Phil Collins - Testify

 

Testify

 

Phil Collins

Veröffentlichungsdatum: 12.11.2002

 

Rating: 3.5 / 10

von Mathias Haden, 27.11.2013


Englands polarisierender Sänger hat es verpasst, zur richtigen Zeit auszusteigen.

 

Nach über 30 Jahren im Showbiz dachte man, man hätte schon alles gehört vom kleinen Mann mit der Glatze. Das ist tatsächlich der Fall, seit den Achtzigern erfreute er uns mit seinen balladesken Pop-Songs und daran hat sich bis jetzt wenig geändert. Nachdem er mit dem Soundtrack zu Disneys Tarzan den Weg aus der Versenkung in die Ohren der Leute gefunden hatte, war es Zeit für das siebte Studioalbum. Zurück zu den ehemals erfolgreichen Zeiten, tendierte sogar das Albumcover wieder in Richtung 'good ol' times', man durfte sich nach dem Ausreißer Dance Into The Light endlich wieder auf ein nettes Collins-Gesicht auf der Vorderseite freuen.

 

Nachdem er auf dem besagten Vorgänger - ich zitiere - "die Drum-Machine im Keller gelassen hatte", holte Collins sie nun wieder zurück ins Studio. Wie immer schade für einen Drummer, den man bestimmt zu den besten seiner Zeit zählen darf. Dazu noch ein paar (unauffällige) Gastmusiker und viel, viel Hilfe vom besten Freund des Menschen, dem Hu...äh, Computer.

 

Leider stellt Testify nur den tiefsten Punkt seiner jahrelangen Talfahrt dar, die Soundtracks mal ausgenommen, die sollten so sein und die hat er gut hinbekommen. So kann man dem Briten, der in der Musikpresse selten als Sympathieträger dargestellt wird, nicht vorwerfen, keine Kontinuität in seine Musik zu bringen, jedes Album nach ...But Seriously 1989 schaffte es eindrucksvoll, das vorhergehende zu unterbieten.

 

Musikalisch gibt es hier wirklich nichts Außergewöhnliches, bedauerlich für einen Mann, der früher ein gutes Gespür für feine Arrangements und starke Begleitmusiker hatte. Anno 2002 ist der Zauber früherer Hits verflogen, emotionsloses Zirpen und dichte Synthiedecken bilden die neuen Klangwelten des Musikers, der einst mit Gefühl, Leidenschaft und Herz Klassesongs wie Another Day In Paradise oder Against All Odds aufnahm. Natürlich darf man einen alternden Interpreten nicht nur an seinen alten Glanzlichtern messen, aber wenn dann wirklich nichts da ist, was man bejubeln könnte, dann ist das einfach traurig.

 

Ansätze wären ja vorhanden. Don't Get Me Started lässt kurz aufhorchen und auf besseres hoffen, leider ist auch hier das kurz aufflackernde Feuer innerhalb kürzester Zeit wieder erloschen. The Least You Can Do hätte ein toller Song werden können, hätte er ihn nur Jahre zuvor geschrieben und 'richtig' bearbeitet, der hat das nötige Potenzial um zu berühren. Lead-Single und Leo Sayer-Cover Can't Stop Loving You kennt man ja, leider ist das auch nicht der erhoffte Befreiungsschlag. Und so siecht das Album, auf dem jeder Track noch unnötigerweise bis zu Längen von etwa 5 Minuten aufgeputzt wurde, eine volle Stunde lang dahin. Und warum er in jeden Refrain Overdubs einwarf, um seine lustlos wirkende Stimme um eine weitere zu ergänzen, darf auch kritisch beäugt werden.

 

Nun gut, man kann der Musik nicht vorwerfen, dass sie unerträglich wäre, und in den Ohren schmerzen würde wie manches Zeug, das heute als Dub-Step die Runde macht. Stattdessen ist Collins siebtes Album eher eine Ansammlung unspektakulärer Fahrstuhl- und Kaufhaushintergrundmusiknummern. Die tun ja auch nicht weh, man ist aber dennoch versucht, ihnen schnell zu entkommen. Nun gut, ein paar sind wirklich schwer zu verdauen. Zum Beispiel Closer You Touch My Heart, ein wahrlich konkurrenzfähiger Versuch, den langweiligsten Phil Collins-Song aller Zeiten zu kreieren.

 

Es gab eine Zeit, da wurde der ehemalige Genesis-Frontmann als großartiger Songwriter verehrt und wer die Texte von In The Air Tonight (vom Solo-Debüt) und einigen Genesis-Songs, auf denen er die vollen oder zumindest partiellen Credits hält, studiert, für den tun sich wahre Welten aus Kreativität und Schönheit auf. Und dann kauft man sich als treuer Collins-Maniac das neue Album und wird übelst enttäuscht. Die Texte sind hier einfach durch die Bank nichtssagend und komplett uninteressant. Auf Opener Wake Up Call wird man noch mit "This is your wake up call... young hearts be free" animiert. Den hätte man aber eher am Ende das Albums benötigt, sofern man überhaupt bis zum Ende durchgehalten hat.

 

Wer mit Kommerz-Pop, für den Collins ja schon ab dem Beginn seiner Solokarriere und auch mit den späten Genesis bekannt war, nicht viel anfangen kann, der ist mit diesem Werk sehr schlecht beraten; der würde aber auch mit seinen besten Arbeiten nicht warm werden können. Hier fehlt es einfach an allem, das man je an dem kleinen Schnulzensänger gut fand: Leidenschaft und das Gespür für großartige Balladen. Und wo sind die durchdachten Arrangements hin? Ach herrje.

 

Es tut mir leid das sagen zu müssen, aber mit Testify hat Phil Collins viel Kredit und vor allem jeglichen künstlerischen Anspruch, den er sich mit Tarzan wieder erarbeitet hat, verloren. Leider, leider ist das alles viel zu wenig, insbesondere wenn man auf den Namen Phil Collins hört und zwanzig Jahre zuvor noch für jeden seiner Songs gestorben ist, um ihnen den nötigen Pep zu geben. Englands polarisierender Sänger hat es verpasst, zur rechten Zeit auszusteigen. Nur gut, dass er nach einem letzten Album 2010 endgültig den Stecker gezogen hat und nicht weiter an seinem Denkmal kratzen kann. Und was sollte man als Mann, der wegen seinen Balladen geliebt wurde, auch tun, wenn es nicht einmal mehr mit diesen klappt? Ganz genau...

 


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