Saves The Day - Stay What You Are

 

Stay What You Are

 

Saves The Day

Veröffentlichungsdatum: 10.07.2001

 

Rating: 9 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 04.06.2016


Ein Plädoyer für starken Emo-Pop-Punk oder Wie ich lernte, das Weichei in mir zu schätzen.

 

Manch Genre altert gar fürchterlich. Es sind dies letztlich jene, die gerade wegen ihres Verschwindens eine Zeit, vielleicht gar eine ganze Generation definieren. Nicht unbedingt im Positiven, aber die Disco-Ära etwa hat die Leute auf die Tanzflächen gezogen, nur um ein kleines bisserl später fast jedem am Hintern zu gehen. Britpop war kurzzeitig DAS große Ding auf der Insel, nur um von der Unausstehlichkeit der Genrehelden und Radiohead begraben zu werden. Und dann war da der Pop-Punk, der uns - ok, vielleicht geht's nur mir so - ein gutes Zeiterl begleitet und geprägt hat in der Kindheit und frühen Jugend. Bei solchen Phänomenen regiert dann oft die Nostalgie und das zugedrückte Auge, um die Schwäche des Materials nicht eingestehen zu müssen. Bei mir nicht, ich steh noch immer teilweise zur Qualität des Genres. So sehr, dass der in Europa ignorierten Perle des Emo-Punk gleich ein gebührend Ständchen gesungen werden wird.

 

Natürlich gilt selbst für eine wirklich Ausnahme-LP wie "Stay What You Are", dass sie dem Genre entsprechend eine jugendliche Facette anspricht und verkörpert, die in fast jedem von uns um den 20er herum abstirbt. Es ist dies die der hormonell bedingten bipolaren Verdrehtheit zwischen "I'm a happy young fellow with no sense of responsibility" und "Ain't I the saddest guy that ever lived". In diesem Minenfeld inmitten frisch-fröhlicher, gedankenloser Gelassenheit und konstanten Emotionswallungen wird's oft schwierig. Blöderweise oft auf klischeehafte und/oder kindischste Art und Weise, sodass die in diese Richtung gehenden musikalischen Erzeugnisse ähnlichen Fehlern erliegen. Soll sein, Millionen von Dollar wurden so umgesetzt.

Dieser Umstand ist auch allein deswegen kein Problem, weil die US-Amerikaner um Chris Conley diesem Schlagloch gekonnt ausweichen und stattdessen eine vom ersten Ton an grandiose Selbstoffenbarung bieten, die sich infantilem Humor oder ungelenker Dramatik problemlos entzieht. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass sich schon Opener At Your Funeral weniger den üblichen klanglichen Mustern des Pop-Punk ergibt, sondern stattdessen in seiner gedrückten Beschwingtheit eher an den College Rock andockt. Es sind lockere, eingängige Melodien, die einem das Quartett auftischt, ohne dabei je abgestanden oder gar anbiedernd zu klingen - auch dank der erfreulich unaufdringlichen Produktion, die zwar den gewissen Feinschliff mitbringt, gleichzeitig aber an Natürlichkeit kaum zu überbieten ist.

 

Und so ist man nicht blink-182, man ist nicht Green Day, man ist schon gar nicht so etwas wie die Totengräber des Genres, Fall Out Boy. Stattdessen bringt man das Gefühl für ein poppiges Äußeres mit, das die eigentlich oft ziemlich düsteren Anwandlungen Conleys fast bis zur Unkenntlichkeit kaschiert. Songs wie Certain Tragedy oder This Is Not An Exit sind es, wo die frühen Beatles auf den Alt-Rock der 90er treffen. Es sind aber auch die Momente, die auf fast beiläufige Art feststellen:

 

"The empty space between me and the sunken walls
and feeling someone's hand around my neck
choking away the life that I have left."

 

Es ist genau diese Kombination aus anziehenden, fast sonnigen Sound-Auskleidungen und den meist ziemlich morbiden Texten, die für authentische und gimmickfreie Auftritte sorgen. Selten gelingt diese Übung so ausgezeichnet wie gleich zu Beginn. At Your Funeral ist beinahe ein Meisterwerk, in Wahrheit mit den zwischendurch leicht jangelnden, dann wieder grungig klingenden Riffs gemacht, um als großer Hit zu enden. Geworden ist daraus leider nichts, möglicherweise hat das etwas mit den Refrainzeilen: "And at your funeral / I will sing the requiem / I'd offer you my hand / It would hurt too much to see you die" zu tun, die freudvollen Gemüter nicht ganz so genehm sein könnten.

 

Für die bleibt aber ohnehin anderes. Firefly übt sich daran, die ultimative Jugendhymne zu sein, ergeht sich in süßlich-romantischen Liebesoden. Freakish wandelt dagegen auf Weezer'schen Spuren, begleitet als gesetzte Mid-Tempo-Ballade den theatralischsten Auftritt von Conley, der sich zwischen seinem charakteristischen, unbearbeiteten Jaulen und der Kopfstimme austobt. Wie das Albumwunder wirklich klingt, verrät einem aber erst Nightingale. Auf unschuldige Art berührend, auf gar nicht so kindische Art weinerlich, auf basslastige Art verdammt eingängig. In diesem gigantischen Heuhaufen mehr oder weniger gelungener Songs auf und an die einzig Wahre, den der Pop-Punk zu bieten hat, ist das hier die golden schimmernde Nadel, die man finden sollte:

 

"And feel an ocean breathing waves, feel them licking at my face
Ceilings don't exist, there are no floors beneath me
If I were king of this night, would you become my queen


And I hope your majesty that you like your position
I'll do everything I can to keep you by my side
And I'll stare off through the darkness to find us a kingdom
Just kiss me before I go"

 

Jetzt kann man natürlich sagen, ein kindisch-romantischer Sack tippe da, der einem erzählen will, das wäre tatsächlich großartige Arbeit. Und man hätte vielleicht recht - hoffen wir mal, dass es nicht so ist -, doch eine relativ einfache Rechnung zeigt, wie gut diese wenigen Minuten sind. Denn man kommt auf dem Album auch dazu, Songs zu hören, die weit genug von obigem Höhepunkt entfernt sind. Und doch, schlecht ist da keiner. Die abgehackten Riffs von Cars & Calories passen nur schwer ins Bild, harmonieren auch wenig mit dem zähflüssigen Refrain. Doch wieso nicht einmal den Schlankheitswahn einbauen? Warum nicht zwischen zwei straighten Tracks gescheiterweise das Tempo rausnehmen? Es ginge besser und auch Jukebox Breakdown tut sich schwer, mit der hohen Güte des Drumherum mitzukommen. Nie klingt man hier so sehr nach einer x-beliebigen Pop-Punk-Truppe wie auf diesem Track. Doch der Durchschnitts-Ausreißer sei ihnen vergönnt, solange mit As Your Ghost Takes Flight auch das nötige Etwas für das Aggressionspotenzial getan wird und Conley vom Hantieren mit Hammer und Nägeln am Weggefährten erzählt.

 

Welcher andere Track sollte diesen Review beschließen, wenn nicht dieser? Es ist auch ein würdiger Abschluss für eine LP, die eigentlich besser kaum sein könnte. Man kann sich natürlich an fehlender Komplexität stören, am nicht auffindbaren gesanglichen Wunder oder auch nur an der Tatsache, dass Conley ein bisschen gar viel schmachtet für einen echten Mann. Aber heute gibt es keine echten Männer mehr und wenn doch, dann sind sie hoffentlich vom Aussterben bedroht. Die übrigen wissen, dass das Weichei in uns allen seine Daseinsberechtigung hat. Saves The Day wissen, wie man genau das gekonnt einsetzt, ohne dabei ungute Grenzen zu überschreiten. Um also zum Ende auf die offensichtliche Botschaft des Albumcovers einzugehen: Im Pop-Punk ist "Stay What You Are" ganz sicher der Weizen, nicht die Spreu.

 


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