Lana Del Rey - Honeymoon

 

Honeymoon

 

Lana Del Rey

Veröffentlichungsdatum: 18.09.2015

 

Rating: 5.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 08.04.2017


Schlafes Schwester mit stimmlicher Eleganz beweist: Es kann doch auf die Länge ankommen.

 

Kein schlechtes Wort über den Schlaf! Er ist für gewöhnlich die unterschätzteste Beschäftigung unserer Gesellschaft. Mit der passenden Perspektive gibt es aber nichts besseres. Die, die nerven, sind im Schlaf gleich viel weniger mühsam und die, die sonst genervt werden, finden im Schlaf den Schutz der eingeschränkten Sinneswahrnehmung. Auf alle Fälle haben dann alle ihre Ruhe und die ist heutzutage sowieso rar gesäte Mangelware. Nicht nur das, es ist auch der dem Tod ähnlichste Zustand, den ein gesunder Mensch so erlebt. Das wiederum stellt ein wenig infrage, ob das jetzt wirklich die ideale Startposition für geschäftiges Treiben oder gar ambitionierte Schaffensprozesse ist. Wer schläft, werkt normalerweise nicht. Selbst als Schlafwandler ist man frustrierend unbrauchbar und wird nie ein Meisterwerk auf eine Leinwand zaubern. Dass Lana Del Rey Zeit ihres Studiolebens schläfrig und berauscht klingt, ist also schon ein erstes Hindernis auf dem Weg zur positiven Außenwirkung ihrer Musik. Es folgen ein paar andere.

 

Und zwar weniger als auf dem Debüt, aber doch wieder deutlich mehr, als sich auf "Ultraviolence" eingemischt haben. Das wiederum ist nur folgerichtig, denn auch "Honeymoon" klingt bisweilen nach einem Mischling aus den beiden Vorgängern, wenn sich die orchestrierte und vom Hip-Hop beeinflusste Selbstdarstellung mit der düster-verträumten Niedergeschlagenheit paaren. Daraus entsteht jetzt wenig Revolutionäres. Muss auch nicht sein, wobei die Veränderungsresistenz Del Reys mittlerweile ihrer unvermindert aufdringlichen Lethargie Konkurrenz macht. Als passendes Beispiel dient da am besten der Closer. Der gehört ja eigentlich Nina Simone, heißt auch Don't Let Me Be Misunderstood, klingt aber in den Händen der jungen Retro-Pop-Queen so blutleer, dass man sich nur noch über die grässlichen Keyboard-Klänge echauffieren könnte. Der Rest ist zu wenig, um aufzufallen. Wohl mit Ausnahme ihrer Stimme, die erwartungsgemäß ohnehin das Herzstück des Albums ist und damit 65 Minuten zu füllen hat, die das Profil der Singer-Songwriterin eigentlich nur mehr in Richtung noch markanterer Gleichförmigkeit schärfen.


Dementsprechend wäre es zweifellos das Beste gewesen, man hätte einfach die Playlist auf unter eine Dreiviertelstunde gestutzt und sich darauf verlassen, dass sich die erstmals wirklich betörende Sangeskunst Del Reys schon irgendwie auf die Hörer übertragen würde. Das passiert zwar ohnehin nur in Maßen, weil mit dem inneren Widerspruch lasziver Annäherung und theatralischer Gefühlsarmut schonungslos Yin und Yang aufeinander losgelassen werden, es wäre aber trotzdem noch genug starker Minuten da, um eine kürzere Laufzeit zu tragen. Gerade die Eröffnung lässt schnell erahnen, was möglich ist. Dass der Titeltrack dabei eine besondere Zurschaustellung der gesanglichen Verbesserung ist, wird einem ganz schnell klar. Genauso wie die Tatsache, dass Del Reys samtweiche Performance und ihr ungekannt starkes Tänzeln - in puncto Geschwindigkeit eher Stehwalzer, aber trotzdem - um die Backgroundbeschallung nicht alles ausbügeln kann. Die cineastische Streicherausstattung imponiert zwar insofern, als dass für die Sängerin endlich die perfekte musikalische Heimat gefunden scheint, das Label der latenten Inaktivität muss sich die Komposition aber trotzdem gefallen lassen. Hier genauso ziemlich egal wie in der folgenden Viertelstunde, die mit Music To Watch Boys To - selten dämlicher Songtitel -, Terrence Loves You und God Knows I Tried ungeahnte Konstanz mitbringt. Das alles zwar nicht mit den beeindruckenden, vereinnahmenden Vibes, die das psychedelisch dahinschwelende "Ultraviolence" gehabt hat, aber mit einer gemütlichen Sicherheit im Sound längst vergangener Jahrzehnte.

 

Klarerweise muss so etwas bombardiert werden, viel zu gut könnte sonst die Bilanz aussehen. Für Del Rey keine schwere Aufgabe, eine Rückbesinnung auf Schwachsinnszeilen und trippige Langeweile ist schnell zusammengezimmert. Dass die auch noch High By The Beach heißt und Leadsingle war, macht es dezent schwieriger, die US-Amerikanerin zu mögen. Der Hip-Hop-Beat soll angeblich gritty klingen und Bewegung in die Sache bringen. Würde nicht auffallen. Tatsächlich zerstört das Pop-Zugeständnis viel eher das, was davor durch relative Zurückhaltung und klangliche Harmonie aufgebaut wurde. Mit Freak und Art Deco wird die Sache auch nicht wirklich besser. Zuerst wähnt man sich in üblichen Abnutzungsprozessen, weil die drogenberauschte Schläfrigkeit des Ganzen eben doch keine zu großen Soundwechsel kennt. In Wirklichkeit sind aber einfach nur die Tracks relativ dämlich. Mühsam arrangiert, mit Dauerhall und klanglichen Fehlgriffen wie dem nie und nimmer zu Del Rey passenden Saxophon, daraus entstehen keine großen Minuten. Schon gar nicht mit einem Refrain wie:

 

"You're so Art Deco, out on the floor
Shining like gun metal, cold and unsure
Baby, you're so ghetto, you're looking to score"

 

In der Folge findet die Sängerin auch nur mehr zweimal wirklich zurück in die Spur. Immerhin aber unter anderem mit ihrem besten bisherigen Moment. 24 klingt nach einem würdigen Anwärter für einen Bond-Theme-Song, nutzt die übertriebene Theatralik in Del Reys Stimme und der umgebenden Musik gekonnt aus für großspurige Extravaganz. Die sich dadurch bietende Gelegenheit für eine gesangliche Sternstunde wird prompt genutzt und urplötzlich wird alles von der aufgesetzten Dame am Mikro bis zur 50er-Jahre-Instrumentierung vollumfassend gerechtfertigt. Dass das gerade deswegen gelingt, weil auf fragwürdige textliche Auswüchse oder musikalische Zeitsprünge verzichtet wird, scheint keinem aufgefallen zu sein, sonst hätte man ähnliches wohl öfter draufgepackt. So muss man sich ausgerechnet dem Track zuwenden, der die Mischung aus elektronischen Beats und barocker Klassik am besten verträgt, um noch einmal eine gute Vorstellung zu hören. Salvatore lebt von seinem mediterranen Flair und den starken Military Drums im Hintergrund, übersteht sogar eine der süßlichsten Performances von Del Rey.

 

"Honeymoon" riecht trotzdem nach einer verpassten Chance. Weil es der US-Amerikanerin fast gelungen sein könnte, ihren idealen Sound zu finden. Dass sie das nicht zumindest zu ihrem besten Album gemacht hat, ist umso merkwürdiger. Aber die Kombination aus einem Mangel an Varianten, zäher Länge und einer Handvoll Schwächlingen im Repertoire hat noch keiner LP geholfen. Warum es Lana Del Rey so nicht und nicht gelingen will, ihr stimmliches Potenzial mit ansprechenden, passenden Arrangements und vor allem der notwendigen Mehrdimensionalität zu kombinieren, damit eine Playlist rausschaut, die weder einschläfert noch nervt, muss eher sie selbst beantworten. Vielleicht mangelt es einfach nur an den kompositorischen Fähigkeiten. Sollte das so sein, wird man sich wohl weiterhin auf schläfrige Minuten, halbe Sachen und den einen oder anderen Volltreffer vorbereiten müssen.

 

Anspiel-Tipps:

- Honeymoon

- Salvatore

- 24


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