Phil Collins - No Jacket Required

 

No Jacket Required

 

Phil Collins

Veröffentlichungsdatum: 18.02.1985

 

Rating: 6 / 10

von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 04.04.2014


Der Balladenkönig mit überraschenden Schwächen in seiner Paradedisziplin.

 

Drei Grammys, 25 Millionen verkaufte Exemplare, Zuspruch von diversen Kritikern, kurz: es gab schon weniger erfolgreiche Alben. Für Collins, zur Zeit der Veröffentlichung jugendliche 33 Lenzen alt, wurde dieses dritte Werk zur kommerziellen Sternstunde einer finanziell ohnedies schon sehr lukrativen Karriere. Mitte der Achtziger befand sich der umstrittene Brite im Pop-Olymp, feierte neben seinen Solosiegeszügen auch noch große Erfolge mit Genesis.

Dabei gibt No Jacket Required viel zu wenige Argumente, diese Lorbeeren zu rechtfertigen. Weg war er, der zynische Collins, der 1981 mit dem bedächtigen In The Air Tonight für Furore sorgte. Nun also als kitschiger Süßholzraspler, als Herzerwärmer jeder Mutter. Das heißt bei Gott natürlich nicht, dass das nicht unterhaltsam sein kann. Sein nächstes Werk ...But Seriously balancierte schließlich eindrucksvoll am schmalen Grat zwischen weinerlichem Schmalz und hübschen Melodien. Das gelingt hier äußerst selten.

 

Mit dem merkwürdigen Sussudio startet die LP aber plangemäß. Echt! Denn trotz des sinnfreien Titels macht der Einiges her, ergänzen sich Drum Machine und die großartige Bläsersektion sehr gut und Collins' Stimme ist sowieso im schlechtesten Fall nur unerheblich. Überhaupt sind die Arrangements durch die Bank ordentlich und halten auch den schwächsten Moment irgendwie am Leben.

Hält die erste Seite mit dem Opener wenigstens noch eine tanzbare Nummer und eineinhalb nette Balladen in Form von One More Night und dem bemühten Long Long Way To Go bereit, so gestaltet es sich mit der zweiten Hälfte nochmal schwerer. Lediglich Doesn't Anybody Stay Together Anymore reift mit einem angenehmen Mix aus sympathischen Synthies und einem starken Drumbeat zum einsamen Höhepunkt der LP heran.

 

Das größte Manko stellen besonders im Gegensatz zum Nachfolgealbum die Balladen dar. Collins ist stets versucht, gefühlsbetont zu singen, nur, beim Hörer kommt von der Emotion herzlich wenig an. Neben dem ordentlichen, aber nicht besonders brillanten One More Night dümpeln vor allem gegen Ende die überflüssigen Hypnotika. Da hätten wir das in grandiosem Ausmaß entbehrliche Inside Out, das lustlose fünf Minuten andauert und ohne jeglichem Tempo einem schlechten Witz gleicht. Ebenso wenig interessant, aber immerhin noch musikalisch dank seiner Elektronik-Finessen beschlagener, hält es auch Take Me Home. Auch der ist viel zu lang wie eigentlich fast alles am gesamten Album. Den exklusiven CD-Closer We Said Hello Goodbye lasse ich hier mal außen vor, der hält außer seinem charmanten Intro auch nicht viel bereit.

 

Und obwohl sich das alles sehr hart anhört, ist es doch ein Phil Collins in seiner Hochphase. Die Arrangements sitzen, der Balladenkönig schwingt sich routiniert von Track zu Track, lässt sich aber gerade in seiner Paradedisziplin zu den schwächsten Momenten hinreißen. Heute steht No Jacket Required zwar für die erfolgreichste LP des Briten, allerdings ist sie gleichzeitig vermutlich die dürftigste seiner Achtzigerscheiben.

 

M-Rating: 5 / 10

 


Der lebende Schmalztigel mit überraschend viel Leben in seinem Pop-"Meisterwerk".

 

Der gute alte Phil. Der Mann, bei dem auf jedes In The Air Tonight leider auch ein That's Just The Way It Is kommen musste. Tja, mit dem Ausbalancieren hat er es nie so gehabt in seinen Balladen. Da war viel Kitsch, viel unechter Herzschmerz und in späteren Phasen bestenfalls ein wirklicher Treffer pro LP. Umso erfreulicher, dass Collins für ein Mal seine Up-Tempo-Seite in den Mittelpunkt stellt und so einen kleinen Befreiungsschlag meistert.

 

Deswegen heißt die Übererfolgssingle ja diesmal auch Sussudio und nicht, naja, man wähle selbst welche Ballade man hier sehen will. Dieser Track gilt da schon als ordentlicher Beweis für perfekten 80s-Pop. Das genau der, abseits von MJ, nie perfekt sein kann, wissen wir alle, mit seiner Synthie-Kanonade, den harten Drums und den penibel platzierten Bläsersätzen zeigt Collins hier aber vor allem eines: Fingerspitzengefühl. Denn all die 'Over-the-top'-Songs, die sich finden, egal, ob I Don't Wanna Know, Don't Lose My Number oder Who Said I Would, sie alle hauchen dieser LP mehr Leben ein, als man es von seiner großen Diskographie kennt. Alles ist perfekt aufeinander abgestimmt, die Bläser sitzen, wo man sie auch hört und selbst die Texte sind, so nichtssagend sie auch sein mögen, mehr als erträglich, weil unterhaltsam.

 

Diesem Lob muss allerdings der ordentliche kritische Aufschrei folgen. Denn, ganz richtig schon oben herausgearbeitet, die genialen Geistesblitze bleiben auch in diesen starken Momenten aus. Who Said I Would und - da hat einer mal ordentlich zugegriffen - allen voran Doesn't Anybody Stay Together Anymore sind bereits die Spitze des Eisbergs. Ersterer als wohl musikalisch aggressivster Track in Collins' gesamter Karriere, mit stampfendem Beat und kantigen Synthies und sogar, falls das überhaupt möglich ist, offensivem Trompeteneinsatz. Der andere dafür als verhältnismäßig melodische und mit nachklingendem Beat und Keyboard ausgestattete Mid-Tempo-Nummer. Selbst die reichen aber nicht in lichte Höhen, bleiben hinter Collins' einzigem Volltreffer, In The Air Tonight, doch ein Stück zurück. Alles andere zeigt sich klar positiv, stellt sich aber nett und freundlich in die Reihe der möglichen Top-Tracks.

 

Wobei, alles dann doch nicht. Ein Kompliment an meinen Kollegen fehlt nämlich noch: Die Balladen sind tatsächlich fast allesamt biedere Durchschnittsware. Long Long Way To Go und We Said Hello, Goodbye wirken durchaus atmosphärisch, gehen aber in ihrer Länge unter, One More Night darf als Paradebeispiel übelst kitschiger Balladen des Briten herhalten und was der Grund für den bedenklich tristen Auftritt von Inside Out ist, bleibt mir bis heute verborgen. Die angesprochene eine Ballade pro LP bringt er dann aber doch auch hier unter. Take Me Home heißt sie, kratzt mit ihren sechs Minuten Länge zwar auch wieder an der Schmerzgrenze, überzeugt allerdings mit ihrem spärlichen, hypnotischen Drum-/Synthie-Mix und der mitunter starken Gesangsperformance.

 

Die wichtige Front, die hier Pro-"No Jacket Required" auftritt, ist dann aber doch jene, die mehr Tempo macht. Denn, da sind wir alles andere als d’accord, Collins ist kein Balladenkönig, dessen angebliche Paradedisziplin ihm abseits von "Face Value" nur sporadische Treffer gegönnt hat. Vielmehr besitzt er durchaus Talent, wenn es um kurzweilige Up-Tempo-Tracks mit zugegebenermaßen wenig Inhalt geht. Dafür braucht's seine Drum Machine und seine Bläsersätze und genau dafür verwendet er sie hier auch oft genug.

 

K-Rating: 7 / 10

 


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