Michael Jackson - Off The Wall

 

Off The Wall

 

Michael Jackson

Veröffentlichungsdatum: 10.08.1979

 

Rating: 8.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 08.12.2016


Ein kongeniales Duo, ein meisterlicher Sänger und ein lockerer Auftritt vor verspanntem Superstartum.

 

Wenn man in unaufmerksamer Manier so zuhört, merkt man es oft gar nicht, dass jeder zweite Song irgendjemandem gewidmet ist. Oft mit ziemlich negativen Vibes, zumindest beeindrucken viele widmungsgeprägte Klassiker vor allem durch ihre tragische Komponente. Wish You Were Here als Ode an den komplett abgesackten Syd Barrett, Tears In Heaven als Abschiedshymne für Eric Claptons Sohn oder das für Billie Joe Armstrongs Großvater geschriebene Wake Me Up When September Ends. Also es drängt einen vielleicht eher Trauer zu einer Widmung. Andererseits gibt es I Got You Babe, Dr. Robert oder Hailie's Song, die dann doch weniger mit Tod oder Sehnsucht zu tun haben. Wer auf alle Fälle nie einen Song geschrieben bekommt, sind die Produzenten dieser Welt. Zu Unrecht! Die werden einfach nie mit feinem Liedgut bedacht. Dabei hätten es sich so mancher durchaus verdient. Quincy Jones ist zweifellos so einer, immerhin wäre ohne ihn aus Jacko vielleicht nie der King Of Pop geworden. Denn Talent hin oder her, für den großen Triumph brauchts dann doch zwei.

 

Also mindestens. Naja, auch nicht immer, aber immer öfter. Ah, Faden verloren... Auf alle Fälle war 1978 das Jahr, in dem Jones und Jackson aufeinandertrafen und diese Begegnung könnte neben des Barden Entwicklung vom Motown-Bübchen zum jungen, lockeren Mann der wichtigste Baustein am Weg zu "Off The Wall" gewesen sein. Zusammen kreierten die beiden das, was als ein erstes allzu deutliches Mahnmal der Pop-Genialität angesehen werden sollte. Nicht grundlos, immerhin scheint die fünfte Solo-LP für Jackson die einzige gewesen zu sein, bei der er sich kreativ und mit eigenem Songwriting einbringen, trotzdem aber befreit und ohne Erwartungsballast drauf los musizieren konnte. Diese glückliche Kombination macht ein Konglomerat von Songs möglich, dessen unwiderstehlich ausbalancierter Mix aus Disco, Funk und R&B mitunter alles demoliert, was von MJ später gekommen ist. Nun war er selten wirklich schlecht, ergo muss in Don't Stop 'Til You Get Enough und dem übrigen musikalischen Gemüse verdammt viel stecken. Schon in dieser seiner ersten Platin-Single selbst verbergen sich gewaltige Qualitäten, allen voran das anbetungswürdige Falsetto des Sängers. Jetzt ist der kein A Cappella-Mann und braucht die Musik. Die hat er aber ohnehin selbst geschrieben und nebst starker Hook überzeugt insbesondere der präzise Zusammenbau der funkigen Disco-Collage, dieser maßvolle Einsatz von smoothen Synthesizern, Bläsern, Streichern und der ohnehin albumüberspannend genialen Rhythm Section.

 

Was sagt es uns dann, dass der Opener auf dieser LP nur knapp das Stockerl erreicht? Genau, dass da viel Gutes wartet! Nebenbei auch, dass der Sechsminüter bei aller Sympathie für ausgeklügelte Pop-Arrangements auch gern ein Vierminüter sein dürfte, aber trotzdem. Zwar hat der Kollege in seinem Review für "Dangerous" eine Rüge an Robert Christgau gerichtet, weil der "Off The Wall" als MJs konstantestes Werk bezeichnet. Nur: Robert hat recht. Denn abseits einer kurz einknickenden zweiten Hälfte strotzt das Album vor kurzweiligem Material. Ron Temperton mischt mit drei geschmeidigen Songs mit, darunter insbesondere das romantische Rock With You als früher Beweis für die samtweichen Stärken auf stimmlicher Ebene. Dass Temperton mit seinen im R&B verhafteten Nummern den idealen Ton für Jackson nicht exakt trifft, macht dabei herzlich wenig aus, denn sowohl Rock With You als auch der Titeltrack bieten willkommene, entspannte Ergänzungen einer ersten Hälfte, in deren Musik sich eine unglaubliche Liebe zum Detail offenbart, der aber genauso die Spielfreude aller Beteiligten, insbesondere der begnadeten Rhythm Section um Paulinho Da Costa und Louis Johnson, anhaftet. Trotzdem sollte es der phasenweise markant nach Stevie Wonder klingende Closer Burn This Disco Out sein, für den man Temperton am ehesten dankbar sein darf. Der bringt in den finalen Minuten noch einmal den Flair des Beginns zurück, vereint melodisch etwas störrisch und doch gekonnt alles, was davor zu hören war.

 

Das wiederum ist dann doch nicht immer brillant. Ausgerechnet die beiden damals größten Namen, die sich als Songwriter verewigen konnten, ziehen die LP ins unschöne Mittelmaß hinunter. Paul McCartneys Girlfriend wird von Jackson gecovert zu einer reichlich süßlichen Affäre, die mit ihren kitschigen Keyboard- und Synthie-Sounds recht schnell klar macht, dass MJ als simpler Süßholzrasperl wenig taugt und auch die Mannschaft um ihn herum kaum damit umzugehen weiß. Stevie Wonder dagegen liefert das ordentliche I Can't Help It, das für sich genommen ein ansprechender Ausflug in Richtung Soul und Jazz ist, allerdings im Albumkontext latent deplatziert wirkt.
Selbst mit der direkt davor platzierten Ballade She's Out Of My Life ist das so. Vielleicht, weil die dank einer gefühlvoll-sanften gesanglichen Vorstellung mitsamt der kompletten musikalischen Reduktion deutlich stimmiger wirkt. In diesem zerbrechlichen Minimalismus entfaltet sich allemal mehr Emotion als in Wonders beschwingter Liebesode.

 

Man kann sich aber wohl so oder so ausrechnen, dass die ultimativen Stärken Jacksons anno dazumal auf ganz anderem Felde lagen. Die von ihm selbst geschriebenen Songs sind auch hier schon die besten und wenig verwunderlich erstrahlen alle im hellen Licht funkiger Disco-Sounds. Zu einer wahren poppigen Großtat gerät das im Falle von Get On The Floor, seinem vielleicht bis heute besten Track. So sehr der auch auf simple Party-Thematik getrimmt sein mag, musikalisch ist das die allerfeinste Klinge. Ein Bass zum mehrmaligen Niederknien - Bassist Louis Johnson hat den Songwriting-Credit verdient wie kein anderer -, geniale Drums und Bläserparts so perfekt eingeflochten, dass Phil Collins daneben nur neidisch verstummen könnte. Natürlich besteht die klitzekleine Möglichkeit, dass der Song nur deswegen so gut kommt, weil er durch Working Day And Night, dessen großartige Keyboard-Hook, funkige Gitarrenfetzen und lebhafte Percussion ideal eingeleitet wird.

 

Ein beeindruckendes Doppel auf alle Fälle, das nur deswegen nicht Michael Jackson beste neun Minuten ergibt, weil drei Jahre später Beat It und Billie Jean aufeinander folgen mussten. Das war aber 1979 noch weit entfernte Zukunftsmusik und daher komplett egal. Deswegen wirft das absolut keinen Schatten auf Get On The Floor, "Off The Wall" und den King Of Pop in der Blüte seiner Jugend. Ob es damit für seinen besten Longplayer reicht und wenn nein, warum doch irgendwie nicht, das ist der Nährboden für langgezogene Diskussionen - es gäbe da unten genug Platz, nicht? - und Fan-Grabenkämpfe. Ich beschränke mich auf die Feststellung, dass MJ vor den 80ern auch MJ vor den großen Erwartungen, vor den großen Zielen und vor der großen Theatralik war. Das hat verdammt viel für sich, denn die Leichtigkeit, mit der er diesen Zehnerpack förmlich aus dem Ärmel geschüttelt hat, die war nie wieder zu spüren, auch auf "Thriller" nicht. Da konnte Quincy Jones dann auch nichts mehr dagegen tun, so sehr er sich auch einen Song verdient hätte.

 


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