Michael Nesmith - Tantamount To Treason, Vol. 1

 

Tantamount To Treason Vol. 1

 

Michael Nesmith & The Second National Band

Veröffentlichungsdatum: ??.02.1972

 

Rating: 7 / 10

von Mathias Haden, 18.04.2017


Das Vermächtnis der zweiten Inkarnation als bizarrer Country-Hybrid.

 

Welche Zutaten benötigt man, um ein kühles Abgezapftes herzustellen? Wie verfahre ich, wenn ich diese beisammen habe? Fragen, um die sich nicht nur die Angelegenheiten in der Amtsstraße des einundzwanzigsten Wiener Gemeindebezirks drehen. Zählt das vermeintlich erfrischende Genussmittel doch zu den beliebtesten Getränken von Vancouver bis Johannesburg. So auch in Texas, wo Pudelmütze Mike Nesmith seine Jugend verbrachte und auch in Kalifornien, wo selbiger nach seiner Eheschließung 1963 Erfolg und Muße zu suchen gedachte. Obwohl man selbstverständlich darüber streiten kann, inwiefern er diese im weiteren Verlauf seines Lebens dort in welchem Ausmaß auch finden konnte, eine Wissenslücke vermochte er zeit seines Lebens zu schließen: Wie man Bier, genauergenommen the Papa Nes Home Brew, zusammenmischt.
Damit ist auch der Bogen von der schwierigen Einleitung geschlagen, findet sich auf der Rückseite von Nesmiths viertem Album der Post-Monkees-Karriere doch tatsächlich ein Rezept zum Herstellen besagter Spirituose. Näher möchte ich auf diese exzentrische Gefälligkeit nicht eingehen, lieber auf das nicht minder exzentrische Tantamount To Treason Vol. 1. Das wichtigste zuerst: Nein, es gibt keinen zweiten Teil und man sollte sich besser keine Hoffnungen machen. Und ja, man hört hier in der Tat die Second National Band, nicht mehr die erste der vorigen drei LPs. Im Prinzip bedeutet das nur, dass die beiden Johns, London und Ware, nicht mehr, stattdessen wie schon auf Nevada Fighter ein breiteres Line-Up an Musikern zu hören ist. Darunter allerdings auch Pedal Steel-Koryphäe O.J. Rhodes, der den personellen Wechsel überlebt hat und auch auf dieser LP eine zentrale Rolle einnimmt.

 

Zumindest, wenn sein Boss die Zügel locker lässt und die Band zu melodiösem Country mit leichten Rock-Anleihen ansetzt. Im Prinzip trifft das ja auf mehr als die Hälfte der Platte zu. Wenig überraschend, aber nicht mit vermutet überwältigendem Abstand, ist das auch die bessere. Wie soll man sich aber auch dem Charme von Wax Minute (aus der Feder Richard Stekols) mit seiner umgarnenden Melodie erwehren, ganz zu schweigen von Nesmiths gefühlvoller Gesangsdarbietung, die die akustischen Abenteuer der folgenden LP ansatzweise vorwegnimmt. Bonaparte's Retreat, dessen Songidee ins 19. Jahrhundert zurückreicht, wird von einem rumpelnden Bass angetrieben, einer schwelenden Pedal Steel plus Marschtrommeln beseelt und dem Zeitgeist entsprechend austariert. Wobei das mit dem Zeitgeist hier ein zweischneidiges Schwert ist. Denn der Country-Rock, der etwa 70% der Platte fest in den Griffeln hält, ist tatsächlich auf der Höhe der Zeit - immerhin kam im selben Jahr das softere Eagles-Debüt und machte das Genre salonfähig.

 

Ein guter Teil der anderen Hälfte gehört allerdings dem 1972 fast wie aus einem anderen Jahrhundert anmutenden, psychedelischen Gefrickel. Und Nesmiths harter Gitarre. Die sorgt am eigens verfassten Opener Mama Rocker zwar einerseits dafür, dass seine Serie von schwungvollen Albumeröffnungen eine Fortsetzung findet und dokumentiert gleichzeitig die erste Berührung mit Hard Rock, andererseits aber dafür, dass dieses aufkeimende Gefühl von entwurzelt spaciger Psychedelia immer wieder gedrosselt wird. Das kommt erst mit Highway 99 With Melange so richtig auf, welches die zweite LP-Seite, im Gegensatz zur ersten lediglich aus Cover-Versionen zusammengebastelt, eröffnet. Was der abgehobene Titel verspricht, hält die Band mit einem lässigen, aber etwas zu strukturlosen Performance, die zuerst kurze verzerrte Snippets der vorangegangen LP-Nummern durchlaufen lässt und dann in einen scheppernden Roadtrip ausufert. Noch unkommerzieller gibt sich You Are My One, das - mit lediglich einer Songzeile bewaffnet, ratet mal welcher - sich am Kunststück versucht, praktisch ohne Text und eigentlich auch ohne Musik zu überzeugen. Und dabei ebenfalls in großem Stil scheitert.

 

Wie gut die Verschmelzung von Country und Psychedelia funktionieren kann, beweist Papa Nez ja auch am sechsminütigen, balladesken In The Afternoon, das er zuerst mit einer unwiderstehlichen Melodie vorantreibt und schließlich in zerfahrenen Gitarrensequenzen auflöst. Und dabei den Romantiker in sich wiederentdeckt:

 

"Run from the false golden crust
That hides all the heartbreak and rust,
Run to the arms of your youth,
Run to the arms of the truth"

 

Diese Karte spielt er auch auf der klassischen, hier etwas satter produzierten Nez-Ballade Lazy Lady und dem unzerstörbaren George Jones-Gassenhauer She Thinks I Still Care. Nummern, die vor allem deswegen so gut funktionieren, weil Nesmith eben nicht nur ein verschrobener, Country goutierender Wolf im Pop-Schafspelz ist, sondern er im Verlauf der letzten Jahre zu einem exzellenten Sänger herangewachsen ist, der mittlerweile weit mehr Facetten aufweist, als seine Kritiker ihm je zugestanden hätten.

 

Das in Verbindung mit einer Handvoll (von 9) starker Kompositionen reichen auch schon, um einen langsamen, aber sicheren Niedergang zu stoppen. Die neue Band bedurfte nicht viel Eingewöhnungszeit, um ihre teils schrägen Darbietungen samt Synthesizer-Experimenten und Percussions einzustudieren, gleichzeitig aber diesen unvorhersehbar improvisierten Jam-Charakter der 60s-Psychedelia zu verinnerlichen. Nach dieser LP war es dann auch schon vorbei, verabschiedete sich Nesmith nach einem angeblich vom Label abgelehnten Album vom Bandleben und spielte mit Kumpel Rhodes eine akustische Scheibe ein. Der bizarre Country-Hybrid Tantamount To Treason Vol. 1 bleibt indes das Vermächtnis der zweiten National Band und eine Ode an all jene Bierfreunde, die ihr Krügerl am liebsten im Dunst drückender Atmosphäre kippen.

 


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