The Jimi Hendrix Experience - Electric Ladyland

 

Electric Ladyland

 

The Jimi Hendrix Experience

Veröffentlichungsdatum: 25.10.1968

 

Rating: 9.5 / 10

von Daniel Krislaty, 10.04.2014


Der Perfektionist haut (offiziell) das letzte Mal auf den Putz und vermacht der Nachwelt ein magisches Erbe.

 

Die Gitarren-Ikone schlechthin, die bis heute allseits als Gottheit verehrt wird, hatte sich seine Reputation im 'Summer of Love' von 1967 redlich erarbeitet und mit Are You Experienced? sowie Axis: Bold As Love zwei Dokumente jener Zeit aus dem Boden gestampft. Doch der König der Flowerpower-Bewegung und seine getreuen Kompagnons Noel Redding sowie Mitch Mitchell zeigten sich alles andere als gesättigt vom Erfolg, und setzten zielstrebig zum nächsten großen Wurf an. Dabei galt die Prämisse, ihren Blues- und Psychedelic Rock-Wurzeln zwar treu zu bleiben, aber trotzdem musikalisch nicht auf der Stelle zu treten. Als Folge dessen, beeinflusst unter anderem von den experimentierfreudigen Beatles und ihrem alles verändernden Sgt. Pepper's, erweiterte das Trio seinen instrumentalen Horizont und ließ dabei auch gerne Gastmusiker bzw. Freunde aushelfen.

 

Mit 'Es war einmal vor langer Zeit..' mag der ein oder andere beginnen eine Geschichte zu erzählen, doch nicht so der bescheidene Jimi Hendrix. Der erlaubt sich sein gesangloses Intro bestehend aus psychodelischen Klangschnipseln …And the Gods Made Love zu betiteln, um prophylaktisch vor den folgenden 15 Songs bzw. Gefühlsachterbahnfahrten zu warnen. Daraufhin taucht man sofort in den Titeltrack Have You Ever Been (To Electric Ladyland) ein, in welchem Hendrix seine Ambitionen als geschmeidiger Soul-Sänger eindrucksvoll unter Beweis stellt und gleichzeitig seinen Geschichten als promiskuitiver Womanizer eine Plattform bietet.

 

Mitreißend und dynamisch tritt der knackige Power-Rock-Klassiker Crosstown Traffic in Erscheinung, der die Vorhut zum kolossalen Voodoo Chile bildet. Dieser Titel markiert mit 15-minütiger Laufzeit nicht bloß das längste Lied des kurzen Bandzyklus auf einem Studiowerk, sondern auch ihren einzigen sogenannten 'Studio Jam'. Eigens dafür lud Hendrix nämlich mit Steve Winwood, Jack Cassidy und Larry Coryell drei Kollegen sowie rund 20 glückliche Zuschauer ein, um ihn am Ort des Geschehens zu unterstützen. All das ist der durchdachte Versuch, die auf den Alben oftmals vermisste Intimität seiner legendären Live-Auftritte nachzuahmen und schließlich einzufangen. Dabei verlieren sich die Profis rasch in einem energiegeladenen Blues-Wirbelsturm, der unaufhaltsam scheinbar alles niederreißt und einigen Genrevätern wie Muddy Waters und B.B. King, aber auch der Jazz-Galionsfigur John Coltrane Tribut zollt.

 

Im eingängigen Little Miss Sunshine, das wie Long Hot Summer Night Jimi Hendrix' psychodelischen Gitarren-Nuancen in zeitgemäße Hard Rock-Kompositionen integriert, schlüpfen Mitch Mitchell und Noel Redding erst-, aber auch letztmals gemeinsam in die Rolle des Sängers. Das unersättliche Ungetüm namens Electric Ladyland verbeißt sich daraufhin in Glanzstücke zweier Meister ihrer Fächer und lässt diese in einem neuen, originellen Licht erstrahlen. Zum einen Earl Kings Come On, dessen typischen New Orleans R&B-Stil Hendrix nicht bloß temporeicher adaptiert, sondern ebenso mit unverwechselbar erschöpfenden Riffs komplementiert. Aber auch Mitch Mitchells improvisiertes Trommeln leistet einen beeindruckenden Beitrag zum überzeugenden Gesamtprodukt und demonstriert die passende Chemie, die Mitchell mit seinem Frontman teilt.

 

Wie die Faust aufs Auge präsentiert sich All Along the Watchtower, der wohl bekannteste Track in Electric Ladylands unüberschaubarem Starensemble. Original auf Bob Dylans John Wesley Harding veröffentlicht, ließ Hendrix der Gedanke einer Coverversion nicht mehr los. So überwarf er sich mit dem unzufriedenen Redding, dem er generell im Verlauf der Albumproduktion immer distanzierter gegenüberstand, und heuerte eigens für diese Lied Rolling Stones' Brian Jones an. Doch das Ergebnis schien dem ewigen Nörgler niemals gut genug, weshalb seine Fassung über einen halbjährigen Zeitraum unzählige Male neu aufgerollt bzw. der ein oder andere Teil frisch eingespielt wurde. Gut Ding braucht eben Weile, wird seine deutlich raschere Version doch seitdem nicht bloß allgemein als eines der besten Lieder der Ära angesehen, sondern auch von dem sehr oft nachempfundenen Bob Dylan höchstselbst fortwährend honoriert und lobgepreist. Dieser begann nämlich All Along the Watchtower seit Hendrix' Tod teilweise nach dessen Interpretation als eine Art der Anerkennung bzw. Wertschätzung im Zuge eigener Live-Gigs zu spielen.

 

Der größte Clou sollte aber noch folgen. Eingeschlossen von den beiden angenehm jazzigen Faulenzernummern Rainy Day, Dream Away und Still Raining, Still Dreaming fahren Hendrix, Mitchell sowie Flötist Chris Wood das epische Weltuntergangsspektakel 1983… (A Merman I Should Turn to Be) auf. Dabei werden Küstenflair, UFOs und Seemöwengeschrei (u.a.) mit diversen Studiotricks hör-bzw. spürbar gemacht, zahlreiche Tempowechsel mit wild zusammengewürfelten Overdubs übereinander, quer sowie rückwärts gestapelt und feinste Improvisationen zu einem beinahe heillosen Ganzen zusammengeschustert. Frankensteins sprichwörtliches Monster dieser einmaligen Produktion zeigt, dass an Hendrix' visionäre Kunst auch viel Risiko geknüpft ist, das sich in diesem Fall allerdings doppelt, dreifach, oder gar zehnfach auszahlt. Der keinesfalls offensichtliche Geniestreich bleibt mit Worten jedoch kaum zu beschreiben und benötigt seine Zeit bzw. Wiederholungen, um den Hörer Stück für Stück in die dystopischen Tiefen der knapp 14-minütigen Odyssee zu ziehen. Hiermit leistete 'the Experience' auch ihren Pionierbeitrag zum Trend der immer höher werdenden musikalischen Aufwendung bei der Albumgestaltung, die in den darauffolgenden Jahren junge Bands wie Genesis, Yes oder King Crimson übernehmen sollten.

 

Es gibt noch viel über dieses Album zu schreiben und gewiss noch um einiges mehr zu philosophieren, aber im Grunde bleibt als abschließender Kommentar bloß die kristallklare Brillanz des triumphalen Albums mit dem Namen Electric Ladyland hervorzuheben. Egal, ob der ergiebige Blues von Gypsy Eyes, die politische Message hinter House Burning Down, Bob Dylans maskierter Folk-Klassiker All Along the Watchtower, das instrumentale Feuerwerk auf Burning of the Midnight Lamp oder das surreale 1983…, Jimi Hendrix und seine Band treffen die oft zitierte Kerbe zwischen Genie und Wahnsinn in nahezu perfekter Telemarklandung und lassen mich selbst nach 75 Minuten Laufzeit mit Speichelbläschen in den Mundwinkeln und rot geränderten Augen begierig nach mehr winseln.

 

Anspiel-Tipps:

- Crosstown Traffic

- Voodoo Chile

- 1983... (A Merman I Should Turn To Be)

- All Along The Watchtower


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