Simon & Garfunkel - Parsley, Sage, Rosemary & Thyme

 

Parsley, Sage, Rosemary & Thyme

 

Simon & Garfunkel

Veröffentlichungsdatum: 10.10.1966

 

Rating: 9 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.10.2018


Sanftmut trifft Gesellschaftskritik. Im Zentrum thront aber das harmonischste Duo aller Zeiten.

 

Die im Vergleich zu heute vermeintlich dünn besiedelte musikalische Welt der 60er oder zumindest deren in begrenzter Zahl verfügbare Aushängeschilder bieten für das Jahrzehnt einen großen Vorteil: Die Rollen sind klarer verteilt. Wo heute Dutzende Künstler um die Vorherrschaft für ein und denselben Sound kämpfen, waren damals die Nischen eindeutiger besetzt. Vielleicht ist das aber auch Vollholler und der Grund dafür ist einzig und allein, dass uns von damals hauptsächlich künstlerische Ausnahmeerscheinungen erhalten geblieben sind, während heute alles für die Nachwelt sichtbar erhalten bleibt. So oder so kann man mit Leichtigkeit sagen, dass es keine zweiten Stones, Byrds, Cream, CCR, Kinks, noch nicht einmal wirklich zweite Monkees gegeben hat in den Jahren von JFK, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon. Noch unumstößlicher ist die Tatsache, dass es nie ein zweites Duo wie Simon & Garfunkel gegeben hat und wohl auch nie geben wird. Erstklassiger Folk Rock in Kombination mit dem auf alle Zeit legendären Harmoniegesang der beiden US-Amerikaner ist eine schwer zu überbietende Großtat, die auch auf der dritten LP in beinahe vollendeter Stärke zelebriert wird.

 

Möglicherweise ist es überhaupt das Album, auf dem erstmals die ideale Balance aus den markanten, seidenweichen Stimmen der beiden Sänger und dem wandlungsfähigen, mit unwiderstehlichen Hooks gesegneten Songwriting von Paul Simon gefunden wurde. Zumindest stellt die Menge an Songs, denen man auf dieser Ebene absolut nichts ankreiden kann, einen neuen Höhepunkt für das Duo dar, genauso wie man sich mühelos aus dem engen Korsett des bisher gebotenen Folk Rock herausschält und dezente, aber äußerst ertragreiche Schritte in neue musikalische Richtungen macht. Patterns beispielsweise spielt mit proto-psychedelischen Tendenzen und deutlichem Country-Einfluss, besticht durch den starken Antrieb der Congas und mehr noch durch das elegante Zupfen an der Gitarre, deren hoher, mandolinenähnlicher Klang ein perfekter Kontrast zum vergleichsweise gesetzten Gesang Simons ist. The Big Bright Green Pleasure Machine wiederum paart den simplen Folk-Aufbau mit einem Hauch von Swing durch die Hammond-Orgel und A Simple Desultory Philippic (Or How I Was Robert McNamara'd Into Submission) parodiert Bob Dylans Subterranean Homesick Blues mit dem wohl vollsten Arrangement, das Simon & Garfunkel bis dahin zu bieten hatten. Die treibende Percussion, die Hammond-Orgel und die liebevoll mies gestalteten Mundharmonika-Parts streiten um das Rampenlicht, unterliegen letztlich aber dem einzig wahren Paul Simon, der zum Ende hin niedergeschlagen den denkwürdigen Satz "I've lost my harmonica, Albert." spricht und mit tonlosem Pfeifen die Mundharmonika imitiert.

 

Das sind alles für sich genommen keine Gründe, warum "Parsley, Sage, Rosemary & Thyme" ein denkwürdiges Erlebnis sein sollte. Dafür sorgt aber diese beispiellose Leichtigkeit, mit der die beiden hier großartige Songs formen und ihnen noch dazu oft genug eine textliche Substanz mitgeben, dass die Emotion auch ohne den konkurrenzlosen Harmoniegesang zu finden wäre. In Kombination entstehen dann aber eben Tracks wie die eröffnende Adaption der englischen Ballade Scarborough Fair/Canticle, das nicht nur einen früheren Anti-Kriegs-Song Simons mit dem traditionellen Stück kombiniert, sondern sich mit dem Zusammenspiel aus Cembalo, Gitarre und Xylophon auch einen idealen Unterboden für die buchstäblich traumhafte Performance des Duos bietet.

Allerdings täuscht der Opener über den einzigen relevanten Makel der LP hinweg, nämlich die relative Schwäche der ruhigen Balladen. Nun sind das immer noch großartige Songs wie The Dangling Conversation oder For Emily, Whenever I May Find Her, deren zerbrechlicher Klang über Jahrzehnte vorbildhaft für alle gefühlsbetonten Folk-Musiker sein sollte. Doch so sehr man in diesen Fällen auch auf die unverkennbaren Stärken der melancholischen, romantischen Ader Simons verweisen kann, geht einem bei aller Wertschätzung für die dezente Sanftheit dieser Songs mitunter der spezielle Touch ab, der etwa Patterns auszeichnet. Die wunderschöne Melodie und die ähnlich großartigen Zeilen von For Emily, Whenever I May Find Her tastet das nicht wirklich an, der verträumten Ruhe ist man aber schon viel früher überdrüssig. Cloudy ist in dieser Beziehung eher süßliches Gedudel als emotionales oder mitreißendes Liedgut und wäre dazu prädestiniert, in den Hinterzimmern des eigenen Gedächtnisses zu verschwinden, würde es einem in seiner unbeschwerten, kitschigen Art nicht dezent auf die Nerven gehen. Und dann ist da noch The 59th Street Bridge Song, der allein schon durch den Zusatz (Feelin' Groovy) seine sonnige Art eher lächerlich zelebriert, so formvollendet einem der Harmoniegesang darin auch vorkommen mag.

 

Das soll jetzt kein Plädoyer dafür sein, dass sich Simon & Garfunkel am besten von ruhig-dezenten und optimistischen Songs fernhalten sollten. Das wäre allein deswegen hirnrissig, weil The Sound Of Silence - die Originalversion, nicht das erfolgreichere Remake - oder April She Will Come in jeder das Duo betreffenden Bestenliste vorkommen sollten. "Parsley, Sage, Rosemary & Thyme" überzeugt einen aber ganz einfach an anderer Stelle. Am ehesten mit dem locker-leichten und im simpelsten Sinne folkigen Flowers Never Bend With The Rainfall, das die sonnige Ausgelassenheit von Cloudy einfach in ein lebendigeres Gewand verpackt und sich dabei keinem Kitsch hingibt, stattdessen als Fortsetzung der perfektionierten einfachen Songformeln auf "Sounds Of Silence" gelten darf. Während hier und mit Patterns durchaus Lebensfreude eindrucksvoll zelebriert wird, sind die übrigen außergewöhnlichen Minuten durchwegs mit gesellschaftskritischem Inhalt. Mit The Big Bright Green Pleasure Machine gelingt der satirische Blick auf die in Werbungen angepriesenen Allheilmittel und - zumindest diversen Interpretationen folgende - auch auf das damals an Bedeutung gewinnende Fernsehen, die Dylan-Imitation von A Simple Desultory Philippic dagegen spielt genauso mit dem einen oder anderen Seitenhieb auf Schubladisierungen in der Musik und die Verehrung des späteren Nobelpreisträgers, wie es immer wieder politische Zeilen einbaut:

 

"I been Ayn Randed, nearly branded
Communist, 'cause I'm left-handed
That's the hand I use, well, never mind"

 

Der unumstrittene Höhepunkt der politischen Seite, die die LP zu bieten hat, ist aber 7 O'Clock News/Silent Night, das die Tracklist in beklemmender Manier abschließt. Die engelsgleichen Stimmen von Simon & Garfunkel werden dabei bei ihrer Interpretation von Silent Night nicht nur mit einer gesetzten Klavier-Performance unterlegt, sondern vor allem einem Ausschnitt aus den Radionachrichten gegenübergestellt, der extra für den Song aufgenommen wurde und die Ereignisse des 3. August 1966 zusammenfasst. Und so treffen zähe Verhandlungen für ein Anti-Diskriminierungsgesetz, das House Committee on Un-American Activities bei Anhörungen zu Anti-Kriegs-Protesten oder Widerstand gegen eine Demo von Martin Luther King auf die liebliche, weihnachtliche Melodie, um gemeinsam einen bedrückenden Streifzug durch die amerikanische Gesellschaft zu bieten.

 

Mit diesem musikalisch weniger wertvollen, aber umso effektiveren Schlusspunkt wird die hohe Qualität des Albums endgültig einzementiert. Allerdings ist es auch ein höchst uncharakteristischer Ausreißer auf einer LP, die trotz erkennbarer Veränderungen immer noch zu einem guten Teil davon lebt, wie wahnsinnig gut Simon & Garfunkel stimmlich klingen. "Parsley, Sage, Rosemary & Thyme" bietet nichtsdestoweniger ein Mehr an Abwechslung und musikalischer Finesse gegenüber den Vorgängern. Das bedeutet einerseits, dass insbesondere die Up-Tempo-Songs charakterstärker und lebendiger denn je wirken, ohne dass man textlich irgendwelche Abstriche machen müsste. Gleichzeitig geht einem aber der Purismus von "Sounds Of Silence" zumindest in Maßen ab, was unter anderem daran liegt, dass sich die ruhigen Minuten des Albums nicht so konstant geben wie früher und zumindest kurzzeitig wirklich schwächeln. Dem Gesamtpaket schadet das trotzdem kaum, auch diesmal bleibt ein Klassiker des Folk Rock.

 


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