Eminem - Recovery

 

Recovery

 

Eminem

Veröffentlichungsdatum: 18.06.2010

 

Rating: 5.5 / 10

von Daniel Krislaty, 10.01.2014


Eminem steht vor einem Neuanfang, 'Relapse 2' am Arsch.

 

Marshall Bruce Mathers a.k.a. Eminem gehört nicht bloß zu einem der dominierenden Figuren der Musiklandschaft der 00er-Jahre, sondern mit Sicherheit auch zu den heftig umstrittensten Personen des Popuniversums. Einige verehren ihn für seine Musik bzw. Texte und mindestens ebenso viele verabscheuen ihn für seine zahlreichen Aussetzer, die er sich im Laufe seiner langen Karriere geleistet hat. 'Der Erfolg gibt ihm Recht' wäre kein zufriedenstellendes Argument, um all seine Ausschweifungen, Beleidigungen und fragwürdigen Entscheidungen zu rechtfertigen. Doch mit Recovery ist das Ende des Jahrzehnts erreicht und es scheint vergleichsweise ruhig um den blonden Hitzkopf geworden zu sein. Keine Skandale oder ausufernden Rivalitäten bzw. Fehden plagen die Seele des heimlichen Sensibelchens, das sich zu meist erfolgreich hinter der rauen Schale verbirgt.

 

Auf Recovery, zu Deutsch 'Erholung' oder 'Besserung', schlägt sich Eminem ungewohnt offen und reumütig. Vorbei sind die Tage, als er Mariah Carey oder Moby aufs Korn genommen hat. Nicht falsch verstehen, Kraftausdrücke bleiben einem auf der Reise durch das Album nicht erspart, doch zumindest wirken sie nicht mehr so unwillkürlich und überflüssig wie beispielsweise am Vorgänger Relapse.

 

"So please accept my apology, I finally feel like I’m back to normal", lässt Eminem bereits am zweiten Track, Talkin' 2 Myself, seine werte Hörerschaft wissen und entschuldigt sich bei der Gelegenheit auch bei seinen Kollegen Lil‘ Wayne und Kanye West, die er aus Eifersucht über deren Erfolg plante in Form neuer Lieder verbal zu attackieren und so wieder einen sinnlosen Streit vom Zaun gebrochen hätte. Doch dieses Mal wusste er es besser und gratuliert beiden sogar zu der verdienten Anerkennung seitens Fans und Kritikern. Nettigkeiten unter konkurrierenden Rappern an der Spitze der Nahrungskette – eine feines wie seltenes Spektakel.

 

Doch weiter im Programm, immerhin wurde Wiedergutmachung versprochen! Mit den 4 Singles begegnet man den zugänglichsten und - Überraschung, Überraschung - besseren Titeln des Albums. Auf Not Afraid mimt Eminem noch das gewohnte Alphatier, das sich von nichts erschüttern oder gar aufhalten lässt und gewährt einen kleinen Ausblick auf die Thematik der Rehabilitierung, die er mit Recovery anstrebt. Man merkt einen deutlich ernsteren Ton als noch in den Jahre zuvor, was auch der minimalistischen Beats-Abfolge im Hintergrund geschuldet ist.

Düster geht es ebenso in Love the Way You Lie weiter. Begleitet von einer sich selbst übertreffenden Rihanna, erzählt Eminem von einer aussichtlos scheinenden Situation der häuslichen Gewalt. Die Tatsache, dass Rihanna, selbst Opfer eines vergleichbaren Vorfalls, Teil des Liedes ist, sorgte für viel Aufsehen und war der Popularität des Titels sehr zuträglich.

 

Ähnlich wie bei Not Afraid steht auch hinter No Love eine relativ simple Produktion, welche lediglich das Lied What is Love von Haddaway als 'Sampler' mit gemächlichen Rhythmen kombiniert. Das Ergebnis kann sich nicht zuletzt dank Lil' Waynes starkem Gastauftritt sehen lassen.

 

Schlussendlich stellt das interessante Space Bound die finale Single innerhalb Recovery's dar. Während die dichte Atmosphäre begünstig durch nette Gitarrenarrangements äußerst positiv in Erscheinung tritt, bleibt die textliche Botschaft hinter dem Titel wohl der Eigeninterpretation überlassen. Ruhige Melodien und ein leicht einprägsamer Refrain machen ihn für eine breite Masse empfänglicher. Außerdem wurden Teile von R.E.M.'s Drive sowie Nick Caves und Warren Ellis' Song for Bob clever wiederverwertet.

 

Für Furore sorgt Eminem mit dem hochemotionalen 25 To Life, seinem besten Track seit Mockingbird oder Like Toy Soldiers. Der musikalische Aufbau ähnelt Space Bound, wobei sich Unterschiede durch den melancholischen Refrain und heftigeren Text abstecken lassen.

 

"Always in a rush to get back to you

I ain't heard you yet

Not even once say you appreciate me

I deserve respect

I've done my best to give you

Nothing less then perfectness"

 

Mit Eminems altem Mentor Dr. Dre zurück im Producer-Stuhl markiert So Bad das Familientreffen auf Recovery. Wie zu erwarten, resultiert daraus ein protziges Hochlebenlassen der eigenen Person als ein brillantes Genie namens 'Slim Shady', das seinen Erfolg 'den aufgemotzten Genen seines Vaters verdankt'. ("Now, it all started with my father / I must’ve got my pimpin' genes from him") Seinem Alter Ego 'Slim Shady' zollt Marshall Mathers auch noch am folgenden Track, Almost Famous, Tribut. Allerdings zählen beide Titel zu den eher schwächeren, die das Album zu bieten hat. Und von denen gibt es genug.

 

Neuanfang und Umgestaltung schön und gut, aber hätte Eminem nicht auch einmal den Aufbau seiner Tonträger überdenken können? 'Weniger ist mehr' scheint dem 78(!)-minütigen Werk und dessen Schöpfer fremd zu sein. Obwohl er bestimmt nicht als einziger Rapper mit diesem Problem den Hörer überfordert, scheint Eminem dem ganzen immer noch die Krone aufsetzen zu wollen und überfüllt das Album dementsprechend konkurrenzlos. Sobald man die Reise mit dem langweiligen Hidden Track Untitled beendet, fühlt man sich erschöpft und hat das nagende Gefühl, dass man in der Zeit locker 2 Alben konsumieren hätte können. Davon abgesehen schafft es 'Slim Shady' nicht, die ewig lange Tracklist zu rechtfertigen.

 

Damit ist auch schon der größte Kritikpunkt dingfest gemacht: Die müßige Frage nach der instabilen Qualität innerhalb des Albums. Wie sieht das Verhältnis der guten zu den eher schlechteren Liedern aus und wie gravierend präsentieren sich die Niveauunterschiede. Bedenkliche Tracks sind zum Beispiel On Fire, Won't Back Down, Seduction, Cinderella Man, So Bad und Almost Famous, die Eminem seinem Publikum ersparen bzw. auf eine Deluxe Version oder Ähnlichem packen hätte können. Es muss ja kein 30-40 minütiges Pop-Maß sein, aber ein Kompromiss mit ca. 50 Minuten wäre Recovery mit Sicherheit zugutegekommen.

 

So begegnet uns 'Slim Shadys' siebentes Studiowerk mit neuen und altbekannten Charakteristika. Die Struktur bleibt wohl oder übel erhalten und zieht das Werk etwas tiefer als einige Tracks es vermuten lassen. Musikalisch sowie textlich sind der Aufschwung als auch die thematische Veränderung zum schwachen Vorgänger Relapse positiv bemerkbar. Die Vermutung, dass sich teils Sarkasmus und Selbstironie hinter dem ein oder anderem Lied verbergen, ist bestimmt legitim, nachdem niemand davon ausgehen kann, jemals eine Kehrtwende zum politisch korrekten, stets besonnen Bürger Marshall Mathers zu sehen. Nichtdestotrotz wirkt Eminem anno 2010 gefestigter und mit den damaligen 38 Lenzen am Buckel als hätte er seine Spätpubertät endlich überwunden oder zumindest besser im Griff.

 


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