Joy Division - Closer

 

Closer

 

Joy Division

Veröffentlichungsdatum: 18.07.1980

 

Rating: 10 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 10.01.2018


Die Reise zum düstersten und hoffnungslosesten Ort, den man in sich finden kann.

 

Bei der Fülle an Alben, die es da draußen gibt, ist anzunehmen, dass fast jeder Mensch irgendwo sein ganz eigenes finden kann. Das, das ihm auf den Leib geschneidert ist, ihn in seiner Essenz beschreibt, ihm aus Herz und Hirn spricht, seine Gedanken in Songform verpackt. Ein wichtiger Weggefährte hat einmal gemeint, "Lovetune For Vacuum" und "Closer" wären die meinigen. Dass das fundamental bedenklich ist, sei dahingestellt, mir würde aber selbst in meinen sonnigsten Momenten nicht einfallen zu bestreiten, welche extreme Nähe da zwischen dem Wesen dieser LPs und dem meinigen besteht. Auf alle Fälle ist die Nähe zur vollkommenen Dunkelheit und zum Ende aller positiven Gefühlsregungen bei diesen Exemplaren nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch "Lovetune For Vacuum" kennt den emotionalen Ausbruch und zumindest das Zerbrechen von Hoffnung, sodass sie irgendwann einmal da gewesen sein muss. "Closer" dagegen, das ist die Emotionslosigkeit, es ist das Fehlen von Wärme, nicht ein schlichter Abschied, sondern der fehlende Glaube an alles entfernt Gute und die vollendete musikalische Verkörperung der Tristesse und seelischen Postapokalypse. Ein Meisterwerk eben, ein beinahe gefährliches.

 

Diese Gefahr wird nicht unbedingt gemildert durch das Wissen darum, dass der Verfasser der Texte dieser neun Songs, Ian Curtis, bereits aus eigenen Stücken den Tod gewählt hatte, als "Closer" veröffentlicht wurde. Demnach kann die LP beinahe als Autobiographie des Briten mit dem tödlichen Innenleben verstanden werden, auch wenn das bei den Aufnahmen noch keiner wusste. Angeblich war noch nicht einmal schlechte Stimmung im Raum und Curtis wären die Zeilen beinahe zugeflogen. Vielleicht ist gerade das der Beweis dafür, wie allumfassend bestimmend die beschriebenen Zustände bei Curtis mitunter gewesen sein mussten.

Der Rest der Band war trotzdem geschockt vom Ableben, was bei allem Respekt skurril anmutet, nimmt man sich der Botschaften an, die mit dem unheilvoll intonierten "This is the way, step inside" von Opener Atrocity Exhibition eingeläutet werden. Ein sadistisches Publikum auf der Tribüne, ein Schauspiel zwischen seelischer Freakshow und finalem Gladiatorenkampf in der Arena, das ist als Eröffnung einer LP ein so dramatisches Zeichen, dass man von der erdrückenden Schwere des Songs beinahe erschlagen wird. Nicht etwa, weil die Musik so sehr auf ebensolche Akzente setzen würde. Abgesehen von den markanten, düster schallenden Tribal Drums mutet wenig derartig infernalisch an, selbst die zur Unkenntlichkeit verzerrten, unmelodischen Riffs können wenig gegen den lebhaften Charakter des Tracks ausrichten.

 

Doch die Lebhaftigkeit ist nicht einmal Fassade, sie ist die höchste Form des Zynismus, wird sie von Zeilen wie:

 

"In arenas he kills for a prize
Wins a minute to add to his life
But the sickness is drowned by cries for more
Pray to God, make it quick, watch him fall"

 

begleitet und damit ad absurdum geführt oder aber zumindest in ihre sadistischste Form verwandelt. Diese Kombination wird in der Folge nur deswegen seltener, weil sich "Closer" mit jedem Track tiefer eingräbt in die komplette Schwärze. Nur das weithin gefeierte Isolation kann mit seinem pulsierenden Bass - der noch jeden Track hier unterschwellig dominiert - und den schrillen Keyboard-Lines eine Sprunghaftigkeit andeuten, die beinahe darüber hinwegtäuscht, dass die integrale Botschaft des Songs "I'm ashamed of the things I've been put through / I'm ashamed of the person I am"
lautet. Wo immer her sich Curtis seine Zeilen damals geholt hat, was immer sie hervorgebracht hat, den baldigen Untergang des Sängers nicht vorherzusehen, war vor diesem Hintergrund schlichte Naivität.

 

Umso offensichtlicher wird das, taucht man weiter in das Album ein. Obwohl sich mit A Means To An End oder Twenty Four Hours noch aus dem Jahr, das "Unknown Pleasures" gebracht hat, stammende Tracks finden, die dem trockenen, effektfreien Rock frönen und durch ihren Up-Tempo-Sound im ersten Moment anderes nahelegen, versinkt die LP immer weiter in einer Atmosphäre, die außer Enttäuschung, undurchdringlicher Negativität der eigenen Person gegenüber und lähmend emotionsloser Rezitation größtmöglicher Tragik nichts kennt. Curtis' tiefes Röhren, sein autoritär anmutender Monolog werden selbst noch im kargen, The Cure vorwegnehmenden Klavier-Epos The Eternal immer und immer eindringlicher und unerbittlicher, während sich die elektronischen Facetten der Band zunehmend darauf versteifen, trotz effektvoller Produktion und nicht gezwungen düsterem Sound jede Form von Optimismus aus der Musik zu verbannen. Das gelingt eigentlich immer, weil die Beats eine militante Härte oder aber tödliche Kargheit anvisieren, die beide keinen Widerspruch gegen Curtis' Vorträge erlauben, weil der Bass im Alleingang die dynamische Komponente abdeckt und damit dem in abweisendsten Formen erklingenden Keyboard und dem dürr-schroffen Sound der Gitarre umso mehr Gelegenheit geben, die atmosphärische Kraft der Tracks zu steigern.

 

Und die ist in der Folge immens. So sehr, dass man im Vergleich "Unknown Pleasures" ausgelassene Momente zusprechen würde. Seinen gleichermaßen glorreichen wie erschreckenden Höhepunkt erreicht das ausgerechnet mit dem Finale Decades. Dessen schrille Key-Hook, kombiniert mit der monoton trabenden Rhythm Section, kann einen nur aufgewühlt zurücklassen, ergibt allerdings mit den immer dominanter werdenden sphärischen Passagen und Curtis' gleichermaßen kalten wie aussichtslos emotionalem Auftritt ein umso verstörenderes Ganzes, dessen dramatisch-epische Komponente nur die grausam tonlos vorgetragenen Zeilen verstärkt. Und was passend mit einer Einladung in die Manege der Dunkelheit beginnt, endet mit dem hilflos wiederholten Frage "Where have they been?" Dazwischen vervollständigt unter anderem ein bizarrer Volltreffer wie Heart And Soul das Bild, dessen Rhythm-Section-Loop den wohl aggressivsten Song der LP dominiert. Damit umrahmen Bass und Drums perfekt den vielleicht düstersten, jemals das Ende von Liebe und Zweisamkeit beschreibenden Text aller Zeiten, dessen Ein-Satz-Refrain allein eine mächtige negative Gravitation ausstrahlt: "Heart and soul, one will burn."

 

In diesem und jedem anderen Moment ist "Closer" nicht nur ein musikalisches Meisterwerk, das durch seine kurzen, in erdrückender Monotonie erstarrenden Arrangements und die ausgehöhlte und dem klaustrophobischen Effekt entgegenspielende Produktion ausgezeichnet wird. Es ist auch ein lyrisches Meisterwerk. Inwieweit Curtis an seinen Zeilen gefeilt hat oder nicht, wird nie mehr so ganz zu ergründen sein, auf alle Fälle sind es zerfressende Darstellungen seelischer Untiefen und so greifbar reale Erzählungen von komplett desillusionierter Hoffnungslosigkeit, dass man beinahe Gefahr läuft, die rundum genialen Metaphern des Briten zu ignorieren. Was in sich bereits wieder irrelevant ist, weil man der emotionalen Wirkung der LP nur schwer standhält. Selbst in den wenigen Momenten, die sich kein überschwängliches Lob verdienen, allen voran dem störrisch unrhythmischen Colony, passiert nichts außer der Verfestigung eines negativsten denkbaren Geisteszustandes.

 

Und in dem findet man sich am Ende wieder. Umso eher, da sich "Closer" trotz des wenig positiven Beginns immer weiter nach unten arbeitet und mit jedem Track trostloser und kahler wirkt. Was einen zu einem Scheidepunkt bringt, an dem man entweder an der alles andere als einladenden Natur des Albums und den unvergleichlich bedrückenden Texten abprallt und nie wieder kommt oder aber den Weg beschreitet, der einen in das dunkelste Eck der eigenen Gedankenwelt führt, einen dort ankettet und zurücklässt ohne dass noch irgendwo der kleinste Lichtschein übrig bleiben würde. Dort und nur dort liegt "Closer", vielleicht kann man es auch nur dort wirklich verstehen und vor allem nachempfinden. Ist man dort, hört man 2656 perfekte Sekunden, die die negativsten Emotionen so fehlerfrei beschreiben und erfahrbar machen können, dass allein das bereits erschreckend ist.

 


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