Panic! At The Disco - Vices & Virtues

 

Vices & Virtues

 

Panic! At The Disco

Veröffentlichungsdatum: 22.03.2011

 

Rating: 5.5 / 10

von Mathias Haden, 06.11.2014


Zwischen Laster und Tugend, Talent und Unvermögen - die Annäherung von Las Vegas und Vaudeville wird zum zweischneidigen Kulturschock.

 

Kennt ihr den hier noch? "Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund / die Sonne brennt dort oben heiß / wer so hoch hinaus will, der ist in Gefahr." Ratlose Mienen? Ich kläre auf: Diese Textzeilen stammen von einem Hit der deutschen Schlagersängerin namens Nicole. Gerne erläutere ich auch, inwiefern dies hier Relevanz genießt, wo doch die Überschrift schon Bürgschaft für einen Review über das dritte Album der Band aus Las Vegas ablegt. Immer noch herzlichst gerne stehe ich zu der Meinung, mit Vorgänger Pretty. Odd. ein über weite Strecken sehr überzeugendes Album von den Amis geschenkt bekommen zu haben. Diese Hommage an die glorreichen Sechziger, mit all seinen liebevollen Details und charmanten Fettnäpfchen konnte man/ich einfach nur ins Herz schließen, einer Band mit dem Namen Panic! - mit oder ohne Rufzeichen - at the Disco aber ein Klassealbum zu bescheinigen, daran stört sich die Elite allerdings nach wie vor.

 

Zurück ins Jahr 2011, in dem die Band - mittlerweile nur noch ein Duo bestehend aus Brendon Urie und Spencer Smith - nicht auf Nicoles jugendlich beherzten Tipp hören will, sich kurzerhand Ikarus' Flügeln ausborgt und mit Karacho in Richtung Helios losflattert. Wer in dieser Geschichte die Rolle des besonnenen Dädalus einnimmt ist nicht überliefert, ich tippe allerdings nicht auf Frontmann Urie. Ich mache es kurz, die beiden ereilt wenig überraschend dasselbe Schicksal wie dem griechischen Vorbild, statt einem Meeresgebiet wird aber lediglich ein zwielichtiges Album Vices & Virtues nach ihnen benannt.

 

Dabei ist der Name Programm, zwischen Laster und Tugend kämpft das Duo verzweifelt, einerseits die alte Pop-Sensibilität mit seinem nach zwei Studioalben noch unerschöpften Ideenreichtum zu verbinden und sich andererseits weiterhin treu zu bleiben. Immerhin gelingt zumindest der zweite Aspekt mustergültig. So obskur kann die Auswahl an Instrumenten, die die beiden Multiinstrumentalisten plus Begleitmusiker bedienen, gar nicht sein, Uries charismatischer, aber immerzu reichlich unsympathisch anmutender Tenor verleiht der Performance immer seinen erwünschten Wiedererkennungswert. Und so gern man seinem überheblichen Gesicht eine Dosis Tränengas verpassen würde, so sehr muss ich ihn an dieser Stelle als fähigen Leader loben. Sein Gefühl für starke Melodien und catchy Hooks kommt auch hier gut zur Geltung, unter seiner Führung gelingen wieder einige starke Darbietungen. Auf Memories rotieren zuerst U2-Gitarren und Streicher, schließlich diktiert ein Elektrobeat das Geschehen, über den ganzen produktionstechnischen Schnickschnack hebt sich Urie hinweg, lässt sich zu einem kleinen Schwelgen in Nostalgie hinreißen:

 

"Oh memories, where'd you go?

You were all I've ever known

How I miss yesterday

And how I let it fade away"

 

Das sind auch genau diese Pop-Songs, die wir von der Band hören wollten, egal ob im 60s-Outfit des Vorgängers oder wie hier im vom 80s-Wave beeinflussten. In selbige Kerbe schlagen auch das bedächtige Trade Mistakes oder das fast schon kitschige The Calendar, das trotz seinem schmalzigen Text auf musikalischer Ebene auf sich aufmerksam machen kann. Auch die zwei geglückten Soundexperimente möchte ich nicht weiter vorenthalten. Zum einen wäre da das allgemein geschätzte, vielleicht überschätzte Sarah Smiles, das mit seiner aufwendigeren Instrumentierung zwar besonders im Albumkontext einen mehr als ordentlichen Track darstellt, als Song aber nur gehobenen Durchschnitt. Zum anderen der herrlich beschwingte Closer Nearly Witches (Ever Since We Met…): Ebenfalls mit einer beeindruckenden Bandbreite an Instrumenten gewappnet, punktet dieser im Gegensatz mit Unvorhersehbarkeit, Einzigartigkeit und exzentrischem, französischem Wortwitz.

 

Bleiben wir gleich bei der Produktion. Obwohl man dieser per se wenig vorwerfen kann - von Pop bis Jazz wird hier alles zusammengeplündert, elektronische Elemente koexistieren neben Chor und Akustikarrangements -, funktioniert der Mix leider viel zu selten. Wie eingangs erwähnt hat man stets das Gefühl, hier wird zu viel gewollt. Dazu kommt noch die ambitionierte Annäherung an Vaudeville, sprich die Verschmelzung von Theater und Musik. Dass das nicht immer gut geht, haben wir letzte Woche schon bei den Kinks (Soap Opera) festgestellt. Dazu kommen noch die unfassbar entbehrlichen Instrumentalteile, die sich mancherorts am Ende des Tracks verstecken und überhaupt nicht zur Albumstimmung passen.

 

Der größte Kritikpunkt ist aber wie so oft der ordinäre Rocker. Besonders im Fokus: Die lahmarschige Synthienummer Let’s Kill Tonight, die in etwa so originell klingt wie ihr Titel, dazu noch das schwachsinnige Hurricane, auf dem trotz ordentlich Dampf herzlichst wenig zusammenläuft. Immerhin macht es die kitschige Ballade Always nicht besser ("I am the light blinking at the end of the road / Blink back to let me know").

 

Veränderungen sind gut, Veränderungen sind schön. Den Mut zur Weiterentwicklung kann und will man dem Duo Spencer/Urie auch gar nicht absprechen. Letztendlich ist ihre dritte LP, Vices & Virtues aber nicht viel mehr als ein unterhaltsamer Trip zwischen Talent und Unvermögen, guten Ansätzen und schmerzlichen Fehleinschätzungen. Somit halten sich wieder einmal Licht und Schatten, in diesem Fall die von der Band proklamierten Laster und Tugend die Waage. Und unweigerlich schwelgt man wieder in Erinnerungen an eine Nummer, die die beiden vielleicht vor den unrechten Pfaden bewahren hätte können: "Flieg nicht so hoch mein kleiner Freund / glaub mir ich mein' es gut mit dir / keiner hilft dir dann, ich weiß es ja / wie's damals bei mir war".

 


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