Radiohead - The Bends

 

The Bends

 

Radiohead

Veröffentlichungsdatum: 13.03.1995

 

Rating: 9.5 / 10

von Daniel Krislaty, 28.08.2014


Echter, wirklicher Gitarrenrocker der späteren Experimentaltechniker, why can’t you forget?

 

Die Beatles unserer Generation - das hätten sie wohl gern. Nein, ich zähle mich bestimmt nicht zu der eingeschworenen, fast schon kultigen Radiohead-Fanfraktion, die sich bloß über die eine Frage nicht einig zu werden scheint, ob nun OK Computer oder womöglich Kid A das beste Album der Vergangenheit, Gegenwart sowie Zukunft ist. Und trotzdem fristet mit The Bends ein Machwerk der doch eigentlich so überbewerteten Band sein bald zwanzigjähriges Dasein, das mich von Sekunde 1 bis 2917 einnimmt und darüber hinaus wohl nie wieder frei geben wird. Radioheads damaliger Durchbruch stellt die Musikwelt zwar nicht mit revolutionärem Potpourri aus experimentellen Rock und Elektronik auf den Kopf, zeigt jedoch, dass die vergleichsweise zielorientierte Produktion, verwirrende Melancholie in Stimmung als auch Texten und markante Falsettausschweifungen im Gesang von Thom Yorke ihre durchschlagende Wirkung nicht verfehlen.

 

Aber zunächst alles auf Anfang: Nachdem die Band mit ihrer Single Creep die weltweite Bühne des Mainstreams betreten hatte, aber ihr Albumdebüt Pablo Honey von Kritikern gehässig als englischnobler Nirvana-Abklatsch abgetan worden war, sah Radiohead einer intensiven, zweijährigen Dauertour entgegen. Daraufhin zeigten sich die Jungs abgestumpft gegenüber jeglicher Art von herbem Grunge-Rock, spürten jedoch den unliebsamen Atem des eigenen Egos und der Erwartungen anderer im Nacken, an den Erfolg von Creep anschließen zu müssen. Dementsprechend mühsam und langwierig gestalteten sich die Vorbereitungen für Longplayer Nummer 2, in welchen Jonny Greenwood beispielsweise exzessiv über Monate hinweg mit zahlreichen Gitarren und Verstärkern experimentierte, um sich einen ganz speziellen Sound anzueignen.

 

My Iron Lung, zuerst veröffentlicht auf der gleichnamigen EP, die dem Album vorausging, legt den schon beinahe progressiven Code offen, den einige der Songs von The Bends in sich tragen. Der sehr friedfertige Beginn entwickelt sich Zeile um Zeile zu einem massiven Klangspektakel und wieder zurück zu Yorkes geflüsterter Einsamkeit, bevor die erneute Freigabe für Radioheads rigoroses Schalltheater den Boden vollkommen unter den Füßen wegzieht. Mit ebenjenem effektvollen Kraftakt hält die Band bei Just, dem bei weitem umtriebigsten Titel des Albums, nicht lange zurück und tritt eine laute Gitarrenlawine los, welche bereits sehr gut erkennbar in die Richtung von OK Computers rockigeren Ausdünstungen wie Paranoid Android deutet.

 

Im Gegensatz dazu schanzen die in sich gekehrten Songs Fake Plastic Trees und Bullet Proof...I Wish I Was ihrem deutlich leiseren, aber immer noch reichen musikalischen Unterboden eher Kulissencharakter zu, als dass das schwerlich gesponnene Kokon der bedrückenden Aura kaum angekratzt wird und das Augenmerk automatisch auf den Text richtet. Dabei lässt sich gerade bei Ersterem eine ansonsten eher kryptisch verschlüsselte Botschaft erahnen: Die Vergänglichkeit und der Schaden, den künstliche, meist umgängliche Produkte der Menschheit in der natürlichen Umwelt anrichten. Als Anstoß dafür diente der Londoner Beschluss, in gewissen Teilen der Stadt Plastikbäume 'einzupflanzen'. Yorkes stimmliche Bandbreite, die auch noch äußerst hohe Noten zu halten vermag, kommt in solchen Momenten der Ruhe eindrucksvoll zum Tragen. Beeinflusst hat ihn diesbezüglich ein bewegendes Konzert von Jeff Buckley, woraufhin die Band das Studio aufsuchte, Fake Plastic Trees innerhalb 2 Takes im Kasten hatte und Yorke weinend zusammenbrach. Paradoxerweise kam er beim Schreiben jener Zeilen gar nicht mehr aus dem Lachen heraus, wie er später selbst angab. Ein komischer Kauz.

 

Weiters finden sich genauso sehr hymnenhafte Lieder auf The Bends ein, die die nachdenkliche Atmosphäre für unmissverständliche Rockmotive über Bord werfen. So zeichnet den Titel High and Dry, welcher ursprünglich ein grungiges Überbleibsel des ersten Albums ist, das etwas zurücklehnende akustische Gitarrenspiel und Yorkes vergleichsweise entspanntes Geträller aus. Die sonst so muskulöse Produktion, die ebenso bei Black Star ein wenig gegen Authentizität eingetauscht wird, findet auch mit einem abgespeckten Waffenarsenal aus Instrumenten die richtigen Worte und gitarrenzentrische Rhythmen um dem Album einen vielschichtigen, gut ausgewogenen Anstrich zu verleihen.

 

"I get on the train and I just stand about now that I don't think of you

I keep falling over I keep passing out when I see a face like you

What am I coming to?

I'm gonna melt down"

 

Sämtliche Songs umgibt zumindest phasenweise ein gewisses melancholisches Ambiente, das sich zumeist aus gequälten Lyrics und einem klirrend nachhallenden Klangvorleger zusammensetzt. Radioheads größter Geniestreich mit The Bends dürfte allerdings die erfolgreiche Zusammenführung von jenen gewaltigen, zum Teil ausufernden Geräuschlandschaften, die sich isoliert wohl für einige Hörer ins kulinarische Abseits schießen würden, und deren im Wesen eindringlichen Melodik sein, welche die Lieder bereits nach den ersten Hördurchgängen äußerst zugänglich macht. In gleicher Weise hält die LP jedoch ob der bemerkenswerten instrumentellen Tiefe – egal ob laut oder leise – einige neue Erkenntnisse mit jeder neuen Expedition bereit und sorgt nicht zuletzt deshalb für das verdientermaßen großartige Standing, welches sich das Album über die Jahre in meiner bescheidenen Empfindung erarbeitet hat.

 


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