Rammstein - Sehnsucht

 

Sehnsucht

 

Rammstein

Veröffentlichungsdatum: 22.08.1997

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 28.04.2016


Ein Gimmick-Feuerwerk mit klanglichem Upgrade und doch kaum vorhandener Standardabweichung.

 

Es soll ja tatsächlich Leute geben, die auf dieser Seite Reviews lesen. Eine vom Aussterben bedrohte Rasse und mir wäre in freier Wildbahn noch kein Exemplar begegnet, aber es soll sie geben. Diese Leute haben zuallermindest einen kleinen Wissensvorsprung, nämlich den, dass man mich unter den Musikhörern eher nicht zu den normalen zählen würde. Indizien dafür gibt es viele, so zum Beispiel ein rigide durchgezogenes Bewertungssystem und insbesondere meine Feststellung, dass mich nichts auf dieser Welt zu einem Konzert mit Tausenden kreischenden, auf Körperkontakt abfahrenden Fans und ca. 0,2 m² an zugestandenem Platz bringen könnte und mögen auch Joy Division noch einmal mit Ian Curtis aufspielen. Ein weiterer Hinweis auf die Grenzwertigkeit meines Musikkonsumenten-Daseins ist die Tatsache, dass ich Rammstein nicht für ein Konglomerat mühsamer Vollidioten halte. Wobei, mühsam schon manchmal, aber auf LPs gebannt weit seltener, als es den Deutschen zugestanden wird. In den besten Momenten war von kindischem Shock-Rock nichts zu merken, stattdessen regierte eindrucksvoll inszenierte, atmosphärische und eingängige Metal-Monotonie. "Sehnsucht" schafft es nicht ganz dorthin.

 

Aber zumindest teilweise ist die Aufgabe erfüllt, denn das Album bietet ziemlich monotonen Metal mit vitalisierendem Industrial-Touch. Dieses Rezept ist einfach und weil das gar so praktisch ist, belässt man es auch in puncto Songstruktur bei der Einfachheit, entledigt sich großen Stil- oder Tempobrüchen. So banal, wie das klingt, ist es eigentlich auch. Doch das Rammstein'sche Erfolgsmodell hat noch nie auf hintergründiger Arbeit oder komplexer musikalischer Ausgestaltung aufgebaut. Stattdessen ist es schlicht die direkte, kompromisslose Exekution, die ihre zweite LP mehr als all ihre anderen charakterisiert und ausmacht. "Sehnsucht", das sind von Produzent Jacob Hellner ausgehöhlte, aufs Rohe fokussierte Drums und Riffs, die abgehackt daherkommen und doch irgendwie nachhallen. Das ist auch der Auftritt von vor allem einem Mann, nämlich Christian "Flake" Lorenz, dessen Arbeit am Keyboard eisig-stählerne Sounds theatralischer Größe hervorbringt. Zum erfolgreichen Ganzen wird das bereits mit dem namensgebenden Opener, dessen brachiales, fundamental stampfendes Metal-Intro von elektronischen "Gesängen" einerseits, unrhythmischen Keyboard-Nadelstichen andererseits umrahmt wird. Was folgt ist eine gelungene Show, ein trotz aller penetranten Härte leicht hypnotisches Ganzes, das vom Vier-Minuten-Riff zusammengehalten wird. Ähnlich prägend schreitet, wie könnte es anders sein, Till Lindemann ein, dessen röhrend-tiefe Stimme die altbekannte Autorität und Beklemmung versprüht.

 

Von da an wird nicht mehr viel geändert, auch wenn immer wieder an Stellschrauben gedreht wird. Das Album ist vor diesem Hintergrund ein einziges großes Gimmick, geschaffen, um zu schockieren. Das Stigma der Sex-Fanatiker, es ist diesen Tagen zu verdanken, immerhin grast man von S&M über Oralverkehr bis zum Inzest alles ab, was sich finden lässt, schmückt das Schauspiel fast schon widerwillig mit wenigen Ausreißern aus diesem Programm. Während so die textlichen Ergüsse auch mitunter bedenkliche Züge annehmen - trotzdem netterweise weniger als auf dem Debüt -, sind es nicht die Zeilen in ihrer Reinform, die irgendeinen Gewinn darstellen könnten. Songs wie Spiel Mit Mir oder Du Hast, sie funktionieren nur nach dem Prinzip, dass das Ganze mehr wert ist als die Einzelteile. Denn die auf den ersten Blick lähmende Eintönigkeit mancher Minuten steigert sich ganz gerne zu etwas Hymnischem, das einen zwar nie beeindruckt, einen aber trotzdem nicht kalt lässt. Die pochende Bassline von Du Hast, die allgegenwärtigen Stampfer-Beats, die in Bück Dich einen Höhepunkt finden, die simplen, aber kolossalen Riffs, die man zelebriert, das alles trifft einen von der ersten Sekunde an und lässt mögliche Hintergedanken über fehlende Varianten kaum zu.

 

Dieser Umstand täuscht natürlich nur wenig darüber hinweg, dass nichts hier kunstvoll genannt werden könnte. Doch diesem Adjektiv gerecht zu werden, ist weit weg von dem, was Hits wie Engel oder Du Hast erreichen wollen. Stattdessen arbeitet alles auf eine unterkühlte Atmosphäre hin, auf eine plakative Beklemmung, die eher unterhaltend als beängstigend wirkt. Eine ironische Düsternis quasi, die Lindemanns Stimme verkörpert wie sonst nichts. Oft genug ausdrucksstark akzentuiert von Elektronik-Ergüssen, die vom Gemisch aus dunkel schwelenden Key-Akkorden und schrill eingestreuten Noten in Spiel Mit Mir bis zu den Streicher-Klängen und plätschernden Sounds in Alter Mann und den comichaften Sound-Schnipseln des finalen Küss Mich (Fellfrosch).

Letzeres illustriert die Schwächen der LP aber auch bestens. Denn dort, wo entweder treibender Metal oder aber atmosphärischer Industrial-Rock warten könnte, kommen Rammstein nur selten über Etappenziele hinaus. Warum ausgerechnet das kraftvolle, aber textlich und klanglich ins Lächerliche gezogene Küss Mich abschließen muss, bleibt ohnehin fraglich. Doch auch abseits bleibt es zumeist bei moderater Güte, den Sprung zu höheren Weihen verpasst man. Und da ist es dann schon ein Hemmschuh, dass Du Hast keine zehn Zeilen zusammenbekommt, dass Bück Dich vor allem anderen ein hämmerndes Getrommel und doch banales Gitarrenspektakel ist oder Spiel Mit Mir von der zu aktiven Elektronik zerrissen wird.

 

Nur selten laufen die Dinge so rund wie gleich ganz zu Beginn. Tier gibt sich auf effektive Art geradlinig, passt die Keys besser ins Gesamtgefüge ein als viele andere Songs und lässt vor allem gesanglich nichts anbrennen. Doch es sind gerade die untypischen Tracks, die sich behaupten. Die trotz lahmender Instrumentierung im Refrain stark inszenierte Ballade Klavier markiert den atmosphärischsten Moment der LP. Wie nirgendwo sonst zeigen sich Lindemanns Fortschritte, umso besser, weil er damit die besten vorfindbaren Zeilen ins rechte Licht rückt:

 

"Sie sagen zu mir

Schließ auf diese Tür

Die Neugier wird zum Schrei

Was wohl dahinter sei

 

Hinter dieser Tür

Steht ein Klavier

Die Tasten sind staubig

Die Saiten sind verstimmt

 

Hinter dieser Tür

Sitzt sie am Klavier

Doch sie spielt nicht mehr

Ach das ist so lang her"

 

Alter Mann schlägt in eine ähnliche Kerbe, entsagt dem hohen Tempo und bietet stattdessen ein drückendes, vom Keyboard gezeichnetes Setting für kryptische Minuten. Es wirkt, auch wenn man nie so ganz weiß, worum es denn jetzt gehen soll - so viel zur Einfachheit bei Rammstein-Texten.

 

Doch auch diese Ausreißer können das bestimmende Bild nicht ganz ändern. "Sehnsucht" ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber eben doch nur ein Schritt. In den brachial eingesetzten Instrumenten und den allzu schockierenden Zeilen spiegelt sich vor allem eines wieder, nämlich die noch fehlenden Finessen im Arrangieren und Schreiben der Songs. Die sollten noch kommen und auch bald wieder verschwinden. Das Zweitwerk ist nur selten geprägt von diesen Qualitäten, abseits davon regiert eine erhebliche Verbesserung der Soundkulisse, die präziser wirkt und weniger Brechstange vermuten lässt, aber auch die Monotonie. Es ist dahingehend vielleicht nicht umsonst die quintessenzielle Rammstein-LP, irgendwie bedenklich und kindisch in dem Verlangen, die Leute zu erschrecken, allerdings nicht ohne auf ganz anderer Ebene Wirkung zu zeigen. Der Weg bis zum Prunkstück des eigenen Schaffens ist trotzdem noch ein weiter.

 

Anspiel-Tipps:

- Sehnsucht

- Klavier

- Alter Mann


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