Nico - The Marble Index

 

The Marble Index

 

Nico

Veröffentlichungsdatum: ??.11.1968

 

Rating: 8.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 29.04.2017


Das frostige Ende jeder erkennbaren Struktur und jedes positiven Gedankens.

 

Werden Musiker zu Mythen, so sind es in den allermeisten Fällen doch die lauten, die präsenten, die im vordersten Vordergrund prägenden Figuren. Elvis, Hendrix, Lennon, Bowie, Cobain. Die eben. Ist man allerdings Deutsche, startet die Karriere in Andy Warhols Factory und hat selbst in den vielfarbigen 60ern wenig mit dem am Hut, was als Pop durchgeht, wird man keine Generation beeindrucken und nachhaltig formen können. Dementsprechend anders muss der Mythos Nico aussehen. Vielleicht ist es der einer Frau, die Avant-Garde genug war, selbst Velvet Underground hinter sich und wie Mainstream klingen zu lassen. Die mit ihrer Musik das Ende der Welt angepeilt, den Begriff der Eisprinzessin mitunter gespenstisch greifbar gemacht hat. All das nicht ohne Gegenwind, aber dafür ohne kommerziellen Erfolg irgendeiner Art. Tingelnd nicht zwischen den Strömungen sondern weit weg davon, als drogenaffine und sture Figur, deren wichtigster Begleiter im künstlerischen Bereich fast unweigerlich John Cale als Bändiger ihrer Ideen sein musste. Vor allem aber als eine Künstlerin wie keine zweite.

 

Und all das hat unter Garantie nicht mit ihrem Debüt begonnen. Noch viel weniger mit Warhols Banane. Vielmehr ist erst "The Marble Index" der Schritt in die einsame Dunkelheit gewesen, der durch die oft unerbittlichen Kontrollmechanismen der Plattenlabels nur durchgerutscht ist. Und das, obwohl noch immer vom Jahr nach dem Summer of Love die Rede ist. Selbst im Zeitalter größtmöglicher Freiheit, in der Musik mehr als sonstwo, war Nico in allen Facetten unpassend. Möglicherweise deswegen, weil wenig Love zu spüren war in diesen zuerst acht, Jahrzehnte später netterweise zehn Songs. Die LP als morbid zu bezeichnen, wäre verfehlt, nicht weil es eine zu negative, sondern eine zu triviale Beschreibung wäre. Der Verzicht auf alles, was einer herkömmlichen Struktur auch nur ähneln könnte, das kompromisslose Klammern an Nicos Harmonium und eine schwer fassbare barocke Aura lassen beinahe alles hier tatsächlich nur mehr bedingt weltlich klingen. Die grotesk schiefen Akkorde von Facing The Wind und der klaustrophobe Mix aus Harmonium und passiv dröhnenden Gitarreneinsätzen in Evening Of Light erwecken kaum einen Eindruck eher als diesen.

 

Einzige Konkurrenz dafür ist das Gefühl vereinsamter Verwitterung, das alles umwabert. Zwar gesellt sich zu John Cales eindrucksvoll gestalteten, klassisch inspirierten Epochal-Collagen auch die ans Kitschige grenzende Lyrik der Sängerin selbst und damit unweigerlich ein Hauch von überquellender, apokalyptischer Romantik. Keine Poesie der Welt kann aber verhindern, dass man aus Zeilen wie denen von Evening Of Light die Dunkelheit hautnah zu spüren glaubt:

 

"Petrel sings the domebells pound into the unended end of time

Petrel sings the domebells pound into the unended end of time

Midnight winds are landing at the end of time

Midnight winds are landing at the end of time

In the morning of my winter

When my eyes are still asleep"

 

Zumindest ist man sich ganz schnell sicher, dass der zwischen brodelnden, nie und nimmer positive Emotionen weckenden Harmonium-Ergüssen omnipräsente Schlaf nicht einfach nur die Nachtruhe ist, sondern finalerer Natur sein dürfte. Möglicherweise kommt man nach dem, einem Soundtrack für einen Horror-Zirkus gleichkommenden, Opener Lawns Of Dawn kurz auf den Gedanken, die puristischen Streicher im Intro von No One Is There als Zeichen positiver Tendenzen zu verstehen. Wie beängstigend falsch man damit liegt, singt oder viel eher spricht einem Nico allerdings in ihrer unnachahmlichen Art entgegen:

 

"Across from behind my window screen

Demon is dancing down the scene

In a crucial parody

Demon is dancing down the scene

He is calling and throwing his arms up in the air

And no one is there"

 

Es hilft also nichts, kein Cale'scher Versuch, mit lieblicher Klassik der eisigen Aura Nicos entgegenzuwirken, das Album der Deutschen ist in seiner Natur vernichtend. Wohl gerade, weil selbst die schwelende Akkordmonotonie des spätberufenen Zusatztracks Roses In The Snow nie den Eindruck erweckt, es wäre eine Spur hin zu depressiven Anwandlungen als simple Fassade. Nico soll ja zur Entstehungszeit quasi kokainabhängig gewesen sein und spätestens damit ist klar, dass der realitätsferne, psychisch strapaziöse und einschüchternd eindringliche Charakter beinahe aller Songs einer sehr authentischen Quelle entspringt.
Jetzt war diese Quelle nicht nüchtern genug, um sich selbst von Julius Caesar (Memento Hodié) und damit einer zwischen all dem Minimalismus überladen wirkenden Komposition abzuraten. Das wiederum ist ein minimalistischer Makel ähnlich wie die unerklärlicherweise plötzlich faszinationslose Eintönigkeit von Ari's Song, die zwischen Streichergrazie hier und verrücktem Geklimper dort ein wenig blass wirkt. Dem gegenüber steht allerdings ohnehin das finale Nibelungen und damit die ureigenste Form der Reduktion, das A Cappella-Stück. Das ist Mahnmal der unwiderstehlichen Ausstrahlung von Nicos tiefer Stimme und ihrer emotionslos abgehackten Artikulation, die mehr als alles andere ihre deutschen Wurzeln durchkommen lässt. Das ist übrigens, sollte jemand Zweifel hegen, in diesem Fall ein Kompliment.

 

Was sonst könnte es sein, wenn es um "The Marble Index" geht? Zwei Alben schreibt man Nico vor diesem zu - eines davon zumindest teilweise -, aber kaum einer wird widersprechen, wenn man erst das Jahr 1968 als den wirklichen Beginn ihres eigenen Schaffens, ihres Mythos bezeichnet. So strukturfrei und mysteriös, wie er klingt, ist der musikalische Zehnerpack zwar sicher keine perfekte Einheit, als erster Teil ihres Stairway to Hell darf er allerdings durchaus gelten. Wobei gerade diese plakative Formulierung ihr schon wieder Unrecht tut, denn höllisch ist höchstens die Tiefenwirkung einiger Minuten, das Gesamtwerk kreiert dagegen den Eindruck einer verwunschenen, eisigen Parallelwelt. Mit einer düsteren Eisprinzessin auf dem Thron.

 


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