Love - Da Capo

 

Da Capo

 

Love

Veröffentlichungsdatum: ??.11.1966

 

Rating: 9.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 08.08.2019


Eine Band im Wandel und doch voll auf der Höhe des psychedelischen Baroque Rock.

 

Die relativ große zeitliche Distanz und die deutlich limitierten technischen Möglichkeiten der damaligen Zeit, die vom nahezu unfehlbaren Gedächtnis des Internet meilenweit entfernt waren, haben dazu geführt, dass aus den 60ern primär zwei Kategorien von Künstlern erhalten geblieben sind: Jene, die ihren Legendenstatus schon damals in kommerziellen Erfolg ummünzen konnten oder deren Langlebigkeit womöglich sogar großteils daher kommt - hüstel, Monkees... -, auf der anderen Seite jene, deren komplette Chartsferne Teil ihrer Legende ist, wie das bei Spät-60er-Loner Townes Van Zandt oder natürlich bei Velvet Underground der Fall ist. Einige wenige können allerdings weder das eine noch das andere vorweisen, sind aber trotzdem im musikhistorischen Gedächtnis geblieben. Damit wäre man unweigerlich bei Love angelangt, einer Band, die zwar Bestenlisten bevölkert, es aber gleichzeitig trotz ziemlich ausgeprägter Nähe zum Pop nie geschafft hat, eine wirklich Hitsingle oder einen großen Albumerfolg zu feiern. Diesem Umstand zum Trotz, kennt man manch ihrer Alben bis heute und das, hört man erst einmal "Da Capo", vollkommen zu Recht.

 

Die zweite LP der Band bietet dabei den nicht zu verkennenden Vorteil, dass man das damals noch einigermaßen stabile Gespann in seiner frühen Blütephase und dabei gleich noch während seiner wichtigsten künstlerischen Entwicklung erlebt. Denn der starke Einfluss von Folk-Rock-Koryphäen wie den Byrds ist genauso dezimiert wie die Verwurzelung im klassischen Rhythm & Blues. Stattdessen wird hier ein großer Schritt in Richtung des Psychedelic Rock und Baroque Pop getan, wobei Mastermind Arthur Lee sich bestens dafür geeignet erweist, die allzu süßlichen Anwandlungen des barocken Pop zur Genüge mit virtuoser Arbeit an der Gitarre und vor allem genug Härte an dieser Front zu paaren. Vermählt werden diese beiden Seiten schon im Opener Stephanie Knows Who auf überzeugende Art. Sprunghaftes Cembalo und Saxophon-Einsätze hier, prägnant trockene Drums, lockere Riffs und Lees leidenschaftliches, erratisches Bellen da. Love erweisen sich als äußerst souverän bei der Aufgabe, beides in einem Song zur Geltung zu bringen.

 

Trotzdem ist das übrige Album vordergründig etwas geordneter. Nicht, dass man in Monotonie verfallen würde, aber die musikalische Vielfalt wird in der Folge etwas mehr auf die ganze LP umgemünzt und weniger in einzelnen Songs dargeboten. Das hat Vor- und Nachteile. Der deutlichste Gewinn heißt 7 And 7 Is, der allein deswegen möglich ist, weil die romantisierenden Tendenzen, die in andere Songs eingebracht werden, hier komplett fehlen. Stattdessen bekommt man lauten, energiegeladenen Garage Rock mit Spuren dessen, was einmal Punk sein sollte. Das hat nicht nur den Vorteil, dass die Rhythm Section zur Hochform aufläuft und man raue Riffs bestmöglich einsetzt, es ist auch das ideale Setting für Arthur Lee, der zwar sonst oft genug seine sanftere Seite gezeigt hat, in Wahrheit aber hier so richtig aufblüht. Abgeschlossen mit einem dröhnenden Bombeneinschlag und gediegenen Bluesriffs ist das ein einziger Sieg. ¡Que Vida! ist ähnlich gelungen, auch wenn es nicht an das Prunkstück des Albums herankommt und noch dazu musikalisch im komplett anderen Eck zu finden ist. Keyboard und Flöte durchziehen einen Song, in dem die Gitarre nur zarte R&B-Akkorde spielt und dabei oft genug weniger auffällt als die unstete Rhythm Section, insbesondere die großartige Performance von Drummer Alban Pfisterer. Das Ergebnis ist die erfolgreichste Vermählung von Baroque Pop und traditionellerem Rock.

 

Rundherum spürt man zumindest vereinzelt, dass die Luft ganz oben etwas dünn wird. Negative Eindrücke wird man hier kaum mitnehmen können, wenigstens Orange Skies ist allerdings ein Schritt zu weit in Richtung sanfter Romantik und verliert sich in seiner süßlichen Auskleidung, die die Flöte zu prominent platziert und vor allem Lee in unkomfortabel kitschiger Form anbietet. Melodisch ist es noch immer starke Arbeit und ein blumiges Liebeslied verzeiht so manches, aber zumindest auf einer LP, die sich so großartig präsentiert, ist das ein Schwachpunkt. Und so eindrucksvoll und fast schon heroisch ein 19-minüter Rocksong zur damaligen Zeit war - immerhin fast zwei Jahre, bevor etwas wie Sister Ray Realität wurde -, ist das abschließende, eine ganze LP-Seite einnehmende Revelation auch etwas zu viel der Ambition. Phasenweise großartig und durchgehend mit dem nötigen Drive, sind es hauptsächlich die konventionellen Parts, die den Song ausmachen. Die rockigen drei Minuten zu Beginn trumpfen mit einem großartigen Gitarrensolo auf, bieten auch Lee in starker Form. Danach ist es aber ein Hin und Her, mit imposanten Lautstärkeausbrüchen und Mundharmonikaparts, dafür allerdings auch unliebsamen Saxophoneinsätzen und Lees zunehmend erratischerem Gesang, der zwar nur sporadisch einsetzt, dabei aber übers Ziel hinausschießt. Es liegt in der Natur solcher Songs, dass sie eigentlich nie zur Gänze überzeugen, sondern einen immer mit Passagen höchster Güte und solchen eher fragwürdiger Qualität konfrontieren. Immerhin, das Gesamtbild ist in diesem Fall ein eindeutig positives.

 

Wie übrigens in noch deutlicherer Manier auch bei den beiden übrigen Songs, The Castle und She Comes In Colors. Letzterer ist drauf und dran, ¡Que Vida! Konkurrenz zu machen als eindrucksvolle Symbiose der rockigen und verspielteren Seite der Band, die hier nicht zu sehr von der Flöte dominiert wird, stattdessen auch das immer gern gehörte Cembalo passend einbaut. The Castle wiederum startet als lockerer Folk-Song, der dank Lees hohem, sanftem Stimmeinsatz kurzzeitig sogar nach Simon & Garfunkel klingt, bevor durch einen Rhythmusbruch zwischenzeitlich psychedelische Anflüge das Ruder übernehmen. Insgesamt ist das allerdings der Track, der noch am ehesten an die frühen, dem Folk Rock zugewandten Tage der Band erinnert, dabei aber auf eine Komplexität auf rhythmischer und arrangementtechnischer Ebene zählen kann, die das Debüt der Band eigentlich nie erreicht hat.

 

"Da Capo" ist auch in seiner Gesamtheit eine Verbesserung gegenüber dem, womit sich Love ein Jahr vorher der Welt erstmals präsentiert haben. Und es ist einer dieser seltenen Momente, in denen ein Album sehr deutlich ein noch Teil einer Entwicklung ist, die erst ihren Abschluss finden wird, trotzdem aber selbst genug an erstklassigem Material zu bieten hat, um für sich als fertiges Meisterwerk zu gelten. Der etwas absurde Aspekt im Falle dieser LP ist allerdings, dass bis auf den Minor Hit 7 And 7 Is, der in alle Ewigkeit der erfolgreichste Song der Band bleiben sollte, kein Song wirklich klingt, als wäre es der Gipfel allen Potenzials. Stattdessen ist die Stärke von "Da Capo" die Wandelbarkeit, mit der Love auftreten, und die gleichzeitig zur Schau gestellte, beständig hohe Qualität, mit der die zwei Gesichter der Truppe um Arthur Lee unter einen Hut gebracht werden. Hier wird man konstant mit eindrucksvollen, geschmeidigen, großartig eingespielten Songs konfrontiert, obwohl man kaum einen davon wirklich zu den allerbesten zählen wird können. Ein Widerspruch? Nein, die Herrlichkeit einer Band, die es auch auf kommerzieller Ebene nicht geschafft hat, ganz vorne oder im sagenumwobenen Nirgendwo zu landen.

 


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