer von George Harrrisons größten, gegen Ende der 60er vermehrt auftretenden Volltreffer ist es ein Paradebeispiel für die atmosphärische Tiefenwirkung, die der Brite mit seinen zunehmend mehrdeutigen und spirituell angehauchten Kompositionen und seiner Mischung aus gefühlvoll-bluesigen Klängen und psychedelischen, oft genug von Ravi Shankar inspirierten Seiten zu kreieren wusste. While My Guitar Gently Weeps verzichtet zwar auf die Sitar und jegliche Raga-Einflüsse, ist deswegen aber nicht weniger wirkmächtig, was genauso sehr Harrisons geschmeidigem Gesang wie der großartigen, bluesig-rockigen Gasteinlage von Eric Clapton an der Gitarre und der unscheinbaren Rhythm Section sowie den Beimischungen der Hammond Orgel und des Klaviers zuzuschreiben ist. Es ist schlicht ein Gesamtkunstwerk.

222.

 

White America

 

Eminem

 

The Eminem Show
2002

Wenn aus dem Super- ein Hyperstarstatus wird, kann das schwerwiegende Folgen haben. Im Falle Eminems sind sie weithin bekannt und musikalisch von ihm selbst breitgetreten. Als er aber noch mittendrin in diesem medialen Tsunami und am Gipfel seines Erfolgs war, hatte er die Gabe, seiner Kritik an den Medien, an der Rezeption seiner Musik und an seinem ausufernden Status mit einem generellen Schlag gegen den amerikanischen Status Quo zu verbinden und beides in kraftvolle, aggressive und punktgenau treffende Songs zu verwandeln. Das mit eindringlichste Exemplar dessen ist ausgerechnet White America und damit die Leadsingle der Eminem Show, die in ihrer Gesamtheit ein genauso überzeugender wie durchinszenierter und an die kommerziellen Erwartungen angespasster Auftritt war. Damit verbunden ist auch der Schritt in Richtung Rap Rock, der der Aggressivität des Marshall Mathers noch einmal extra Nachdruck verleiht, seine Rhymes und die darin angeprangerten Dinge nur umso trister und düsterer wirken lässt.

221.

 

Depreston

 

Courtney Barnett

 

Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit
2015

Die im vergangenen Jahrzehnt aufgetauchte und alsbald zu einem der Aushängeschilder eines wirklich unabhängigen Indie und Alt Rock gewordene Courtney Barnett hat mit ihrer ersten LP womöglich ein Werk für die Ewigkeit, definitiv aber eines für die Bestenlisten der 10er-Jahre geschaffen. Unter anderem nicht zuletzt wegen eines gewissen Songs namens Depreston, der die Fähigkeit Barnetts, das Möglichste aus dem alltäglichsten Dingen herauszuholen, perfekt illustriert. Aus einem Song über die Haussuche im australischen Preston wird ein Mahnmal auf ihre ureigene Mischung aus Melancholie und Apathie, das in gleichem Maße entspannt und in seinen diffusen Gefühlen versinkend anmutet.

220.

 

A.D.D.

 

System Of A Down

 

Steal This Album!
2002

Die eigentlich gar nicht zur Veröffentlichung gedachten Songs auf Steal This Album!, allesamt Outtakes der Sessions von Vorgänger Toxicity und nur zum Album geworden, weil sie davor in minderer Qualität den illegalen Weg ins Internet fanden, sind mitunter überraschend stark und atmosphärisch. In seinen besten Minuten steht die LP dem Vorgänger in nichts nach, setzt dessen wutentbrannte Gesellschaftskritik nahtlos fort. A.D.D. macht selbiges in kompromisslosester Form, spart sich großen Schnickschnack und galoppiert stattdessen in manisch-punkiger Art mit großartigem Riff davon, während Serj Tankian den American Dream im Angesicht der wirtschaftlichen und politischen Ungleichheit zu Grabe trägt.

219.

 

The Times They Are A-Changin'

 

Bob Dylan

 

The Times They Are A-Changin'
1964

Nachfolgende Ereignisse, darunter nicht zuletzt das berüchtigte Self Portrait, legen zwar nahe, dass Bob Dylan nicht allzu scharf darauf war, als Stimme einer Generation gelten zu müssen. Er hat diesen Status aber auch selbst verschuldet durch Songs, die zur Mitte der 60er der heraufgrauenden Veränderung und dem Tatendrang einer jungen Generation gewidmet waren und sie womöglich noch zusätzlich befeuert haben. Im Zentrum dessen steht The Times They Are A-Changin', die wohl quintessenzielle Protesthymne aus seiner Feder, die in damals für ihn typischer Manier nicht mehr als die akustische Gitarre, die Mundharmonika, Dylans kratziges Organ und vor allem sein Gefühl für die genau richtigen Worte braucht, um auch Jahrzehnte später noch ähnlich kraftvoll zu klingen wie damals.

218.

 

Baba O'Riley

 

The Who

 

Who's Next
1971

Nachdem mit Tommy endgültig die Tür aufgeschlagen wurde vom einfacher gestrickten, direkten Rock der frühen Jahre hin zu aufwändigeren, elaborierten, vielgesichtigen Rock-Epen, setzten The Who zum Einstieg in die 70er einen weiteren entsprechenden Meilenstein mit Who's Next. In puncto klanglicher Präzision, schlafwandlerischer Trittsicherheit bei jeglichen Stilsprüngen und Gespür für das perfekte Zusammenspiel aus erdigem Rock und theatralischer Ausuferung war gegen die Briten kaum noch ein Kraut gewachsen - sieht man von den Landsleuten um Jimmy Page ab. Prunkstück ihres fünften Albums sollte Baba O'Riley werden, das zwar nicht gerade wortreich, dafür klanglich umso vielseitiger eine großartige Szenerie kreiert. Mit einem der göttlichsten Intros, die jemals einem Song geschenkt wurde, an der Lowrey Orgel eröffnet und bereits da endlos episch, wird daraus mit dem Einsatz von Keith Moons Drums, dem nötigen, kernigen Riff und einem Roger Daltrey in unübertroffener Form eine Hymne für die Ewigkeit daraus. Und die ist so gut, dass sogar ein manisches, absolut aus dem Nichts auftauchendes Violin-Solo zum Abschluss eher wie eine Krönung des Ganzen statt wie ein Störfaktor wirkt.

217.

 

Kumma Ned

 

Voodoo Jürgens feat. Louie Austen

 

'S Klane Glücksspiel
2019

Der Held des verschrobenen Wienerischen, des schwarzhumorig Lächerlichen und einer halbernsten Strizzi-Nostalgie kämpft zwar gegen eine latent spürbare Abnutzung seines etwas eindimensionalen Schmähs. Man ist deswegen aber noch lang nicht davor gefeit, bei ihm über den einen oder anderen herrlichen Gassenhauer zu stolpern. Kumma Ned ist davon der beste, weil er musikalisch ein großartig unförmiges G'stanzl ist, in dem Akkordeon, Drums und Klavier dahinstolpern, als hätten sie alle ein paar Bier zu viel erwischt, weil dem textlich ein zum Wegbrechen starker Schlagabtausch zwischen Voodoo Jürgens und Louie Austen um die ausständigen Spielschulden gegenübersteht und weil der Refrain von der mitreißendsten Sorte ist.

216.

 

Halleluja

 

Rammstein

 

Mutter
2001

Verdammt ungut versteckt als Hidden Track auf der japanischen Version von Mutter ist er zwar, umso grotesker mutet es aber an, wie stark der Song auch im Vergleich zum dazugehörigen Album und seinen wichtigsten Kompositionen ist. Zugegebenermaßen mangelt es ihm am vollendeten Rundumpaket, das die Deutschen auf ihrer dritten LP hier und da hinbekommen haben. Halleluja mag deswegen vielleicht etwas roher und akzentärmer daherstampfen, als es die Band an anderer Stelle vorexerziert, die drückende Bassline, der wuchtige Stop-and-Go-Riff und die spärlichen elektronischen Akzente summieren sich aber insbesondere auch deswegen zu sehr viel, weil sie nicht nur in der damals üblichen, perfekten Produktion erstrahlen, sondern wegen des erstklassigen Texts. Lindemanns mächtige Bassstimme widmet sich dem kirchlichen Kindesmissbrauch in gewohnt schonungsloser, fast gruseliger Manier, vergisst dabei nicht auf den hymnischen, hier fast unbequemen Refrain.

215.

 

In Her Eyes

 

Joshua Radin

 

Wax Wings
2013

Liebeslieder sind eine verdammt schwierige Sache, weil sie meistens nicht so klingen, wie irgendwer irgendwem tatsächlich ein Lied widmen oder seine Liebe gestehen würde. Diesem Kitsch- und Schmalz-Paradigma zum Trotz gibt es einzelne Vertreter dieser Spezies, bei denen man sich schon wünschen würde, sie komponiert zu haben oder wenigstens artgerecht singen zu können. In Her Eyes ist ein solches Exemplar, weil es sich als simples Folk-Pop-Stück klangliche Allüren abseits der Streicher spart, vor allem aber wegen Joshua Radins halbgehauchtem Gesang, der wohl nie drei Minuten lang so passend geklungen hat wie hier in einem Song, der nicht mehr ist als ein stellvertretender, glückseliger Kniefall vor der buchstäblich Angebeteten.

214.

 

Die Zehn Gebote

 

Die Toten Hosen

 

Opium Fürs Volk
1996

Im Laufe seines Lebens sollte man, so man überhaupt mit der vermeintlichen Existenz eines Gottes konfrontiert worden ist, zumindest eine Theodizee hinter sich haben. Und wenn man schon die Herrlichkeit des Allmächtigen und vielleicht gleich noch seinen Allmachtsstatus hinterfragt, kann man das doch auch passend musikalisch unterlegen. Das diesbezügliche Paradestück haben die Toten Hosen zur Mitte der 90er abgeliefert, als sie in einem dem Hard Rock zugewandten Moment in düsterer Manier die göttlichen Gebote rezitiert und wuterfüllt aufbereitet haben, nur um im Refrain die alles entscheidende Frage zu stellen, ob Gott denn das wirklich ernst meint. Die Frage bleibt unbeantwortet, aber ein bisschen muss man schon selbst auch machen.

213.

 

Peace Sells

 

Megadeth

 

Peace Sells... But Who's Buying?
1986

Im größten Jahr des Thrash Metal haben es auch Megadeth geschafft zur Höchstform aufzulaufen. Von Dave Mustaine nach seinem Rausschmiss bei Metallica gegründet, hat die Band nach dem verrohten Debüt auf dem Zweitwerk Präzision, Struktur und Prägnanz entdeckt. Nur so war es möglich, dass auch so etwas wie Peace Sells herausschaut. Da passt von der einleitendem Bassline über den steten, unveränderlichen Riff bis zu Mustaines wütend hingerotzten, anklagenden Zeilen schon in der ersten Hälfte alles inklusive eines knackig-kurzen Refrains, bis in der zweiten Songhälfte der plötzliche Bruch wartet, mit dem ein manisches-wuchtiges, dem Albumtitel gewidmetes Finale eingeleitet wird. Es ist ein meisterlicher Auftritt, der es schafft, gleichzeitig schnörkellos hart und doch fast schon so etwas wie theatralisch zu sein.

212.

 

Die Omama

 

Ludwig Hirsch

 

Dunkelgraue Lieder
1979

Der heimische Großmeister des Schwarzhumorigen, Ludwig Hirsch, hat in seiner mit so vielen großartigen Momenten gespickten Karriere den großartigsten gleich als allerersten unter seinem Namen veröffentlichten platziert. Die Omama ist Blaupause und gleichzeitig Vollendung seines ureigenen Stils, der Gegenüberstellung vor bissigem Witz und darin verpackter Gesellschaftskritik triefender Texte und liebevoll-kitschiger Musik. Umso grotesker und treffender gerät so sein Humor. In der nicht endenwollenden klanglichen Romantik hat er so mit seinem unbeirrbar melodiearmen Sprechgesang die dunkelsten und tristesten Seiten des damaligen Österreich beleuchtet, darunter auch die Geschichtsvergessenheit und den konservativ-autoritären Mief, den die Omama wie so viele andere Jahrzehnte mit sich herumgetragen hat.

211.

 

Private Idaho

 

The B-52's

 

Wild Planet
1980

Unerreicht in ihren grotesken, schrillen Anfällen, die sie irgendwie zu Songs gemacht haben, waren die B-52's eines der merkwürdigsten Phänomene der Post-Punk- und New-Wave-Ära. Dass dieses vordergründig dem partyaffinen Irrsinn verpflichtete Klanggewirr aber eigentlich von einer unfassbaren Güte sein kann, haben sie schon auch oft genug bewiesen. Am allermeisten auf ihrem zweiten Album und dessen Aushängeschild Private Idaho. Überdreht bis zum geht nicht mehr, dabei aber gesegnet mit einer unwiderstehlichen Bassline, nicht minder starkem, funkigem Riff und lockerem Beat, verfügt der Track über eine Hook zum Dahinschmelzen, sodass der Refrain einen nicht mehr loslässt. Obwohl das ohnehin kaum möglichst ist bei diesem kaum irdisch anmutenden Trio am Mikro, Fred Schneider und seinem tonlosen, aber umso trockeneren, abseitigen Humor, sowie dem umso ausschweifender zwischen den Tonlagen umherschwingenden Kate Pierson und Cindy Wilson.

210.

 

Basket Case

 

Green Day

 

Dookie
1994

Immer ein bisschen zu viel der Ehre für jugendliche Wurschtigkeit, Langeweile, Masturbation und missglückte Selbstfindung, möchte ich Dookie dennoch nicht absprechen, dass da ein paar verdammt starke Minuten Pop Punk zu finden sind. So naheliegend es auch sein mag, führt kein Weg daran vorbei, dabei primär Basket Case als erstklassiges Exemplar der damaligen musikalischen Welle herauszuheben, weil selten einmal eine Hook so gepasst hat und so perfekt unperfekt klanglich in Szene gesetzt wurde, während Billie Joe Armstrong genau im richtigen Maße der weinerlich-verstörte Teenager ist, dem die ganze LP gewidmet zu sein scheint.

209.

 

S.O.S.

 

ABBA

 

ABBA
1975

Mir läge nichts ferner als die schwedischen Produzenten dessen, was Robert Christgau einmal sehr treffend in der Tradition von Werbejingles stehen gesehen hat, als Pop-Götter zu verehren. Zu viel Kitsch, Hochglanz, Pomp und Tanzwut von Frauen mittleren Alters sprechen aus allem, was ABBA der Welt entgegengeschmissen haben. Aber ich bin auch der Meinung, dass Ehre bekommt, wem sie gebührt. Und ein bissl was hat das Quartett schon auch fabriziert, das solcherlei verpflichtend macht. Der eine oder andere der vielen Evergreens aus ihrer Feder verdient sich diesen Status tatsächlich, am allermeisten ein Stück Pop, das dieses Genre so perfekt ausgeformt hat, wie es fast nur möglich ist. S.O.S. macht, anders kann man es kaum ausdrücken, eigentlich alles richtig, was es sich zum Ziel gesetzt hat. Da ist definitiv nicht zu wenig, aber eben auch nicht zu viel an Drama, da ist deswegen auch so etwas wie Gefühl, da ist ein kaum einengendes musikalisches Korsett, da ist aber vor allem eine Melodie, die keine Gefangenen macht und von den beiden Damen idealst interpretiert wird.

208.

 

The Dragon Boy

 

Joe Hisaishi

 

Sen To Chihiro No Kamikakushi
2001

Es soll noch einmal Gelegenheit geben, jenem meisterlichen Soundtrack, den Joe Hisaishi dem filmischen Meisterwerk Hayao Miyazakis zur Seite gestellt hat, zu verfallen. Der höchste Gipfel dieses qualitativen Bergmassivs entsagt dabei Hisaishis Vorliebe für das Klavier, für ruhige Minuten und einen Hang zu Jazz-Einflüssen und schafft es stattdessen, mit der zur Verfügung stehenden Streicherarmada alle Register zu ziehen und ein episch-cineastisches Feuerwerk zu zünden. Das streift in keiner Sekunde daran an, in irgendeiner Weise die großen Klänge zu übertreiben, sondern bewegt sich immer noch stimmungsvoll-elegant auf seinen Höhepunkt zu und deckt damit in zwei Minuten alles ab, was man sich wünschen könnte.

207.

 

Angeles

 

Elliott Smith

 

Either/Or
1997

Als wohl prominentestes Exemplar des einsamen Folk-Singer-Songwriters der 90er, ist es Elliott Smith zu Eigen gewesen, in bester Form an große Namen des Genres zu erinnern, die in den 60ern und 70ern ihr Unwesen getrieben haben. Das im Ausklang des großen "Good Will Hunting" zu hörende Angeles nimmt in seinem Kanon dementsprechend zwar musikalisch weniger einen Sonderplatz ein, verdient ihn sich qualitativ aber umso mehr. Es ist ein dezentes, allein dem hellen Zupfen an der Gitarre überlassenes Stück, dem Smith mit seiner zwischen intimem Gefühl und dauernder Niedergeschlagenheit erklingender Stimme zu atmosphärischer Vollendung verhilft. Ohne Drama, ohne Exzentrik, ohne großes Tamtam, aber deswegen umso besser.

206.

 

No Compassion

 

Talking Heads

 

Talking Heads: 77
1977

Die vorerst noch kein Ende nehmende Lobpreisung der Talking Heads findet ihren vorläufigen Höhepunkt erneut durch einen Song des Debütalbums. No Compassion ist störrisch strukturiert, stolpert vor allem schwerfällig durch seine Strophen, gleicht das aber schon allein musikalisch durch einen erstklassigen Refrain aus, dessen brillante Gitarrenarbeit sich definitiv mehr Raum verdient hätte. Noch eine Kategorie darüber findet sich aber der Text in seiner gewohnt mehrdeutigen Manier, der genauso sehr als David Byrnes Absage an die dauernd mit Problemen zu ihm kommenden Bekannten und Versuch des Fokus auf das Wesentliche zu verstehen ist wie als gerade entgegengesetzte Betrachtung des gesamtgesellschaftlichen ignoranten, gefühlskalten Egoismus. Und vor solch einer Bipolarität gilt es sich zu verbeugen.

205.

 

Get Free

 

The Vines

 

Highly Evolved
2002

Die höchst absurde Adelung der Vines zum neuen großen Ding des Rock - damals, in den Säuglingsjahren des Millenniums - mitsamt merkwürdigen Vergleichen zwischen Craig Nicholls und Kurt Cobain waren netterweise alsbald Geschichte. Wirklich gerechtfertig erscheint der Aufbau eines solchen Podests für die höchst durchschnittlich agierenden Australier auch nur dann, wenn man sie abseits ihres bedeutendsten Songs fast komplett ignoriert. Mit Get Free war der Durchbruch und das kurzzeitige Hoch geschafft, vor allem aber der Nachwelt ein punkig-grungiger, zweiminütiger Garage-Rock-Sprint hinterlassen, der Nicholls' manisches Halbgeschrei perfekt in einem unschlagbaren Riff verpackt und damit eigentlich alles richtig macht, ohne überhaupt allzu viel zu machen. Mehr hat es aber nicht gebraucht, um gewaltig Eindruck zu hinterlassen, damit man diesem danach umso weniger gerecht werden kann.

204.

 

At Your Funeral

 

Saves The Day

 

Stay What You Are
2001

Die Tatsache, dass man nie wirklich ganz groß rausgekommen ist, hat im Falle von Saves The Day nicht verhindert, dass ihre besten Alben ein ordentliches Wort mitzureden haben, wenn es um die wichtigsten Alben des Pop-  und Emo Punk geht. Verdient hat es sich die Band auf alle Fälle, zumindest im Lichte ihrer dritten LP und darauf zu findender Songs wie etwa dem eröffnenden At Your Funeral. Dass darin der Tod eines Freundes in fast schon fröhlicher Manier besungen wird, sorgt für einen umso positiveren Eindruck, weil man abseits von Chris Conleys ewig aufopferungsvollem, schiefem Gesang von jeglicher Gefühlsduselei verschont bleibt und stattdessen in fast schon post-punkige Sphären eintaucht.

203.

 

Atrocity Exhibition

 

Joy Division

 

Closer
1980

Selten wurde je ein Album so treffend eröffnet wie Closer durch Atrocity Exhibition. Der Abstieg in die das Album komplett in Beschlag nehmende Finsternis erfolgt mit Stephen Morris' Tribal Drums, die zusammen mit dem Bass in aller Kürze eine Anspannung unfassbaren Ausmaßes erzeugen. Nimmt man dazu die von Martin Hannett malträtierten Riffs, die jeder Natürlichkeit beraubt wurden und durchgehend schrill und mechanisch den Raum füllen, ergibt sich ein abweisendes, ja sogar erschreckend unwirkliches Ganzes. Das wäre natürlich alles bedeutend wenig, würde dem nicht Ian Curtis mit der finalen Form seines tonarmen, lakonischen, eisig-autoritären Monologs jene zerstörerisch dunkle, depressive Aura verleihen, die Closer als Ganzes ausmacht.

202.

 

Summer

 

Angel Olsen

 

All Mirrors
2019

Von so manchen als eine der großen Singer-Songwriterinnen unserer Tage gepriesen, hat Angel Olsen jedenfalls bewiesen, dass es ihr künstlerisch nicht an Facetten mangelt. Nach akustischer Ruhe, Lo-Fi-Gitarren-Rock und vielseitigem Hochglanz-Pop-Rock kam auf der vierten LP ein ungleich großspurigeres Ganzes auf einen zu. Mit aufwändiger Orchestrierung und dicken Soundwänden hielt Dramatik Einzug, ohne dass Olsen darüber komplett vergessen hätte, wo ihre Heimat ist und wo Atmosphäre und Emotion zu finden sind. Und weil sie das mitunter meisterlich unter einen Hut zu bringen wusste, ist dabei etwas so Majestätisches wie Summer herausgekommen, das als sphärischer Dream Pop auf die großen Streichereinsätze verzichtet. Stattdessen prägen neben dem voluminös pochenden Bass, leichtem Gitarrenstrumming und hypnotischem Beat vor allem die selten dominanten, aber unentwegt schimmernden Synthesizer einen der stärksten Momente, den die US-Amerikanerin bisher abgeliefert hat.

201.

 

Dirty Magic

 

The Offspring

 

Ignition
1992

Damals, noch vor der kommerziellen Explosion mit einem gewissen Smash, waren Offspring auch nur eine von vielen im Untergrund Kaliforniens umherstreifenden Punkbands. Das hat sie aber auch wieder nicht daran gehindert, bereits ihre zweite LP zu einer Ansammlung erstklassiger Songs zu machen und für diese gleich noch einiges an Inspiration durch die gerade alles beherrschende Grunge-Welle einfließen zu lassen. Nirgendwo wird die Hinwendung dazu deutlicher als beim erstklassigen Dirty Magic, dessen roher Lo-Fi-Sound die ideale Grundlage ist für ein Höchstmaß an Atmosphäre und Emotion, ohne dass dabei ein erstklassiger Riff auf der Strecke bleiben müsste.


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