Ramones - Ramones

 

Ramones

 

Ramones

Veröffentlichungsdatum: 23.04.1976

 

Rating: 9.5 / 10

von Mathias Haden, 14.09.2014


Die Geburtsstunde des Punk: Vier falsche Brüder über das New Yorker Alltagsleben und die Antithese zum Rock der 70er.

 

"Hey ho, let's go

Hey ho, let's go

Hey ho, let's go

Hey ho, let's go

 

They're formin' in a straight line

They're goin' through a tight wind

The kids are losin' their minds

Blitzkrieg Bop"

 

Ein Startschuss, ein Umschwung, ein Stück Weltkulturerbe. Wo wären wir nur ohne diese Zeilen, wo ohne die folgenden knapp neunundzwanzig Minuten des selbstbetitelten Debütalbums? Natürlich dreht sich die Welt immer weiter, wären Dee Dee, Johnny, Joey und Tommy nicht zur Stelle gewesen, um gegen vorherrschende 70er-Bombastgruppen wie Emerson, Lake & Palmer oder Pink Floyd mit ewiglangen Soli und Instrumentalpassagen zu rebellieren, die Bombe wäre früher oder später woanders geplatzt. Sei's drum, ist sie nun einmal nirgendwo anders als in Forest Hills, Queens bzw. im beliebten Club CBGB (perverserweise 1973 als Country, Bluegrass und Blues-Schuppen eröffnet worden) in Manhattan.

Punk war also geboren, dem Ramones’schen Verständnis nach bedeutete das stets: schneller und schlichter Rock’n’Roll, trocken runtergespielt.

 

Nachdem man sich eingefunden hatte, Joey vom Schlagzeug ans Mikro des mit Bass und Gesang überforderten Dee Dee beförderte und in Tommy, der immer mehr an den Geschicken der Gruppe als an der Musik interessiert war, den Richtigen für den freien Platz gefunden hatte, war man reif für Größeres. Dee Dee fungierte als primärer Songwriter, als proletarischer Alltagspoet und als legendärer Einzähler, Johnny war beharrlich darauf fokussiert, einerseits zum schnellsten Gitarristen aller Zeiten zu mutieren, andererseits irgendwann eine Million Dollar gescheffelt zu haben, leitete die Band aber mit großer Hingabe und leicht totalitärer Hand und Joey identifizierte sich mit den Idealen seiner Band. Nun aber genug der Hintergründe, die bei so einem sagenumwobenen Werk natürlich nicht fehlen dürfen.

 

Trotz textlichem Minimalismus, einem der wesentlichen Elemente der eigenen Philosophie, hat das Quartett mehr zu sagen, als so manche überkandidelte Progband. Auch wenn man selten über den Tellerrand des New Yorker Alltagslebens blickt. 53rd & 3rd erzählt die Geschichte eines männlichen Prostituierten, der darüber klagt, niemals einen Stricher abzubekommen. Letztlich bekommt er einen ab, nur um ihn mit einer Rasierklinge zu töten und sich selbst zu beweisen, dass er gar nicht homosexuell ist ("Now the cops are after me / But I proved that I am no sissy"). Schauplatz der Geschichte wird eine New Yorker Ecke, die für Prostitution bekannt ist. Gerüchten, die von Dee Dee persönlich immer unkommentiert blieben, zufolge, hatte er sich früher auch immer wieder prostituiert, um seine Heroinsucht zu finanzieren. Klingt furchtbar düster, in seiner comichaften Skizzierung und der lockeren, von 50s- und 60s-Pop und Surf Rock-Einflüssen gezierten Ausführung kommt es aber nie dazu, anders als fröhlich flippig zu tönen.

Today Your Love, Tomorrow The World zeichnet ein satirisches Bild eines romantischen 'Nazi-Schatzis', mit Chain Saw zollt Joey dem Horrorfilm 'Texas Chainsaw Massacre' Tribut und I Don't Wanna Go Down To The Basement wird zum herrlichen Anschauungsmaterial für Joeys schlampig naiven Gesang.

Die Verwirklichung der Ramones-Idee und des vorher angesprochenen Textminimalismus erlebt Ramones aber auf Judy Is A Punk, der Inbegriff jeder gelungenen Punknummer. 1:33 Spieldauer und drei Strophen, von denen die zweite so geht: "Second verse, same as the first!" und die dritte so: "Third verse, different from the first!", nur um von der Originalstrophe keine drei Wörter zu verändern. Dazu kommen noch der legendäre Opener und anfangs zitierte Blitzkrieg Bop, das gewalttätige und gleichzeitig charmevolle Beat On The Brat, die Beatles-esque Ballade I Wanna Be Your Boyfriend und die Hymne der Punkgeneration schlechthin, die Schnüffelode Now I Wanna Sniff Some Glue. Und wer einen vermeintlichen Liebessong mit I Don't Wanna Walk Around With You betitelt, der hat Mut zum Extravaganten und - oh ja, daran wird der einfache Mann der Suburbs gemessen - Eier in den engen, zerfetzten Hosen.

 

Bei all der simpel gehaltenen Raffinesse und der sprudelnden Euphorie meinerseits sei aber etwas gesagt, etwas von einem Wehrmutstropfen. Dieser findet sich in Form der Produktion. Und damit meine ich nicht die minderwertigen Bedingungen, unter denen das Album mit nur 6000$ Kosten und einer Woche Aufnahmezeit im Kasten war. Auch, weil ich die Abmischung mit Dee Dees treibendem Bass in einem Kanal, Johnnys Gitarre mit seinen simplen und griffigen Riffs im anderen wunderbar einzigartig und passend finde. Nein, worauf ich hinauswill ist die Entscheidung, den harten Gitarren ihre Dynamik und Wucht, die besonders Rocket To Russia daneben noch einen Wink stärker erscheinen lassen, zu rauben und das tut retrospektive betrachtet furchtbar weh.

 

Vierzig Jahre nach Gründung der Band bereitet die Lobhudelei für die vier falschen Brüder immer noch viel Spaß, auch das Debüt hat bis heute nichts von seinem schmutzigen Glanz verloren. Die Produktion der folgenden beiden Alben hätte es zwar noch besser gemacht, dafür wäre man jetzt um ein authentisches Startwerk ärmer. Als erstes Studioalbum der Band erreichte es übrigens 2014 in den U.S.A. Goldstatus mit 500 000 verkauften Einheiten, knapp die Hälfte von dem, was Lil Waynes Tha Carter III in nur einer Woche absetzen konnte (Just sayin‘!).

"One, Two, Three, Four!" ruft Dee Dee, danach ist der Teufel los. "Hey ho, let's go!" schreit Joey, und die Vorkehrungen für einen Triumphzug sind abgeschlossen. Superb, superb! schreibe ich, und gebe die einzig logische Bewertung ab.

 


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