Alanis Morissette - Jagged Little Pill

 

Jagged Little Pill

 

Alanis Morissette

Veröffentlichungsdatum: 13.06.1995

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 20.01.2017


Ehrlich währt am längsten, harmoniert dann aber doch nicht mit jeder kommerziellen Musikmixtur.

 

Manchmal ist das mit dem Kritisieren schon ein bisschen schwierig. Jetzt nicht nur, weil die Anhängerscharen mitunter in ihrer Größe doch schwerer zu überblicken sind und dementsprechend fast einschüchternd wirken können, sondern auch, weil ja da manchmal so wahnsinnig viel projeziert wird auf die Damen und Herren Musiker. Da ist dann nicht mehr einfach nur ein gutes Album da, die Welt wurde in ihren Grundfesten erschüttert und irgendein mehr oder weniger in die Nische verbannter Menschenschlag hat plötzlich ein Sprachrohr gewonnen. Ja, was will man denn darauf noch sagen?! Und dann erst bei Alanis Morissette, die nach einhelliger Meinung das in die Welt hinausgejault hat, was sich in den 90ern alle Frauen, bei denen noch ein Zweier vorn gestanden ist, gedacht haben sollen. Ein falsches Wort und man hat ein ganzes Geschlecht gegen sich. Gut, für mich irgendwie keine wirkliche Veränderung, außerdem wäre es vielleicht ohnehin Zeit für eine kurze Reevaluierung des Stellenwerts einer jungen Kanadierin mit dem Herz auf der Zunge. Allein, sie hat 33 Mio. verkauft damals.

 

Und mir ist nicht so ganz klar wieso. Also irgendwer hat "Jagged Little Pill" aufgenommen, damit Morissette nicht mehr in dem merkwürdigen Dance-Pop herumschwimmt, der ihre ersten beiden LPs bestimmt. Soweit klar und auch, dass dann jemandem die Single You Oughta Know vor die Füße gefallen ist, dieser jemand einigermaßen beeindruckt war und das durch schnelles Handeln auch an andere weiterzugeben gedachte. Hat hingehaut und das nicht unberechtigt. You Oughta Know ist allerdings auch ein unberechtigtes Exemplarstück für das Album, immerhin geigen mit Dave Navarro und Flea die halben Red Hot Chili Peppers dieser Jahre auf, verleihen dem Bass und der Gitarre Nuancen, die man sonst bestenfalls mit der Lupe suchen könnte. Deren dynamische Performances vertragen sich blendend mit dem starken Beat und genauso mit Morissettes wütender Darbietung, um die die ganze Musik aufgebaut wurde. Es sollte aber diesmal auch ein seltener Moment bleiben, in dem die exzentrische Ehrlichkeit der Sängerin ihren Texten wirklich auf die Sprünge helfen kann:

 

"I want you to know, that I am happy for you
I wish nothing but the best for you both
An older version of me
Is she perverted like me?


Would she go down on you in a theatre?
Does she speak eloquently
And would she have your baby?
I'm sure she'd make a really excellent mother"

 

Jetzt ist das mit hoher Wahrscheinlichkeit einigen zu viel der Offenheit in persönlichen und sexuellen Fragen, allerdings harmoniert das in diesem Fall immerhin mit Auftritt und Atmosphäre. An anderer Stelle schmeckt das Gesamtrezept doch ein Stück weniger. Wobei "Jagged Little Pill" immerhin dahingehend faszinierend ist, als dass es eine der beständigsten LPs ist, die mir je untergekommen wären. Nur auf sehr moderatem Niveau. In Wahrheit kann sie beinahe machen, was sie will, sie landet immer in einem Bereich, in dem man ihrer Arbeit Qualitäten zugestehen will, ohne die Songs in ihrer vollen Laufzeit wirklich schätzen zu können. Das romantische Hand In My Pocket ist zwar dank seines kitschigen Untertons irgendwie liebenswert, steckt aber mitsamt der unnötig eingebauten Mundharmonika im Tal der angriffslosen Nettigkeit fest. Mehr noch passiert das dem impertinent fröhlichen You Learn, dessen höllischer Refrain dann doch etwas zu viel an den Nerven nagt. Trotzdem versinkt sie nur mit dem Kitschbrocken Perfect, einer dieser unnötigen, halbruhigen Alternative-Balladen, tatsächlich in tieferes Terrain. Da passt dann auch wirklich wenig, unter anderem, weil dieser Frau mit ihrem überakzentuierten Gesang nicht die Aufgabe gegeben werden sollte, das Rampenlicht stimmlich allein auszufüllen. Das geht sich nicht aus, nur mit diesen verpuffenden, soften Akkorden am Sechssaiter und ein paar Basszupfern.

 

Natürlich muss es aber die positiven Seiten geben, sonst kommt ja das Rating aus dem Nirgendwo. Und tatsächlich steckt in dem Zwölferpack an Tracks doch ein Melodiegefühl, das den großen Erfolg ein bisschen einleuchtender macht. Zumindest die passenden Hooks haben Morissette und Produzent Glen Ballard schnell einmal gefunden. Letzterer scheint auch mitbekommen zu haben, dass man Songs jetzt nicht zwingend überladen muss. Trotzdem muss man auch ihm vorwerfen, dass das Gemisch aus 5% Grunge, 60% Pop und 35% U2-eskem Schleifmaschinen-Rock aus einander neutralisierenden Bestandteilen zusammengesetzt ist. Dadurch schraubt er der Sängerin dann auch den Plafond deutlich herunter, weil sich in Songs wie Right Through You oder dem überinstrumentierten Viereinhalb-Minuten-Drama Mary Jane nichts so entfalten kann, wie es idealerweise sein sollte. Einzige Ausnahme ist wiederum Morissette, nur dass deren Stimmgewalt - im etwas wörtlicheren Sinn des Wortes - noch am ehesten zur Zurückhaltung gemahnt werden sollte.

 

Deswegen ist auch nur mehr Platz für zwei wirklich starke Momente. Der eine ist mit Ironic weithin bekannt und nicht etwa dadurch zum Albumfavoriten geboren, weil Substanz oder Virtuosität vorherrschende Merkmale wären. Es ist einfach nur ein flüssiger, mit starker Hook gesegneter Pop-Song, klarerweise hitfähig und, wenn man ihm nur lange genug entfliehen konnte, auch mit dem Charme des typischen, rockinfizierten 90er-Charttoppers versehen. Daneben bleibt vor allem der Blick auf den Closer Wake Up, der mit seinen alleingelassenen Gitarrenzupfern archetypisch beginnt, sich aber bald zu einer stimmig arrangierten Mid-Tempo-Ballade entwickelt, der vor allem Morissettes stimmliches Understatement sehr viel nützt. Selbst im Refrain lässt sie sich da für ein Mal nur zu kurz angebundenen lautstarken Ausbrüchen hinreißen, bleibt sonst bei sanftmütigen Harmonien.

 

Hätte man öfter gebrauchen können. So ist "Jagged Little Pill" auf der einen Seite der zum Album gewordene musikalische Mittelweg, ein bisschen fleischig, ein bisschen fischig, ganz sicher auch etwas gemüsig. Auf der anderen Seite steht Morissette und ihr Mitteilungsbedürfnis, das sicherlich aller Ehren wert ist, aber phasenweise inhaltlich zu seicht anmutet, um den leid- und problemgeplagten Ton vieler Songs wirklich zu transportieren. Deswegen kommt kein großes Ganzes beim Hörer an. Die Schnittmenge der Einzelteile ist ein gutes Stück zu klein, um das Projekt wirklich zu etwas musikalisch Wertvollem werden zu lassen. Für eine feministische Großtat hat es angeblich doch gereicht und eine ganze Generation von jungen Musikerinnen soll sich an ihr orientiert haben. Aufgefallen wär das weniger, aber das macht ja nichts.

 

Anspiel-Tipps:

- You Oughta Know

- Ironic

- Wake Up


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