Apocalyptica - Cult

 

Cult

 

Apocalyptica

Veröffentlichungsdatum: 02.10.2000

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 03.03.2021


Die Cello-Metalheads feiern das Millennium mit dröhnender Verzerrung, Kitsch und konserviertem Genie.

 

Es ist immer schön und beruhigend, wenn man sich auf andere verlassen kann. So ganz ohne Hilfe geht es ja auch nicht, wenn mal Hürden und Schwierigkeiten auftauchen. Auf der anderen Seite kann sich aus dem Wissen, dass da doch jemand ist, der einem unter die Arme greift oder bei dem man beherzt zugreifen kann, auch eine gewisse Bequemlichkeit und ein Mangel an Eigenständigkeit ergeben. Das gilt es tunlichst zu verhindern, immerhin sollte man doch auch auf eigenen Beinen stehen können. Im Falle der finnischen Meister des instrumentalen Symphonic Metal von Apocalyptica wurde diesem Credo Rechnung getragen, indem nach einem zur Gänze der Reproduktion von Metallica-Songs verpflichteten Debüt zunehmend auf den Aufbau eines ureigenen Repertoires geachtet wurde. Auf "Inquisition Symphony" trotz starker Resultate noch zaghaft und überschattet von immerhin breiter gefächerten Covers, ist das Quartett mit der dritten LP und der Jahrtausendwende an jenem Punkt angelangt, an dem die Wiederaufbereitung bestehenden Materials nur mehr eine Art Sahnehäubchen  ist. Der eigentliche Ohrenschmaus sind dagegen eigene Kompositionen, die auf "Cult" zwar gleich noch einige neue Soundideen mitbringen, dadurch aber auch eklatante Schwächen im Vergleich zum Vorgänger verursachen.

 

Denn diesmal klingt das nicht nur deswegen anders, weil man sich nicht mehr bei jedem Track an ein bekanntes Original erinnern darf und abzuwägen hat, ob denn nun das oder doch die finnische Interpretation davon treffender ist, sondern auch wegen zweier Innovationen auf Seiten der Band. Zum einen hatte man offenbar die ersten Versuche auf der vorangegangen LP, die eigenen Celli durch Verzerrungen wie krachende Metalgitarren klingen zu lassen, derart liebgewonnen, dass sie hier oft genug die Szenerie dominieren und ein dröhnendes Spektakel erzeugen. Zum anderen darf bei diesem nun erstmals auch perkussionistisch mitgewirkt werden, sodass hinter den röhrenden Strichen mit dem Cellobogen und den eleganten übrigen Einsätzen des Instruments nun auch hier und da das Becken angeschlagen wird oder - weit häufiger - wuchtige, voluminöse Trommelschläge ertönen.

Das ist selbstredend eine deutliche Steigerung der selbstauferlegten Verpflichtung zu einem möglichst epischen Klangbild. So wuchtig, monumental und betondick richten sich da teilweise Soundwände vor einem auf, dass Phil Spector mit seiner Wall of Sound daneben ganz klein ausschaut. Im Falle eines so explosiven, energiegeladenen Starts wie dem, den Path darstellt, ist das auch eine willkommene Sache. Da erliegt man dem Charme der krachenden Gitarrenimitation genauso schnell wie dem hellen Winseln der übrigen Celli, während im Hintergrund die gehetzte Percussion, durchzuckt von einzelnen nachhallenden Trommelschlägen, noch zum gefühlten Tempo und Nachdruck beiträgt. Weil die Finnen es da, ähnlich wie bei Harmageddon auf dem Vorgänger, mühelos schaffen, ihre Komposition wie eine symphonische, an Dramatik nicht zu überbietende Version einer breitschultrigen, kraftvollen Heavy- oder Thrash-Metal-Einlage klingen zu lassen, bleibt einem fast nichts als Jubel übrig.

 

Problematisch ist dagegen, dass sowohl der Fokus auf Eigenkompositionen als auch der klangliche Wandel schwierige Nebenerscheinungen mit sich bringen. Um es kurz und knapp auf den Punkt zu bringen, ist "Cult" trotz aller spürbaren Qualität und manch glanzvoller Inszenierung und Ausgestaltung von Songs zu oft ein Opfer dröhnender Lautstärke und kitschiger Übersteigerung. Das macht einem Tracks wie Struggle oder Romance, die ein bisschen Enter Sandman und Nothing Else Matters in Erinnerung rufen, jetzt nicht madig, aber es beraubt sie ihrer Tiefenwirkung, weil man irgendwann im Songverlauf immer unweigerlich an den Punkt gelangt, an dem einem Ungereimtheiten auffallen oder es zu viel von allem wird. Teils zu abrupte, etwas unelegante Stimmungs- und Lautstärkenwechsel helfen da genauso wenig wie eine generelle Atmosphäre, die Hans Zimmers Arbeit wie Understatement wirken lässt und die packende, mitreißende Epik des Vorgängers unfreiwillig überzeichnet. Deswegen ist Hope weniger das atmosphärische, irgendwie hoffnungsvoll, irgendwie melancholisch, irgendwie dramatisch klingende Spektakel, das es gerne wäre, sondern eher ein schmalziger Brocken, dem die flehenden Celli genauso wenig helfen wie die drückend verzerrten, schleppenden Stakkatos und die wuchtigen, überpräsenten Trommeln. Mag sein, dass dieses Gemisch im zweiten, mit Gesangsunterstützung durch Matthias Sayer aufgenommenen Part viel besser klingt, der ist aber nur auf der Special Edition zu finden und hilft dem ersten nicht. Außerdem hat es ja im Falle von Path einwandfrei geklappt, einen erstklassigen instrumentalen Part zu krieren und trotzdem einen passablen zweiten mit gesanglicher Verstärkung durch Guano-Apes-Frontfrau Sandra Nasić zu machen und den zu einem ersten internationalen Charterfolg werden zu lassen. Es muss also auch bei Hope mehr möglich sein.

 

Tatsächlich entstehen trotz dieser Unzulänglichkeiten relativ wenige wirkliche Schwachpunkte. Diese schmerzen dafür, insbesondere im Lichte dessen, dass die Vorgängeralben ohne solche Fehltritte ausgekommen sind, recht deutlich. Coma ist auch aufgrund seiner fast sieben Minuten Länge ein spürbarer Ausrutscher, schafft es nicht, das atmosphärische Potenzial des angespannten, langsamen und drückenden Intros je wirklich weiterzuverfolgen und verläuft sich stattdessen im Cello-Winseln. Das klingt nie wirklich emotional oder eindringlich, sondern bewegt sich statisch ohne Spuren an einem vorbei, bis es in eine sinnfreie Reproduktion des Intros mündet und damit ausklingt. Dem gegenüber steht direkt danach in der Tracklist eine Interpretation des legendären Hall Of The Mountain King von Edvard Grieg, die jedoch meist dermaßen lärmend und krachend ist, dass ihr jegliche spürbare Leichtigkeit abhanden kommt und irgendwann im hektischen, lauten Cellogewirr nicht einmal mehr der Ansatz jener Eindringlichkeit, düsteren Atmosphäre und doch fantasievoll verspielten Qualität übrig bleibt, die der Komposition innewohnt. Und wenn es weder düster-episch, noch virtuos klingt, wird es unweigerlich zur anstrengenden Übung, die fast parodistische Züge annimmt.

 

Auf der anderen Seite finden sich immer noch jene Momente, die die bekannte Genialität des Quartetts ausreichend würdig einfangen. In Memoriam schafft es, einleitend die Celli klassisch einzusetzen und sie eine requiemartige Stimmung aufbauen zu lassen, diese aber umso plötzlicher durch einen brachial-furiosen Metalpart zu ersetzen und genauso abrupt den Schwenk zurück zu machen, ohne dass man große Einbußen bei einem der beiden Parts hinnehmen müsste. Eher im Gegenteil ergänzen sich diese klanglichen Pole unerwartet gut. Hyperventilation ist dagegen trotz eines unterschwellig brodelnden, langsam seinem Ende zuschleichenden Finales eher der durchgehenden Wucht verpflichtet. Nach kurzer, gezupfter Ankündigung des kommenden Ausbruchs, startet die Band erst mit surrender Verzerrung los, um bald in einen schwergewichtig stampfenden Trab zu verfallen, diesen mit düsteren Zupfern zu akzentuieren und zur Songmitte zu einem unerbittlichen Stakkato zu steigern, bei dem Wucht und hohes Tempo auf starke Cello-Akzente und klangliche Finessen treffen. Dem Fokus auf eigene Kompositionen zum Trotz ist auch eines der beiden verbliebenen Metallica-Covers unter den stärksten Momenten des Albums. Zwar sind die passendsten Songs längst auf den vorangegangenen Alben aufgebraucht worden, die Aufarbeitung von Until It Sleeps lohnt sich aber dennoch, weil die verzerrten Klänge hier in Anlehnung an das Original als starker Gitarrenersatz dienen und die hellen Cello-Einsätze insbesondere als Ersatz des Gesangs passend unterlegen.

 

Dennoch ist von Begeisterung keine Spur und nach einer Vorstellung für die Ewigkeit wie jener von Nothing Else Matters auf dem Vorgänger sucht man vergeblich. "Cult" ist ein Entwicklungsschritt und als solches wohl unausweichlich in Anbetracht dessen, dass Apocalyptica nicht ewig auf Metallica-Songs werden bauen können und sich bereits angekündigt hat, dass sich das finnische Quartett durchaus auch mit eigenen Kompositionen behaupten kann. Das passiert auch hier, allerdings auf einem ultimativ bescheideneren Niveau, das nur von vereinzelten wirklich positiv nachhallenden Stücken aus dem Durchschnitt gerissen wird. Die neuen Facetten des gebotenen Sounds summieren sich nämlich insgesamt nicht zu wahnsinnig viel, auch wenn sie potenziell Raum für größeren Variantenreichtum bieten. Eingesetzt werden sowohl die übermäßig dominanten Verzerrungen als auch die Percussion jedoch hauptsächlich, um die Lautstärke und vermeintliche Epik der Songs auf ein Maß zu erhöhen, das zu oft übertrieben scheint und in melodramatischen oder lärmenden Kitsch abzurutschen droht. Es spricht wiederum für die Qualität von Apocalyptica, dass sich dennoch so viele grundsolide und lohnende Minuten ausgehen. Ein Sieg der Balance und der klanglichen Finesse ist "Cult" aber nicht unbedingt.

 

Anspiel-Tipps:

- Path

- Hyperventilation

- Until It Sleeps


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