Serj Tankian - Imperfect Harmonies

 

Imperfect Harmonies

 

Serj Tankian

Veröffentlichungsdatum: 21.09.2010

 

Rating: 3.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 21.06.2014


Wenigstens der Titel scheint perfekt. Der SOAD-Frontmann präsentiert ein erdrückendes Monstrum aus Klassik, Electronica und Rock-Bruchstücken.

 

Ambitioniert muss man sein, ein bisschen verrückt, Talent und Gespür für Musik braucht's natürlich auch und nicht zuletzt sollte man dann noch das Richtige auf die richtige Art singen können. Größenwahnsinnig soll man nicht sein, gezwungen 'out of the ordinary', man soll auch eher nicht das Gespür dafür verlieren, wo das eigene Talent denn wirklich liegt, und erst recht nicht aus der eigenen Gesangsperformance eine alles erdrückende Operette machen. Da hätten wir also die beiden Wege, die Serj Tankian gehen kann, um aus seinen "Imperfect Harmonies" doch noch die perfekten Darbietungen zu machen und leider, es scheint ihn unweigerlich auf den unvorteilhafteren zu treiben. Nichts übrig von unheilschwangerem Metal, auch nicht von radiotauglichem Alt Rock, stattdessen wird Unverdauliches in Form von Klassik, Electronica und übertriebener Selbstdarstellung aufgetischt.

 

Das bekommt weder dem Hörer noch Tankian. Ja, "Elect The Dead", sein Solo-Debüt, war vorhersehbar und es hat zwangsläufig Vergleiche zur System Of A Down-Vergangenheit bedeutet. Aber es war auf gemütliche Art gut. Diesmal ist es auf ungemütliche Art miserabel. Der durchaus gelungene Trip in Richtung klassischer Musik mit seiner Live-LP wird hier fortgesetzt und führt zu einer pompösen, an allen Fronten übertriebenen Darbietung. Bereits im Opener Disowned Inc. wird das Album fast zur Gänze zusammengefasst. Zum eintönigen Klavier-Part mischen sich ein deplatzierter Elektronik-Beat und drückende Streicher. So plätschert der Track lange vor sich hin, bietet einen Serj, der mit seiner versucht großen Gesangsperformance zu oft übers Ziel hinausschießt und mit den trägen Harmonien nie dort hinkommt, wo ihn anno dazumal "Toxicity" hingebracht hat. Symptomatisch, auch wenn mit einem lauteren, von ordentlichen Drums unterstützten Finale noch ein klein wenig Schadensbegrenzung betrieben wird.

 

Da bleibt man noch ruhig. Schwach war sie, die Eröffnung, aber nicht schrecklich. Doch der prinzipiell anziehende synthetische Beat von Beatus ist in seiner Gleichförmigkeit keine Steigerung, vor allem weil mit einer gänzlich verzichtbaren orientalischen Bridge mitsamt kurzem Ausflug in Richtung Bombast-Soundtrack die Bestandteile des Tracks konträrer kaum sein könnten. So geht's dann weiter. Reconstructive Demonstrations gefällt als defensive Streicher-Nummer mit, na klar, elektronischer Unterstützung nur die ersten eineinhalb seiner fünf Minuten, geht danach zunehmend, wenn auch nicht gänzlich, in einem weiteren zu gesangszentrierten Setting unter. Electron kommt organischer daher, wird aber auch mit E-Gitarre und einem Drummer statt dem geliebten Computer bald zu einer trägen Übung.

 

Wer aufpasst, dürfte gemerkt haben, dass die Baustelle fast immer gleich aussieht. Tankian packt durchaus nette Spielereien hinein. In den ersten Sekunden lässt die LP mit heftigen Streichern und wuchtigen Drums kurz Aggressivität erwarten und Reconstructive Demonstrations kann auf ähnliche Art mit eigenwilligen Elektroniksounds punkten. Doch diese anfänglich ab und zu ansprechenden Ideen verlieren sich in überladenen Arrangements, die nie ohne fast ausnahmslos unnötige Streicher auskommen und so in Kombination mit dem vielfach nicht im Studio eingespielten, sondern programmierten Rest eine der störrischsten musikalischen Auskleidungen ergeben, die mir bisher begegnet sind. Dazu kommt, dass der Mann, der in früheren Tagen locker zwischen Death-Screams, frenetischem Pseudo-Rap und großartig harmonischen Passagen hin und her getänzelt ist, mittlerweile nur mehr versucht über aufgeblasene, wenig melodische Zurschaustellungen seines stimmlichen Könnens zu punkten. Zu viel spielt sich zwischen sanftem Gedudel und überbordenden, an Opernsänger erinnernden Ausbrüchen ab.

 

Und so muss man sich mit den wenigen gelungenen Happen begnügen. So einer wäre Borders Are..., in dem der dynamische Drumloop auch Tankians Gesang auf die Sprünge hilft und ihm sowohl Tempo als auch Charakter zurückgibt, was in Kombination mit den ordentlichen Keyboard-Sounds für einen trügerischen Qualitätsanstieg zu Beginn sorgt. So sehr, dass hier einer der wenigen Momente bleibt, in denen man auch auf das hört, was gesungen wird. Die großen Botschaften sind genauso zu finden wie früher, nur fallen sie oft dem unvorteilhaften Sound zum Opfer. Hier ist man schon sehr zufrieden, wenn einem wieder etwas eher alte Stärke entgegenkommt:

 

"Borders are the gallows

Of our collective national egos

Subjective lines in sand

In the water, separating everything

 

Fear is the cause of separation

Backed with illicit conversations

Procured by constant condemnations

National blood-painted persuasions"

 

Abseits davon ist man mit bodenständigem Rock, wie jenem in Left Of Center, schon sehr gut bedient, auch wenn keine Rede davon sein kann, dass man sich wirklich an die Stand-Outs des Debüts erinnert fühlt. Schon weit eher gelingt das mit Gate 21, einer wirklich mehr als stimmigen Klavier-Ballade, in der wohl zum einzigen Mal hier Tankians Hang zur Melodramatik als positives Merkmal heraussticht. Mit persönlicherem Text, passendem Streichersatz und einer großartigen Gesangsperformance in der zweiten Hälfte des Tracks kann man sich dann doch wieder fast vom Projekt "Imperfect Harmonies" überzeugen lassen.

 

Das findet ein jähes Ende mit den langweiligen balladesquen Counterparts Yes, It's Genocide und Wings Of Summer. Aber, jetzt mal ehrlich, wenn Serj Tankian tatsächlich dem Irrglauben erliegt, man würde ihn wie in ersterem armenisch singen hören wollen, dann ist ihm nicht mehr zu helfen. No offense, aber diese Sprache klingt verpackt in einen Song genauso gut, wie es Deutsch in so manchem Fall tut, und das ist kein Lob.

 

Mit dieser Fehleinschätzung schließt sich der Kreis im Großen und Ganzen. Denn diese LP scheint in sich eine einzige Fehleinschätzung zu sein. Dahingehend nämlich, dass klassische und elektronische Musik zwei äußerst schwer zu vereinende Komponenten sind, dass Tankian selbst kein Mann für ausgedehnt-epische Gesangsperformances ist und dass ihm auf alle Fälle die Fähigkeit fehlt, all das dann auch noch irgendwie auf eine Art zu verpacken, die nicht in wildem, präpotentem Durcheinander endet. Viele Seefahrer werden mir hier zustimmen: Wer sich so weit in fremdes und unbekanntes Gewässer vorwagt, darf sich mutig nennen, muss aber auch mit einem veritablen Schiffbruch rechnen. So geschehen 2010 auf "Imperfect Harmonies". Mehr Glück beim nächsten Mal.

 

Anspiel-Tipps:

- Borders Are...

- Gate 21


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