A MusicManiac's Top 500 Songs

Nach fast acht Jahren als MusicManiac und noch ein paar mehr der Beschäftigung mit Musik wird es Zeit für einen unzureichenden Versuch eines musikalischen Fazits. Natürlich kommt es, typisch für diesen MusicManiac, in ausufernder Listenform und kürt die verwegene Zahl der 500 als beste befundenen, liebgewonnensten und geschätztesten Songs.
Das eher irrsinnige Ausmaß der Liste, die stilistische Bandbreite der Songs darin und die Wankelmütigkeit im Urteil sorgen dafür, dass auch alle Sorgfalt bei der Erstellung nichts daran ändert, dass sie weder vollständig, noch für mich als Ersteller ultimativ zufriedenstellend oder richtig wirkt. Um den Titel der Liste und ihre Aussagekraft noch weiter zu untergraben, sei auch gleich angemerkt, dass sich unter viele, viele wirkliche Songs auch einige klassische Kompositionen und Soundtrackstücke mischen und ihren wohlverdienten Platz bekommen.

 

Deswegen sei gesagt, dass man diese Liste schon ein bisschen, aber tunlichst nicht zu ernst nehmen darf, sondern man viel eher ein bisschen stöbern, die Musik genießen, Spaß haben, überrascht sein, sich wundern sollte. Für Aufregung, Fragen zu meinem Geisteszustand, Beschwerden über die einen Songs und Jubelstürme wegen anderer ist aber natürlich trotzdem immer in den Kommentaren Platz.

Also dann, rein in Part 9 der unendlichen Liste!

 


300.

 

Have Another Beer

 

Fretland

 

Fretland
2020

Völlig unerwartet und nur durch eine glückliche Fügung überhaupt in mein Ohr geraten, haben Fretland im vergangenen Jahr mit ihrem Debüt ein verdammt nettes Stück Americana-Musik abgeliefert, das auch von einem endlos geschmeidigen Sound, vor allem aber von der herrlichen Stimme von Frontfrau Hillary Grace Fretland lebt. Nirgendwo käme die besser zur Geltung als im fast schon schmerzhaft melancholischen Have Another Beer, dessen erfreulich dezente Slide Guitar zusammen mit diesem gleichermaßen emotional beladen und doch unendlich klar klingenden Gesang so unfassbar viel Atmosphäre aufbaut, wie man es bei einem so unkompliziert gezimmerten Song kaum für möglich hält.

299.

 

Bad Guy

 

Billie Eilish

 

When We All Fall Asleep, Where Do We Go?
2019

Die in ziemlich sensationeller Manier als gerade mal 17-Jährige die Musikwelt erobernde Billie Eilish hat auf ihrem Debüt einen Song untergejubelt, der so ziemlich jede geniale Facette ihres generell so streitbaren Daseins einfängt. Auch durch das genial absurde und ausgeflippte Video ist er zum weltweiten Hit geworden, in Wahrheit lässt sich Bad Guy aber ohne bewegtes Bild genauso in vollen Zügen genießen. Weil aus dem Song und insbesondere aus Eilish diese Mischung aus endloser Wurschtigkeit, aufgesetzter Arroganz und ein bissl erotischer Provokation quillt, die ihre Musik in den besten Momenten ausmacht. Genauso sehr übrigens wie der keine Flucht ermöglichende Dance-Pop-Sound, der latent danach klingt, als wäre er im desinteressierten Vorbeigehen zusammengebastelt worden und dementsprechend Eilishs Performance auf den Leib geschneidert ist, der einen aber gleichzeitig in seiner leicht düsteren, monoton pulsierenden Art nicht loslassen will.

298.

 

It Takes A Lot To Know A Man

 

Damien Rice

 

My Favourite Faded Fantasy
2014

Die reichlich merkwürdig verlaufende Karriere von Damien Rice hat 2014 zu einem Studio-Comeback gebracht, das acht Jahre nach dem enttäuschend eindruckslosen Vorgänger niemand erwartet hatte, das aber gerade deswegen und wegen der eigentlich nicht vorhandenen Erwartungen umso mehr Beachtung fand, als es doch verdammt überzeugend geriet. Die Jahre haben der LP zwar nicht allzu gut getan, das Magnum Opus der kurzen Tracklist thront aber weiterhin majestätisch in seiner über neunminütigen Länge. It Takes A Lot To Know A Man ist einer dieser Songs, dessen Bestandteile allein nicht verraten, welche atmosphärische Wirkung er entfalten kann. Es ist ein anfangs in klassischer Rice-Manier wehmütiges, aber ungewohnt kryptisches, fast philosophisches Mäandern, das nach zunehmendem Aufwallen des Arrangements irgendwann zuerst zu einem kurzen, manisch-mehrsprachigen Klimax findet, dann aber plötzlich in ein langgezogenes, dramatisches Instrumental übergeht, in dem Klavier, Bläser und Streicher auf- und abwallen, ohne dass sich so wirklich klären würde, was das alles emotional auslöst.

297.

 

No Son Of Mine

 

Genesis

 

We Can't Dance
1991

Dem fantastischen Prog Rock genauso abgeschworen wie dem unverschämt erfolgreichen Synth Pop, waren Genesis Anfang der 90er in Wahrheit in ziemlicher Fadesse angelangt. Die letzte von Collins, Banks und Rutherford gemeinsam aufgenommene LP erstreckte sich über endlose 70 Minuten und hat den kolossalen Fehler begangen, die drei markanten, nachhallenden Singles gleich zu Beginn zu verheizen und so danach ein unfassbares Vakuum zu verursachen. Eröffnet wird das ambivalente Trauerspiel aber mit einem Song, der als Pop-Rock-Ballade untypischer nicht sein könnte für die Band, gleichzeitig aber einen emotionalen Höhepunkt ihrer Karriere bildet. No Son Of Mine ist vom ersten Einsetzen des Tickens weg ein spürbar angespannter, im besten Sinne dramatischer Moment, der als perfekt inszenierte Erzählung von der zerbrochenen Familie, dem flüchtenden Sohn und seiner Rückkehr zu einem von Phil Collins' wenigen genuin geschmackssicheren, atmosphärischen Auftritten gerät.

296.

 

Night Sky

 

Chvrches

 

The Bones Of What You Believe
2013

Dem schottischen Trio von Chvrches ist mit Night Sky wohl die Vollendung dessen gelungen, was das Ziel ihrer ersten LP gewesen sein dürfte. In grellsten und doch nie euphorischen synthetischen Farben schillernd, ist es die perfekte Illustration der emotionalen Ambivalenz, die das ganze Album ausmacht. Irgendwo zwischen Sehnsucht und Aufbruch, zwischen Nachtrauern und ein bisschen kitschigem Optimismus wird der Song, wie üblich für die Band, vor allem dank Lauren Mayberry zu einem romantischen Abschied der erstklassigen Sorte, der sich keine atmosphärische Eindeutigkeit erlaubt.

295.

 

Getchoo

 

Weezer

 

Pinkerton
1996

Weezer hatten es Mitte der 90er weniger mit dem Uneindeutigen, stattdessen war Rivers Cuomos überberstend leidenschaftliche, romantische Unsicherheit eine, die sich im Falle von Getchoo in rauen, endlos verzerrten Riffwänden und wuchtigen, naturbelassenen Drums geäußert hat, über denen er seiner Verzweiflung ein bisschen Luft macht. Auf einer LP, die ansonsten ihre Hyperromantik auch gerne in bewusst schmalzigen, textlich abenteuerlichen Erzählungen und schmerzhafter Gefühlsoffenheit umsetzt, ist das schnell einmal der eindeutig aggressivste und dementsprechend auch einer der eindringlichsten Momente. Wohl auch, weil der von der Band genau so gewünschte, unmanipulierte Sound kaum einmal so sehr wie die Faust aufs Auge passt wie in diesem lautstarken Frustabbau.

294.

 

Better Off Dead

 

Bad Religion

 

Stranger Than Fiction
1994

Ohne jeden Zweifel waren die aggressivsten und kompromisslosesten Tage der immerwährend politischen Punk-Helden von Bad Religion im großen Jahr des Pop Punk schon eher vorbei. Den größten kommerziellen Erfolg konnte das zwar nicht verhindern, Stranger Than Fiction reiht sich aber nicht in die besten Werke der Band ein. Aber es hat einige geniale Minuten zu bieten, so auch die von Better Off Dead, deren schnörkellose, wuchtige High-Speed-Gangart der Band alle Ehre macht und in Verbindung mit Brett Gurewitz' pointiertem, emotionsgeladenem Text auch einmal mehr beweist, dass textliche Qualität und Tempo bei den Kaliforniern durchaus proportional zueinander ansteigen.

293.

 

Pornography

 

The Cure

 

Pornography
1982

Der erste und definitiv düsterste Teil der depressiven Trilogie des Robert Smith macht einem das Zuhören aufgrund seiner so verdammt abweisenden, bewusst unschönen und finessenarmen Machart wirklich schwer. Gleichzeitig bezieht er daraus auch einen Gutteil seiner immensen atmosphärischen Kraft. Der unbestreitbare Gipfel dieser ist das große, unheimliche Finale in Form des Titeltracks. Der geht kaum als Lied durch, sondern ist eine genuin erschreckende Klangcollage, in der den schon für sich genug Anspannung verursachenden Drums eine groteske Vermengung aus verzerrten, formlosen Riffs, schwelenden Keyboard-Akkorden und mal mehr, mal weniger herausstechenden Sprachschnipseln übergestülpt wird. Dass Smith da ab der Songmitte doch noch etwas singt, fällt eigentlich gar nicht mehr ins Gewicht, die Konzentration ist zur Gänze diesem musikalischen Albtraum gewidmet, der einen da schon eingefangen hat, ob man das will oder nicht.

292.

 

Story Of Isaac

 

Leonard Cohen

 

Songs From A Room
1969

In seinen frühen Jahren immerwährend die Ruhe selbst, war Leonard Cohen auch auf seiner zweiten LP vor allem seiner Poesie und der akustischen Gitarre verpflichtet. Story Of Isaac ist eines der Paradestücke dieses Paradigmas und eine weitere Zurschaustellung dieses unvergleichlichen Talents, aus oberflächlich so unspektakulären Zutaten so viel Atmosphäre und melancholisches Gefühl zu generieren. Möglicherweise ist das in diesen Minuten auch deswegen so eindringlich, weil der auf seinem zweiten Album doch musikalisch zumindest ein wenig freimütiger agierende Cohen sich hier doch wieder in gewohnter Zurückhaltung übt und zwar durchaus ein paar instrumentelle Akzente einbaut, aber keine Sekunde von seinen Zeilen ablenken will.

291.

 

Otherside

 

Red Hot Chili Peppers

 

Californication
1999

In Zeiten, als der ehemals als Heimat und Erfolgsgarant der Band angesehene Funk Metal zunehmend von der Bildfläche verschwand und einem melodischeren, atmosphärischen Alternative Rock Platz machen musste, war Otherside eine jener Großtaten, die diesen Wandel mehr als rechtfertigten. Die schmerzende Aufarbeitung vom Tod des ursprünglichen Gitarristen der Band, Hillel Slovak, erspart sich exzentrische Ausritte, zähmt Fleas oft so erratischen Bass und wird stattdessen vor allem zu einer Zurschaustellung der sich stetig entwickelnden Fähigkeiten von John Frusciante, einen Song mit seiner ausdrucksstarken Arbeit an der Gitarre zu prägen. Kombiniert man das mit aufgrund des emotionalen Themas einer der besten textlichen Leistungen von Anthony Kiedis, hat man ein Meisterwerk der Chili Peppers.

290.

 

Hometown Glory

 

Adele

 

19
2008

Die wohl gewaltigste Stimme unserer Generation hat bisher noch immer damit zu kämpfen gehabt, dass ihr stilistischer Aktionsradius eher nicht mit ihren die Oktaven abklappernden Gesangsdarbietungen mithalten kann. Das hat aber bisher nie verhindert, dass sie in ihrer Paradedisziplin, der melodramatischen Klavierballade, ein ums andere Mal für eine klanglich gewaltige, bewegende Vorstellung zu haben ist. Erstmals so wirklich ohne Makel geglänzt hat Adele, als sie ihrer Stimme in Hometown Glory und also einer melancholischen Ode an ihre Heimatstadt freien Lauf gelassen hat. Da sitzt jeder Ton und jede emotionale Wallung ist spürbar, sei es in den erdig-rauchigen tiefen Noten oder beim späten Ausflug in stimmliche Höhen.

289.

 

Gouge Away

 

Pixies

 

Doolittle
1989

Die Pixies waren zu Zeiten ihres wohl größten Wurfs, Doolittle, zwar erst drei Jahre eine Band, hatten aber wohl auch wegen des erneuten Produzentenwechsels, diesmal weg vom Purist unter den Puristen Steve Albini, ihre rohsten Tage hinter sich. Während Albini beim daraus folgenden Ergebnis wohl eher nicht ins Schwärmen gekommen ist, hat die restliche Welt eine Band erlebt, die sich ihre markanten, so charmanten Eigenheiten bewahrt hat, dabei aber geordneter und präziser denn je klingt. Die Tracklist war dementsprechend von Makeln beinahe befreit und man findet darin fast mehr erstklassige Songs, als man verarbeiten kann. Trotzdem ist man noch nicht überfordert, wenn ganz zum Schluss mit Gouge Away ein gediegener Rocker daherkommt, dem David Loverings steter, staubtrockener Beat zusammen mit Kim Deals pulsierendem Bass einen rhythmisch erstklassigen Stempel aufdrückt, über dem sich die schonungslos verzerrten, kratzig geschrammelten Riffs in feinster Form ausbreiten. Black Francis ist dabei gesanglich für seine Verhältnisse fast unscheinbar, das macht den Song aber eigentlich nur umso runder.

288.

 

Bitter

 

Ludwig Hirsch

 

Zartbitter
1980

Will man so richtig erleben, was es denn eigentlich heißt, wenn man Ludwig Hirsch einen bissigen, tiefschwarzen, makabren und doch feinsinnig kritischen Humor unterstellt, dann gibt es zugegebenermaßen viele, viele Songs, auf die man zurückgreifen kann. Keiner davon hat Hirschs großartige Textkunst allerdings in so lockerer Manier aufbereitet wie Bitter, das eine fast schon unbequem lustige, weil eben tabulose Aneinanderreihung so manch vermeintlich bitterer Geschehnisse darstellt. Umso kurzweiliger, weil unter Toni Strickers Mithilfe an einem dezent countryesken Rocksound gearbeitet wurde, der mit einem geschmeidig-unbeschwerten Drive daherkommt, der hier einen Ohrwurm verursacht, wie man ihn von Hirsch kaum kennt.

287.

 

Candy Says

 

The Velvet Underground

 

The Velvet Underground
1969

In einem seiner gefühlvollsten Momente, ist Lou Reed mit Candy Says eine Ballade gelungen, deren zarte, harmonische Art ihresgleichen sucht. Und weil Reed im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte eine sehr treffende Einschätzung seiner gesanglichen Fähigkeiten besessen hat, durfte, nein, musste ein gewisser Doug Yule, der gerade erst zur Band gestoßen war, diese wunderschöne Ode an Candy Darling und die Auseinandersetzung mit dem Unwohlsein im eigenen Körper singen. Dass ihm das so ziemlich bestmöglich, weil ohne jede unnötige Allüre, ohne jegliche exzentrische Anwandlungen und stattdessen mit einer gefühlvollen Zurückhaltung gelungen ist, spürt man dabei vom ersten Moment an. Und man weiß es, sobald Yule den Refrain mit einem kurzen Schwenk in höhere Tonlagen abschließt.

286.

 

Plateau

 

Nirvana

 

MTV Unplugged In New York
1994

Ich weiß nicht, was es über meine Einstellung zu Nirvana und Kurt Cobain aussagt, dass für mich nicht nur das denkwürdige Unplugged-Konzert als Abschluss einer buchstäblich weltbewegenden, aber ebenso tragischen Karriere ihren unbestreitbaren Höhepunkt darstellt, sondern dass dabei noch dazu die besten Minuten ursprünglich nicht aus Cobains Feder stammen. Was auch immer es bedeutet, es ist so. Deswegen ist auch die Würdigung der zwischenzeitlich beim Konzert und auch bei diesem Song aushelfenden Meat Puppets sehr gerne gehört. Im Falle von Plateau wegen einer ebenso mühelosen wie atmosphärischen Umsetzung, die dem Song mehr undefinierbare Emotion einimpft, als dieser jemals ohne Cobain gehabt hätte.

285.

 

No Woman No Cry

 

Bob Marley & The Wailers

 

Natty Dread
1974

Während eigentlich die wenig später auf dem Livealbum der Wailers erschienene Version des Songs zu einem legendären Moment und einem von Bob Marleys weithin verehrtesten Auftritte wurde, ist es in meinen Augen die schnellere, fokussiertere Studioversion, die etwas mehr Lob verdient. Wobei, genial sind sie beide. Die Studioversion kann aber mit einem spielerischen, lockeren Touch punkten, die die Liveversion in eine vom Gospel infizierte, fast spirituelle Erfahrung verkehrt. Die Entscheidung darüber, was man eher will, sei jedem selbst überlassen. Marleys Lockerheit und insbesondere den herrlichen Auftritt von Jean Roussel an der Hammond Orgel sowie Al Andersons glänzendes Gitarrenoutro bekommt man aber nur hier.

284.

 

Wem Heut Net Schlecht Is

 

Wolfgang Ambros

 

Es Lebe Der Zentralfriedhof
1976

Ehrlicherweise muss man eingestehen, dass der Woiferl im Laufe seiner Karriere die eine oder andere vielleicht doch ein Spürchen gehaltvollere Komposition ausgekommen ist. Aber keine ist auf so humorvolle Art gleichermaßen ehrlich und doch ein bisschen hinterfotzig. Die Hymne auf das gemütliche Besäufnis ist ein eher unfreiwilliger Vorbote auf Ambros' alkoholgeschwängerte Zukunft und dementsprechend typgerecht, gleichzeitig aber eine sarkastische Abrechnung mit der Wiener Saufkultur, die ihr Heil im Rausch bis zum Speiben findet und den Alkohol zum unüberbietbaren Kulturgut verklärt. Und weil er was im Kopf hat, wird all das perfekt als Heurigeng'stanzl zum Besten gegeben, als gediegen schleppender Paarlauf vom Klaviergeklimper und dem Akkordeon.

283.

 

Run For Cover

 

The Killers

 

Wonderful Wonderful
2017

Die immerwährende Schwierigkeit jeglicher Begegnung mit diesem im Pathos und in der Bedeutungsschwere ertrinkenden Gebilde, das sich The Killers nennt, bekommt nur ganz, ganz selten eine Pause. Meist dann, wenn irgendwo zwischen Brandon Flowers' überakzentuierten Vocals und dem Hochglanz-Sound eine Lockerheit durchscheint, die den hier und da wirklich glänzenden Melodien der Band und ihren unwiderstehlichen, hymnischen Refrains einen großartigen Drive verleiht. Letztmals passiert ist das nach einer ziemlich langen diesbezüglichen Durststrecke mit Run For Cover, ihrem besten Song seit sicher über einem Jahrzehnt, der die so oft praktizierte Annäherung an Springsteen'schen Arena Rock so gut hinbekommt, dass man es in Verbindung mit dem Bandnamen kaum glauben will.

282.

 

Electrolite

 

R.E.M.

 

New Adventures In Hi-Fi
1996

Während New Adventures In Hi-Fi als spürbare Rückkehr zu jenen Merkmalen, die Automatic For The People zu einem melancholisch-atmosphärischen Glanzstück haben werden lassen, insgesamt eher gemischte Resultate präsentiert hat und jedenfalls nicht an den großen Vorvorgänger heranreicht, endet es mit einem Song, der das locker schafft. Mehr noch, ist man bei dieser wunderschönen Klaviermelodie und der makellosen Verbindung dieser mit Bill Berrys Drums, dem gemächlichen Bass, vor allem aber dem unscheinbaren Banjo dazu verführt, sich genau diese Minuten als einen weiteren Höhepunkt ausgerechnet auf Automatic For The People vorzustellen. Wobei das kein Muss ist, um diese endlose Harmonie und Michael Stipes gewohnt kryptische, eher versteckt emotionale Darbietung zu genießen.

281.

 

California Über Alles

 

Dead Kennedys

 

Fresh Fruit For Rotting Vegetables
1980

Es war ein bisschen wohltemperierter Wahnsinn, den die Dead Kennedys zum Anbruch der 80er in den Punk hineinbrachten. Als Teil jener Vorfront, die dem Punk seinen Hardcore-Part hinzufügen sollte, schuf das Quartett um Jello Biafra einen Klassiker des Genres. Und darauf findet sich eine kompromisslos raue und rohe Vermengung von Punk, Surf Rock und Rock & Roll und dazu eine dermaßen schonungslos Mischung aus bizarr-grenzwertigem Humor und aggressiver Gesellschaftskritik, dass nichts außer Freude darüber möglich ist. Schnell ausgewählt sind die qualitativen Leuchttürme dessen dennoch und es sind ausgerechnet die legendärsten Hymnen der Band. Eine davon, California Über Alles, rechnet absolut glänzend mit Proto-New-Ager und Gouverneur von Kalifornien Jerry Brown ab, macht ihn zum diktatorischen Spiritualitätsfaschisten, der die USA zu Harmonie und Gleichmut zwingen wird. Absolut herrlich.

280.

 

Don't Worry About The Government

 

Talking Heads

 

Talking Heads: 77
1977

Die Talking Heads bzw. ihr Frontmann David Byrne haben wieder und wieder bewiesen, was für ein unfassbares Talent für ihre sehr eigene Art des gesellschaftskritischen, feinfühligen Humors sie haben. Sonderbar ist dementsprechend auch das göttliche Don't Worry About The Government, dessen heller, locker-beschwingter Sound der ideale Unterboden für David Byrnes sarkastischen Hochgesang auf das konventionelle, dem Komfort und Genuss untergeordnete Leben ist. Zwar geht das ein bisschen auf Kosten jener funkigen Tanzbarkeit, die die Band in ihren glorreichsten Minuten ausgezeichnet hat. Gleichzeitig ist es aber die vielleicht pointierteste Kritik Byrnes an der Gesellschaft, wenn er im Refrain "I'll put down what I'm doing, my friends are important" deklamiert und dabei klingt, als wäre das lediglich eine Priorität, weil es dazugehört und von der Gesellschaft als gut verkauft wird, nicht wegen einer wirklichen Wertschätzung für die vermeintlichen Freunde.

279.

 

All You Deliver

 

José González

 

Veneer
2003

Auf dem Papier passiert nicht viel in den allermeisten Songs von José Gonzaléz, reduziert er sich doch meist bewusst auf die akustische Gitarre und seine tief vibrierende und doch sanfte Stimme. Auch für All You Deliver gilt das. Dennoch ist es ein Volltreffer, weil im getriebenen Rhythmus des Songs eine Rastlosigkeit und Anspannung zum Ausdruck kommt, die seinen fast ungerührten Gesang perfekt konterkariert und so eine ganz eigene Stimmung erzeugt, bei der man nicht so ganz weiß, ob nun Frieden herrscht oder nicht.

278.

 

I'm Writing A Novel

 

Father John Misty

 

Fear Fun
2012

"First house that I saw I wrote house up on the door / And told the people who lived there they had to get out 'cause my reality is realer than yours'"

Wer in einem Song solche Zeilen einbaut, meint sie tunlichst nicht ernst. Und wer sie nicht ernst meint, kann damit einen verdammt genialen Song anfüllen, wenn er ihn über einen sich und seine Kunst hemmungslos überschätzenden Autor schreibt. So ganz passiert das bei Father John Misty zwar nicht, I'm Writing A Novel ist dennoch erstklassiger, klanglich verschrobener und wunderbar dahintrabender Blues Rock, der genauso sehr autobiografische Erzählung vom Weg des Josh Tillman zum Projekt Father John Misty ist, wie es eine absurde Aneinanderreihung halbwahrer Geschehnisse ist. Und darin steckt so viel humoristisches Potenzial, so viel verdrehtes Jonglieren mit Klischees und Seitenhieben gegen sich selbst und so manch andere, dass es eine einzige Freude ist.

277.

 

Dividing By Zero

 

The Offspring

 

Days Go By
2012

In Zeiten, in denen von The Offspring eher mäßig spannender Mid-Tempo-Rock und kein mitreißender, energiegeladener Punk mehr zu erwarten war, kam dann doch für einmal die Quintessenz von letzterem in einer hemmungslos aufpolierten Form. Dividing By Zero verpackt in zweieinhalb Minuten einen ihrer besten Riffs in einer Form, die im kantenarmen, voluminösen Sound eines Bob Rock kein Hindernis, sondern eher einen Verstärker findet. Man mische dazu Pete Parada mit explosiven Drums und einen Dexter Holland, der entgegen anderer Eindrücke noch einmal an seine kraftvollsten Zeiten anschließt und es wird ein knackig-kurze Hymne daraus, die zusammen mit ihrem Brudersong Slim Pickens Does The Right Thing And Rides The Bomb To Hell keine Gefangenen macht.

276.

 

Richard Cory

 

Simon & Garfunkel

 

Sounds Of Silence
1966

Wenn es auch nicht gerade das ist, wofür man Paul Simon und Art Garfunkel am ehesten in Erinnerung behalten würde, hatten die beiden in einer Zeit, als das im Folk Rock quasi ein Muss war, schon auch durchaus ein Gespür für pointierte, politische Aussagen und entsprechende Geschichten. Richard Cory ist eine solche, basiert auf dem gleichnamigen Gedicht und erzählt vom Magnaten Richard Cory, dessen schillerndem Leben im Rampenlicht, seinem Erfolg und High-Society-Dasein und dem neidvollen Blick eines seiner Angestellten auf ihn. Mit der gewichtigen Wendung, dass der so glückliche Richard schlussendlich in den Schlagzeilen landet, weil er sich, vermeintlich grundlos, selbst erschossen hat. Und weil das zwar eine etwas gar moralisierende, aber doch verdammt stimmige Erzählung ist und das Duo es schafft, dabei nicht sonderlich auf ihren Harmoniegesang, sondern stattdessen auf einen locker-rockigen Folk-Sound zu setzen, kommt Freude auf.


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