Maple & Rye - For Everything

 

For Everything

 

Maple & Rye

Veröffentlichungsdatum: 29.05.2020

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 23.05.2020


Musikalische Reife und Harmonie in harmlosen Formen.

 

Den Mutigen gehört die Welt! Klingt wunderbar, hat aber einige eingebaute Stolperfallen. Wer im falschen Moment und ohne Rücksicht auf die Verluste mutig ist, verendet schon einmal jämmerlich bei der beschwerlichen Flusserkundung im mythenumrankten Afrika, zettelt mit einem Luftangriff einen Krieg gegen die USA an oder kündigt im falschen Moment eine Koalition mit den Worten "Es reicht!" auf. Und sowas endet nicht gut, das weiß man. Auch Mut verlangt also nach dem nötigen Gespür für den richtigen Moment, um als kleiner, bastelnder Nerd ein IT-Imperium zu begründen und danach die Weltrettung mit einfallsreichen Toiletten anzugehen. Oder um als kleiner Rebell Italien zu vereinen. Oder um mal schnell aus einer blutigen Revolution eine Kaiserkrönung und eine Verbannung nach St. Helena mit zwischenzeitlicher Kontinenteroberung zu machen. Vielleicht hat das kein ideales Ende genommen, aber immerhin schafft man damit gleich noch die Grundlage für den Durchbruch von ABBA! Trotzdem hat die Vorsicht etwas für sich, wenn einem der Köpfler ins trübe Nass zu buchstäblich halsbrecherisch ist. Man will ja noch ein bisschen weiterleben, meistens. Nachvollziehbar ist es also auch bei Musikern, wenn wohl nicht das Höchstmaß an Risiko genommen wird, um ein Album zu einem besonderen zu machen. An den damit verbundenen Versäumnissen ändert das aber auch im Falle von "For Everything" nichts.

 

Wobei etwas schwer zu rekonstruieren ist, wie sehr Ambition und Ergebnis womöglich auseinanderdriften. Maple & Rye klingen zumindest einmal so, als wäre Großes geplant oder jedenfalls möglich. Sicherlich nicht in dem Sinne, wie es die Imagine Dragons interpretieren, was dem schwedischen Debütantenquartett einmal hoch anzurechnen ist. Will man sie und ihren schon verdammt nach vollendetem Zusammenspiel klingenden Folk-Pop dennoch mit bekannten Namen in Verbindung bringen, wird man das am ehesten mit Mumford & Sons und deren früher Arbeit tun können. Auch hier spürt man ein Faible fürs emotional Gewichtige und eine Verschmelzung lockerer, leicht countryfizierter Melodien und melodramatischer, mitunter fast kitschiger Ausgestaltung. Was Maple & Rye dabei von der ersten Minute an verkörpern, ist musikalische Reife und das damit verbundene Feingefühl für stark ausgestaltete Arrangements. Egal, ob mit dem Klavier, dem Banjo, voluminösem Trommeln oder dem einen oder anderen hellen Bläsersatz, die klanglichen Akzente kommen oft genug nicht zu kurz und umrahmen mal beschwingten, mal nachdenklichen Folk. Im allerbesten Fall ergibt das etwas wie Con Of The Century, dessen unbeschwerter Drive von den gerade erwähnten Bläsern und dem pochenden Beat getragen wird, dem auch das Miteinander von dezentem Akustiksound, feierlicher Mehrstimmigkeit und poppiger Hook verdammt gut steht.

 

Meist ist man jedoch mit deutlich weniger konfrontiert, ohne sich wirklich negativ äußern zu müssen. In deutlicheren Worten bedeutet das, dass "For Everything" oft Qualitäten beweist, davon aber nicht genug mitbringt, um es über nettes, gefälliges Terrain hinauszuschaffen. War es eine der größten Stärken von Mumford & Sons, mit dem bedeutungsschwangeren Pathos und dem mehrstimmigen, dickwandigen Sound so weit zu gehen, dass der Nachdruck imposant und eindringlich gleichzeitig war, die Emotionen klanggewaltig eingehämmert wurden. Maple & Rye sind da kleinlauter, geben sich mit Songs zufrieden, die sich natürlicher und intimer geben, dabei aber gerade so sehr an musikalischem Volumen festhalten, dass es sich auch in die ruhige Richtung nicht ganz ausgeht. Deswegen spricht aus Rebel's Run, Lorelei oder auch dem Titeltrack die Beschlagenheit einiger wunderbar auf einander abgestimmter Musiker, aber auch die mangelnde Fähigkeit, einen mitzureißen und einen Platz im Gedächtnis zu ergattern. Es ist ein angenehmer Ritt, der davon zeugt, dass die Schweden ein starkes Feingefühl dafür mitbringen, ihre verspielten Tendenzen nicht zu übertreiben und ins Kitschige zu zwingen. Stattdessen fügen sich tänzelnde Klavierpassagen und langgezogene Bläser reibungslos und harmonisch ins Bild. Aber sie hinterlassen nichts Nachhaltiges, verschwinden etwas zu schnell wieder. Abseits von der spürbaren Spielfreude von Con Of The Century vermisst man die klangliche und auch atmosphärische Prägnanz, die einen dazu bringen würde, in die Musik einzutauchen.

 

Ist einem das doch möglich, dann eher in den Minuten, die sich einer dezenten Machart verschreiben und primär der akustischen Gitarre Platz lassen. Eldorado ist ein Zeugnis davon, wie großartig der gebotene, emotionsgeladene Gesang wirken kann, wenn er die Hauptrolle übernimmt und markant, aber nicht dominant von der Musik begleitet wird. Ähnlich erlebt man in Leaving Now, dessen karge E-Gitarren-Akkorde zu Beginn eine ähnliche Rolle übernehmen und dem tristen Text das passende Setting bieten. Enttäuschen ist es da umso mehr, dass der mögliche Albumhöhepunkt durch ein überbordend pathetisches, in aufwallendem Arrangement und Chor aufgehendes Finale einem großen Teil seiner Tiefenwirkung beraubt wird.

Eine solche verpasste Chance auf einen Volltreffer kann dennoch viel wert sein, was für die LP umso wichtiger ist, da sich mit Cannonball oder dem abschließenden Albion auch wirkliche Schnarcher finden, die außer zahmer Profillosigkeit auch nicht viel bauen können.

 

Aber so ist "For Everything" nur ganz vereinzelt. Großteils lauscht man einem Quartett, das sich gemeinsam daran versucht, naturbelassenen, organischen Folk in melodieseliger, melancholischer Manier zu formen. Und diese Übung gelingt mit durchwegs deutlicher musikalischer Souveränität, sodass die Harmonie und Wärme dieser Songs nichts anderes als einen positiven Eindruck hinterlassen können. Streitbar ist nur, wie positiv der nun ist. Da den Schweden jedoch das berühmt-berüchtigte gewisse Etwas öfter abzugehen scheint, als dass es da wäre, bleibt es ein moderat gutes Fazit. Es fehlen die Höhepunkte, es fehlt der Nachhall und der Mut zum Großspurigen, den die klangliche Nähe zu den ersten Schritten von Mumford & Sons wohl bedingt hätte. Gleichzeitig erkennt man mehr als einmal, dass auch zurückhaltende, gefühlvoll-atmosphärische Reduktion einiges für sich hat, wenn sie von Maple & Rye geformt wird. Einzig der hier oft praktizierte Mittelweg, der sich zwischen diesen beiden Polen auszubreiten versucht, ist dazu verdammt, einen nicht vollends überzeugen zu können.

 

Anspiel-Tipps:

- Leaving Now

- Con Of The Century

- Eldorado


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