blink-182 - California

 

California

 

blink-182

Veröffentlichungsdatum: 01.07.2016

 

Rating: 5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 11.04.2020


Lahmes Pop-Spektakel zwischen großer Vergangenheit, fremdbestimmter Gegenwart und ungewisser Zukunft.

 

Scheidungen sind immer etwas Ungemütliches. Am unangenehmsten und schwierigsten werden sie üblicherweise, wenn man nicht nur im Streit auseinandergeht, sondern auch noch danach darum kämpfen muss, wer denn das ganze gemeinsam angesammelte Zeug behalten darf. Im Falle von blink-182 ist zumindest das entfallen, weil Tom DeLonge bei seinem wahrscheinlich und hoffentlich - wer will schon Trennungsdrama Part 3? - endgültigen Abgang generös genug war, Mark Hoppus das Haus, das Auto, den Hund und sogar Travis Barker zu überlassen. Das ist aus Sicht einer gewachsenen und im Pop-Punk legendären Entität wie dieser Band durchaus günstig, hat aber einen Haken: Die Gitarre hat er mitgenommen, was in der Gesamtrechnung eine relativ große Lücke gelassen hätte, weil man nur mit Bass und Drums jetzt nicht wahnsinnig viel in den populärmusikalisch erfolgreichen Kosmos passende Musik damit basteln kann. Matt Skiba kam, sah und spielte als Neuzugang, sodass das dritte blink'sche Triumvirat seine Arbeit aufnehmen und wieder ein bisschen das Finden der eigenen künstlerischen Seele ins Zentrum rücken konnte. Der Vorgänger war dabei nämlich mäßig hilfreich und stellte ein selbstproduziertes, gefühlt aber zu 80% von DeLonge dominiertes stilistisches Gemenge aus den Abenteuern der ersten Trennungsphase dar, ohne wirklich irgendwohin zu führen. Um das diesmal zu verhindern, soll John Feldmann als Produzent aushelfen und ein bisschen dafür sorgen, dass die Band die richtige Richtung im Auge behält. "California" macht dahingehend wohl niemandem wirklich Mut.

 

Wobei alles, was man so zu hören bekommt, die obige These schon soweit unterstützt, als dass Feldmanns Handschrift in beinahe jeder Sekunde spürbar ist. Jetzt ist dieser Mann aber als Produzent mit einem Œuvre gesegnet, das in den vorangegangenen Jahren so klingende Namen wie Panic! At The Disco, All Time Low, Good Charlotte oder gar 5 Seconds Of Summer, Avicii und Black Veil Brides vereint, was als Anhaltspunkte für das zu Erwartende absolut nicht aufbauend ist. Dementsprechend entwickelt sich das Ganze aber dann auch sehr bald: Hemmungslose Überproduktion jenseits von Gut und Böse ist das Motto schlechthin, mit allem damit verbundenen Schund in Form offensichtlichst manipulierter und komprimierter Vocals, kitschiger Einschübe an akustischer Gitarre oder Klavier und schmalzigen Synth-Einsätzen. All das kombiniert mit einer fragwürdigen Leichtgewichtigkeit der Songs auf klanglicher und textlicher Ebene, sodass man mitunter ein bisschen befürchten muss, es wären einfach ein paar rechtmäßig übrig gebliebene Songideen von anno dazumal hervorgekramt und mühevoll in Form gebracht worden.

Will man sich bei all dem wirklich an ein früheres blink-Album erinnern, ist es wohl am ehesten "Take Off Your Pants And Jacket", wobei das für die damals noch in klassischer Besetzung erstellte LP kein schmeichelhafter Vergleich ist. Eineinhalb Jahrzehnte später klingt die versuchte Melange aus der jugendlich-aufbrausenden Energie der frühen Jahre und einem melancholischeren, in Maßen nachdenklichen Zugang zu Texten, Atmosphäre und damit auch der musikalischen Ausstattung unbequem müde und erzwungen. Darüber hinaus wirkt er noch unbequemer zurechtgebogen, um sich einem Sound hinzugeben, der weder lebhaft noch authentisch noch gefühlvoll daherkommt.

 

Bricht man das auf einzelne Tracks herunter, fühlt man sich nur in den allerersten Minuten wirklich an die Jahrtausendwende erinnert, wenn mit Cynical in manischer Manier losgestartet wird und die Drehzahl weit genug nach oben gedreht wird, um Skiba erfolgreich zu integrieren. Das gelingt trotz weniger gelungener Einlage als Gesangsunterstützung im Hintergrund - lautstark "Wooo-ooo-ooo-oooh" anzustimmen ist nicht zu empfehlen, wenn alles klanglich so glattgebügelt wird -, weil der Riff passt, Hoppus und Barker wie üblich bei hohem Tempo weniger des Schwächelns bezichtigt werden können. Alsbald wird es aber bescheidener. Schon Leadsingle Bored To Death war eine der langweiligen Form, als solche unwillkommen durch den Produktionsfleischwolf gedreht und mit seinen undynamischen Riffs und der faden Hook eher dahinstolpernd als sonst etwas. Insbesondere in späteren Phasen des Albums wird man zudem merken, dass diese Mischung aus glatt-synthetischem Sound und allerlei pseudoatmosphärischer Effekthascherei nicht nur generell fehlgeleitet wirkt, sondern sich auch verdammt schnell ermüdet. Vermeintlich straighte Rocksongs wie No Future oder Left Alone leiden schon teilweise an ihren geschliffenen Riffs, zerbrechen aber ultimativ an den blutleer klingenden Vocals, denen dank Feldmanns Produktion jegliche Emotion und Natürlichkeit abgeht. Und wem das noch nicht genug ist, der kann sich gerne an den pflichtgemäß immer wieder kehrenden "Na na na"- und "Ooh ooh ooh"-Einschüben erfreuen.

 

In den genannten Momenten ist jedoch eine songwriterisch solide Basis da. Keine überwältigende, speziell auf der textlichen Ebene eine in klassischer Hoppus-Manier ziemlich berechenbare und mäßig interessante jedenfalls. Aber der Song stimmt in seinen Grundzügen, kann melodietechnisch mit ein bisschen was aufwarten, schafft wie Rabbit Hole vielleicht sogar nicht nur einen starken Refrain, sondern zur Abwechslung ordentliche Harmonie zwischen Hoppus und Skiba als neuem stimmlichem Duo. Unterwältigend ist dabei primär die abweisende Aufmachung, die unnötige Soundbits und Einschübe erzwingt, sich formelhaft nicht etwa an straighten Pop-Punk hält, sondern stattdessen Schablonen des billigen Pop-Rock verwendet, um den Songs klangliche Facetten zu verpassen, die keiner braucht. Umso mehr nicht, weil sie wie im Falle der hymnischen Bridge von Left Alone oder dem widersinnigen Klavierpart von She's Out Of My Mind fast schon peinlich daneben und nach zwanghaft aktuellem Pophandwerk klingt.

Trotzdem geht es schlimmer, weil sich die Band zeitweise dafür entscheidet, ihren ohnehin süßlichen Grundpegel zu übersteigen und in schlicht kitschiges Terrain abdriftet. Das kann aber auch nicht anders enden, wenn ein Song Teenage Satellites heißen soll. Es wird keiner nach dem Beweis dafür gefragt haben, dass die Band in ihren 40ern nicht mehr wirklich dazu in der Lage ist, turtelnde Teenager ohne hohen Cringe-Faktor zu besingen. Hier ist er trotzdem. Will man etwas noch Schmalzigeres, kann man gern den grausam zur Powerballade aufpolierten Titeltrack hernehmen und jede entbehrliche Sekunde dieser miesen Ode an den Sunshine State genießen.

 

Hier sind wir an dem Punkt, wo man der LP gut und gerne einen 3er verleihen könnte. Dieses Trio kann es aber doch auch besser. Ja, auch positiv herausstechende Songs wie San Diego oder Sober kämpfen mit unvorteilhaftem Sound, aber sie machen immerhin das Richtige damit. San Diego gibt sich als die zweite Powerballade weniger melodramatisch und romantisierend, wirkt stattdessen auch in unverändert wanddicker musikalischer Auskleidung etwas karger und natürlicher inszeniert, kann dank des trockenen Riffs und starker Einlagen am Mikro auch über einen der besten Refrains hier verweisen. Sober wiederum ist von Patrick Stump mitkomponiert und klingt, mit Feldmann hier dem Fall-Out-Boy-Frontmann da, verdammt nach ebendieser Band. Das aber immerhin in einer lockeren, von Barkers gewohnt prägnant-starken Drums beflügelten Form, die das erdrückende Arenaformat von Fall Out Boy nicht kopiert. An den synthetischen Claps und unheiligem Klavierzwischenspiel kommt man deswegen nicht vorbei, aber zusammen mit dem allzu aufgelegten She's Out Of My Mind ist es der einzige Ohrwurm hier, den man als solchen auch halbwegs haben will. Topform beweisen die drei aber dann doch nur einmal annähernd und das mit einem Track, der so eigentlich gar nicht hier sein dürfte. Los Angeles ist zwar nun kein wirklich schwergewichtiges Stück Rock, auch nicht der Gipfel düsterer Stimmung, auf dieser LP allerdings in beiden Belangen ein großartiger Fels in der Brandung, der Feldmanns Produktion ideal nutzt, um die starke Arbeit von Barker und Skiba zu akzentuieren. Daraus werden dann die mit Abstand atmosphärischsten Minuten, der man immerhin nur ein ganz kurzes, kraftloses Klavierintermezzo antut und die ansonsten mit den tief pulsierenden Keys, den manipulierten Vocals und Barkers teils manischem Getrommel alles richtig macht.

 

Ein Song, ein mickriger Song! So geht das nicht, wenn man sich nach "Neighborhoods" wieder irgendwie rehabilitieren will. Natürlich ist "California" insofern anders, als dass es überwiegend frühere Tage von blink-182 in Erinnerung ruft. Darin ist es nur absolut nicht gut, in Anbetracht dessen, dass die wohl authentischsten Rückbesinnungen zwei ultrakurze Skits sind und die ausgerechnet an das Niveau von "Cheshire Cat" erinnern. Der Rest stellt die Verbindung zur aus Bandsicht glorreichen Vergangenheit zwar eindeutig thematisch her, will aber soundtechnisch nicht wirklich mit und verendet daher meistens in einem Jammertal modernster Pop-Punk-Produktion, die von dem Genre wenig bis gar nichts übrig lässt. Entgeht man dem, dann dank des insgesamt gar nicht mal sonderlich miesen Songwritings und vereinzelter wirklich guter Performances des Trios. Das trägt einen nur nicht sonderlich weit, wenn man es primär mit langweilig lahmendem Durchschnitt zu tun hat, dessen Akzentuierung eigentlich genauso oft zu entbehrlichem Kitsch führt wie zu wirklich starken Songs. Wo man von dort aus noch wirklich hinkommen kann, insbesondere mit dieser klanglichen Fehlleistung, bleibt bei all dem ziemlich im Dunkeln. Und so bleibt ein Fazit, das sonst nur Pamela Rendi-Wagner nach einer schallenden Wahlniederlage zu ziehen vermag: Die Richtung stimmt...

 

Anspiel-Tipps:

- Cynical

- Los Angeles

- Sober


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