Sum 41 - Chuck

 

Chuck

 

Sum 41

Veröffentlichungsdatum: 12.10.2004

 

Rating: 9 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 23.06.2018


Desillusioniert genug, um harten Vorbildern nachzueifern und die Teenie-Seite der Band zu beerdigen.

 

Wie bei so vielen ziemlich kurzfristigen Phänomenen der Musikgeschichte ist auch der Pop-Punk eines voller Bands mit äußerst eng bemessener Zeit im Rampenlicht. Noch weniger Zeit verbringen die meistens damit, den meisten Kritikern zu gefallen, weswegen es von dieser Spezies beeindruckend wenige gibt, von denen heute noch nachhaltig wohlwollend berichtet wird. Ernüchterung ist eingekehrt in den Fanlagern von Green Day, The Offspring, selbst bei den unverbesserlichen Optimisten hinter blink-182, weil nichts mehr so ist wie damals und kein überwältigender Erfolg mehr da ist, der die oft sehr mäßige Rezeption verdecken kann. Wenn es aber schon der zweifelsfrei ersten Reihe des Genres so geht, wie schaut es da mit all denen aus, die weniger Beinfreiheit genießen und ohnehin schon mit gehörig Windschatten nach vorne gekommen sind? Die vordringliche Frage bei all denen ist dann meistens: Kennt die noch wer? Es interessiert sich einfach seit einem Jahrzehnt kein Schwein mehr für Good Charlotte, Jimmy Eat World haben es auch länger hinter sich und wer überlebt, der endet vielleicht gar so wie Patrick Stump und Pete Wentz am absoluten Boden der Musikalität. Sum 41 waren zumindest 2004 noch knapp davor, beides zu vermeiden. "Chuck" sei Dank.

 

Allerdings kann man den dritten Longplayer der Kanadier jetzt nicht wirklich als Wandlung um des Erfolgs Willen bezeichnen. Nichts daran riecht danach, noch nicht einmal die Vorgeschichte. Zwar war die Zeit der Platin-Auszeichnungen kurz und schmerzlos, aber weder war man kommerziell am Weg ins Nirgendwo, noch lässt die Musik irgendwie auf eine Kommerzialisierung schließen. Im Gegenteil, Fat Lip war massentauglicher Pop-Punk mit dezentem Draht zum Rap und damit sogar für Freunde des trendigen Rap-Rock genießbar. We're All To Blame ist dagegen eine schwergewichtige, tatsächlich sogar mit dem Thrash Metal kokketierende Härteeinlage, die sich allein schon dank der mächtigen Wechsel zwischen wuchtigen Stakkato-Riffs und melodramatischer Mid-Tempo-Balladesque als voller bestens darstellt. Warum solcherlei nun ein Triumphzug ist, liegt einerseits darin begründet, dass mit Leadgitarrist Dave Baksh und dessen Metal-Wurzeln hier und Steve Jocz mit dem kalifornischen Punk-Background da eine großartige Symbiose für unentwegten, melodisch überzeugenden Nachdruck sorgt. Andererseits könnte dem aggressiven, abgehackten Gebell von Deryck Whibley nichts mehr entgegenkommen, als inmitten der dynamischen Rifforgien eingebettet losgelassen zu werden.

 

In diesem Sinne ist ein Mehr an Inspiration aus dem Metal ein unbedingtes Plus, das sich natürlich einmal großartig mit den Überbleibseln eingängiger Pop-Lastigkeit verträgt und zum Melodic Hardcore vereint. Das kann fast nicht schiefgehen, immerhin ist es auch am Vorgänger bereits mehr als einmal aufgegangen. Dementsprechend wird nach dem mäßig stimmungsvollen, im Duett gezupften Intro mit No Reason schon einmal so angerissen, wie man es sich von einer eindrucksvollen Punk-LP erwarten würde, selbst wenn man den Strophen neben dem passenden Speed auch noch das Schäuferl Härte wünschen würde, das zum Volltreffer fehlt. Wie der ausschaut, zeigt allerdings ohnehin postwendend Angels With Dirty Faces, das mit über einem Jahrzehnt mittlerweile wohl als sicherer Höhepunkt im Kanon der Band gelten darf. Dass Whibley bereits davon den Boden ernster Texte betritt, überrascht mäßig, gelingt aber mit dem politischen Kontext bereits bravourös. Die depressiv-verzweifelte Wut, mit der er sich in Angels With Dirty Faces seiner Abhängigkeit ergibt, ist aber noch umso effektiver und prägnanter und führt zu einem gleichermaßen simplen wie effektiven emotionalen Ausbruch.

 

In diesem Sinne ist "Chuck" ein grandioser Wurf,  dem vor allem die Tracks mit dem offensichtlichsten Metal-Unterboden zum qualitativen Hoch verhelfen. Das kurze, im Besten an Iron Maiden erinnernde Welcome To Hell trägt dazu genauso einen Teil bei wie die abschließende Suite 88, die zwischenzeitlich mit vom Klavier gestützem Folk und fast symphonischer Distortion spielt, im Kern aber von dem überwältigenden, rein instrumentalen Härteexzess zur Songmitte lebt, der die stilistische Nähe zu den frühen Tagen von Metallica bestätigt und Dave Bakshs womöglich bester Moment bleibt. Dass inmitten dessen mit I'm Not The One ausgerechnet ein Song am besten wegkommt, der sich schon fast die Klassifizierung als Nu-Metal gefallen lassen muss, ist insofern etwas merkwürdig. Die unablässige Energie, die darin vor allem gesanglich steckt, überzeugt aber auf voller Länge.

 

Nun wäre es per se ein Leichtes gewesen, einfach eine LP mit Songs solcher Machart zu füllen und darauf zu warten, dass einem einige auf ewig zu Füßen liegen. Harter Stil und Inspiration durch den hautnah erlebten Bürgerkrieg im Kongo hin oder her, lässt es sich die Band aber trotzdem nicht nehmen, zumindest zwei komplette Ausreißer einzubauen, die einen unfassbaren qualitativen Absturz bedeuten. Verschmerzbar ist davon noch Slipping Away, das sich der depressiven Grundstimmung des Albums hingibt, auf dem Feld mit der Mischung aus Soft Rock und langgezogenem Streicher-Part aber nirgendwo hin findet, allein schon aufgrund der mangelnden Finesse. Weitaus schwerer wiegt Some Say, das nicht nur zum Teil ein exakter Nachbau von Handle This und damit der bis dahin erfolglosesten Single der Band ist, sondern noch dazu brustschwachem Alt Rock bietet. Der lässt jede Dynamik oder Kraft vermissen, verliert sich klanglich in einer halbgaren Nähe zum Grunge, die dann doch wieder nach prüdem Pop-Rock klingt und auch textlich als semi-sentimentale Abrechnung mit den Eltern nichts kann.

 

Bezüglich semi-sentimentaler Rockballaden hat man dann zwar immerhin Pieces und damit ein verdammt stimmiges Stückchen Einsamkeitsgeraunze im Repertoire, selbst das stört aber trotz hoher Qualität ein wenig den schwergewichtigen Fluss, der rundherum alles niederpflügt. Der Kardinalsfehler auf Seiten der Kanadier ist also eine ansonsten beinahe makellos gelungene musikalische Neuausrichtung nicht auf Albumlänge dargeboten zu haben. Hätte man das getan, der durchgehend großartigen Arbeit bei genau den Tracks nach zu schließen wäre das perfekte Album in Reichweite gewesen. Oder zumindest eines ohne große Schnitzer. Die bleiben aber nicht aus, was einem die Gesamtperformance aber so überhaupt nicht vergellt und dementsprechend nur insofern stört, als dass man mittendrin zu hören bekommt, wie bescheiden "Underclass Hero" klingen würde. Ansonsten ist es für Sum 41 das Ende der jugendlichen Dämlichkeit und stattdessen die ultimative Form der Kanadier, die danach nie wieder für mehr als ein paar Minuten zum Vorschein kommen sollte.

 


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