Panic! At The Disco - Pray For The Wicked

 

Pray For The Wicked

 

Panic! At The Disco

Veröffentlichungsdatum: 22.06.2018

 

Rating: 3 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 07.09.2019


So aufgeblasen und aufdringlich, dass das synthetische Durcheinander fad und anstrengend zugleich wird.

 

Ich bin mir nicht sicher, ob es noch irgendetwas über Brendon Urie oder Panic! At The Disco in seiner Gesamtheit zu sagen gibt. Wie für so manchen aus den 00er-Jahren erhalten gebliebenen Musiker gilt auch für diesen äußerst erfolgreichen Herren, dass man sich daran gewöhnt hat, dass es anstrengend wird, wenn er sich künstlerisch betätigt. Man könnte es das Fall Out Boy oder Maroon 5 Syndrom nennen. Während aber erstere immer noch eine mehr schlecht als recht funktionierende Band sind und bei Maroon 5 immerhin noch andere Leute als Adam Levine in der Band sind, hat es Brendon Urie ja in beeindruckender Manier geschafft, sich zu einem Solisten zu machen. Wie kein Zweiter hat er einen nach dem anderen aus der Band herausgeekelt, kann aber deswegen immerhin den altbekannten Namen weiterverwenden. Das macht auch die Analyse spätestens seit "Death Of A Bachelor" sehr, sehr einfach, denn alles, was falsch läuft, ist eigentlich in der Person Uries vereint. Daran ändert auch sich auch mit dieser LP nichts, abgesehen davon, dass es ein weiterer Schritt im eindrucksvoll konstanten Abstieg ist.

 

Die oben genannten Bands stehen da übrigens nicht grundlos, denn die Probleme sind sehr ähnlich zu denen, die einem hier begegnen. Diese Übersynthetisierung der Musik, immer Hand in Hand gehend mit einer unfassbar unsympathischen Mischung aus der Verpflichtung zur charttauglichen Hook hier und übersteigerter, melodramatischer Größe andererseits, das befällt sie alle drei. Während man allerdings bisher mit Fug und Recht behaupten konnte, dass Fall Out Boy neben den Imagine Dragons die eindeutigen Meister dieser Unart moderner Popmusik sind, setzt Urie mit "Pray For The Wicked" zum Überholmanöver an. Dieses Album ist bizarr unbequem, setzt es doch vom ersten Ton an auf eine vollkommen überfrachtete Soundlandschaft, in der sich diverse Samples und vermeintliche Einflüsse aus Broadway-Welten und gar Jazz finden lassen, die aber ultimativ einfach ein produktionstechnisches Desaster darstellt. Nicht nur, dass man schon im eröffnenden (Fuck A) Silver Lining mit den unzähligen übereinander geschichteten Soundspielereien überfordert ist, man bekommt es auch mit einer äußerst fragwürdigen Kombination aus hedonistischer Nichtigkeit und klanglicher Übergröße zu tun. Warum muss alles so aufgeblasen und laut und aufdringlich sein, wenn man doch eh nichts zu sagen hat, das im Entferntesten sinn- oder gehaltvoll genannt werden könnte?

 

Es bleibt ein Rätsel, das einen das Album über verfolgt. Dass dabei High Hopes der große Erfolg der LP geworden ist, überrascht weniger, ist es doch mit seinem penetrant prägnanten Bläsereinsatz und den kitschigen Streichern noch einer der geordnetsten Songs und kann dementsprechend die starke Hook im Refrain einigermaßen verwerten. Auch das ist allerdings ein Lob, das deutlichen Einschränkungen unterliegt. Denn abgesehen davon, dass man selbst hier die Abnutzungserscheinungen dieser penetranten Wiederholungen zu spüren bekommt, stellt sich einfach die Frage, warum so ziemlich alles hier auf diese ein, zwei stupiden Refrainzeilen und deren infinite Eingängigkeit reduziert werden muss. Jetzt soll das kein Hinweis auf Illusionen meinerseits sein, wenn es um leichtgewichtige Popmusik geht. Aber hier passiert zu viel und all das klingt auch zu angestrengt und gewollt, als dass es sich rechtfertigen ließe, wie verdammt wenig dieser Mensch zu sagen hat. Selbst die ohnehin wenig gehaltvolle hyperaktive Vorstellung von Victorious oder Crazy=Genius vom Vorgänger sind dagegen noch bedeutungsschwanger.

 

Und das ist es auch, warum hier einfach nichts geht. Gerne kann man darüber schwadronieren, wie großartig nicht die Hook von Hey Look Ma, I Made It oder die von Roaring 20s oder von The Overpass ist und man hat theoretisch recht damit. Urie schüttelt teilweise wirklich starke Melodien aus dem Ärmel. Er macht nur einfach nichts damit, was man als sonderlich positiv und angenehm zu hören wahrnimmt. Die schrillen Synths von Roaring 20s tun in den Ohren weh, so ziemlich jeder der vielen Bläsersätze auf dem Album wirkt billig und kitschiger als so ziemlich alles, was Phil Collins abgeliefert hat. Und das berücksichtigt noch kaum die Tatsache, dass dieser unter der aalglatten Produktion begrabene Big Band Charme und dieser ganz leichte Hauch von Jazz in der hier gebotenen Form nichts als anstrengend und deplatziert ist. Summa summarum tut man sich schwer, irgendetwas zu finden, was man empfehlen kann. Das kann einem wohl auch kaum einer übel nehmen, wenn man mit Zeilen der Marke "Dancing is not a crime / Unless you do it without me" bombardiert wird.

 

Grundsätzlich könnte man entsprechend meinen, dass besser klingt, was geordneter und weniger überdreht ist. Das erweist sich allerdings nur bedingt als richtig. High Hopes ist zwar eindeutig einer der weniger vollgestopften Songs und wirkt stromlinienförmig entrümpelt, ist dann aber trotzdem kaum weniger penetrant als andere Songs. The Overpass wiederum erweist sich als einer der wenigen positiven Eindrücke, auch wenn einen die hyperaktive Art des Tracks und vor allem dessen repetitives Muster zunehmend auslaugen. Trotzdem ist man da in organischeren Gefilden und das große Ganze aus den schrillen Bläsern, erratischer Percussion und kurzen, knackigen Gitarreneinsätzen, die leider noch hinter dem Keyboard im Hintergrund verschwinden, funktioniert ziemlich gut, bis es einem zum Hals heraushängt. Das alles ist trotzdem ein ernüchterndes Unterfangen, im Zuge dessen man jede Hoffnung auf herausragende Minuten verliert. Wie sollte es auch anders gehen, wenn einem mit King Of The Clouds ein Song unterkommt, der klingt, als wollte Urie den Backstreet Boys im Alleingang Konkurrenz machen, Hammond Orgel und ordentliche Gitarrenarbeit hin oder her?

Doch urplötzlich ist dann da ein Hoffnungsschimmer. Er kommt zu spät, nämlich ausgerechnet ganz am Schluss, ist aber immerhin einer der Höhepunkte in Uries Karriere. Closer Dying In LA ist als aufs Wesentliche reduzierte Klavierballade das krasse Gegenteil dessen, was die LP sonst ausmacht, kann sogar die übertrieben glatte Produktion ausbügeln und mit starken Streichereinsätzen punkten. Und auch inhaltlich ist die Geschichte von der Ernüchterung, die Los Angeles nach dem überwältigenden Ersteindruck zu bieten hat, zwar melodramatisch, aber auch dank Urie für ein Mal wirklich starker Gesangsperformance nicht ohne emotionales Gewicht:

 

"Riches all around, you're walking

Stars are on the ground

You start to believe it

 

Every face along the boulevard is a dreamer just like you

You looked at death in a tarot card and you saw what you had to do

 

But nobody knows you now

When you're dying in LA

And nobody owes you now

When you're dying in LA"

 

Ein singuläres Ereignis. "Pray For The Wicked" hat davon sonst absolut nichts zu bieten und will das offensichtlich auch nicht. Ob das Ziel dagegen wirklich war, Panic! At The Disco einen guten Schritt weiter in Richtung Unausstehlichkeit zu bringen, ist eher fraglich. Das ist allerdings das, was man erreicht, wenn man etwas so penetrantes, lautes, inhaltsleeres und anstrengend ungeordnetes fabriziert. Dieses Album ist in Wahrheit ein einziger riesiger Fehltritt. Umso mehr, weil es eben nicht von einem talentlosen Wichtigtuer kommt, sondern von einem durchaus fähigen Wichtigtuer. Urie kann so einiges, wirkt musikalisch vielfältig begabt und hat ein beneidenswertes Gefühl für Melodien, ganz abgesehen von einer vielseitigen Stimme. Warum er dann alles gleichzeitig machen will und sich trotzdem gleichzeitig für die billige Leere nichtssagender Partymusik entscheidet, entbehrt einer wirklich guten Erklärung. Vielleicht ist es Selbstüberschätzung. Selbst die würde aber für etwas mit mehr Gewicht sorgen als das, was einem hier geboten wird. Das ist nämlich genauso anstrengend wie langweilig, genauso bedeutungsschwer wie frei von jeder wirklichen Bedeutung.

 

Anspiel-Tipps:

High Hopes

- Dying In LA


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