Naked Lunch - This Atom Heart Of Ours

 

This Atom Heart Of Ours

 

Naked Lunch

Veröffentlichungsdatum: 05.01.2007

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 24.03.2018


Der Weg zurück ans Licht zwischen hymnischen Sonnenstrahlen und alleingelassener Melancholie.

 

Es gibt ja dieses berühmt-berüchtigte Album nach dem Album. Das, das einen Durchbruch zu bestätigen hat, gebrochene Rekorde erneut brechen soll oder einem Klassiker, beladen mit tonnenschweren Erwartungen, nachfolgen muss. Dieses Album ist ein etwas anderes. Es ist bei genauerer Betrachtung das Album nach dem Album nach dem Album nach dem Album. Die LP, mit der die Geschichte begonnen hat, ist eigentlich "Superstardom", entsprechend den Vorstellungen der Band für das erste Major-Label-Werk betitelt. Das ist zwar 1997 veröffentlicht worden, der große Erfolg ist allerdings ausgeblieben und so war die große Sinnkrise nicht weit weg, Vertragslosigkeit, latente Armut und Schreibblockade inklusive. Der Pfad heraus führte eigentlich tiefer hinein, hieß "Songs For The Exhausted" und war ein elektronisch gestütztes Depressionswerk, das lange auf eine Veröffentlichung zu warten hatte. Als es dann passierte, waren plötzlich doch wieder Verkäufe da. Stimmungsmäßig konnte es also fast nur bergauf gehen nach diesen schweren Zeiten und "This Atom Heart Of Ours" beweist, dass das nicht zwingend Qualitätseinbußen bedeuten muss.

 

Geschickt machen muss man es nur. Naked Lunch legen das so an, dass man mit den Schwachstellen der LP startet, um gleich einmal Ernüchterung zu streuen, wo gar keine angebracht ist. Zwar mag die pastoral anmutende Mischung aus flehendem Choral und Orgel-Klängen im eröffnenden Titeltrack mit hymnischem Charme punkten, allein weil die Umsetzung entsprechend reibungslos passiert ist und also der großspurige Beginn immerhin nicht völlig fehlgeleitet wirkt. Aber emotional ausgehöhlt scheint die Sache, zum schönen Schein verdammter Pomp, der auch mit der zwanghaft beschwingten Single Military Of The Heart nicht ganz ändert. Zu aufpoliert und orchestral inszeniert scheint das Gebilde, dem der stampfende, an plumpe Beatles-Momente erinnernde Beat nur insoferne gut tut, als dass Welters samtweiche Stimme dabei wenigstens einen umso stärkeren Kontrast bildet und damit besser zur Geltung kommt. Dass man sich hier mit Keyboard und mehrstimmigem Background-Heulen noch keinen Gefallen tut, fällt allerdings relativ rasch auf.

 

Dieser schleppende Start wird allerdings abrupt ins Gegenteil verkehrt, bekommt einen unerwarteten Drall nach oben und wird sogleich trotz romantischen Anwandlungen bedrückend melancholisch. Das gleichermaßen spröde wie voluminöse Gezupfe von My Country Girl wirkt im Verbund mit Welters Liebesbekundungen einsam und karg, steigert sich allerdings mit zunehmender Unterstützung - zuerst durch Drums, alsbald wiederum durch Backgroundgesänge und quietschende Riffs - zu einem lebhaften Höhepunkt, der zwar absolut nichts dazu beiträgt, die emotionale Tiefe des Tracks auszugestalten, immerhin aber einen atmosphärischen roten Faden zu Ende spinnt. Dieser rote Faden durchzieht, so zumindest der Eindruck, auch die ganze LP, wenn auch mit dünklerer Färbung. Es dauert nicht lange, da schwimmt man inmitten langgezogener Orgel-Passagen, karger Akustik-Gitarren und sphärischer Keyboard-Klänge in einem Meer aus Melancholie und verwundbarer Gefühlsseligkeit. Den Startschuss dafür markiert In The End, dessen Choral zwar gar so harmonisch gerät, dass man trotz der Zeile "Now we come to save your day" eher an das Totengeleit der Engel denkt, das aber auf alle Fälle den Ton für die nächsten vorgibt. Textlich durchzogen von an den Kitsch anstreifender Romantik und Hoffnung schöpfendem Abschied von der Trostlosigkeit, ist man musikalisch hin und her gerissen zwischen harmonischer Entspanntheit und wehmütiger Zurückgezogenheit ins Einsame. Die Machart der Songs ist dabei oft ähnlich, Welters Sologesang zu Beginn ein Muss, genauso wie man sich der einsetzenden Mehrstimmigkeit sicher sein kann. Netterweise verzichtet man allerdings auf kompletten Harmoniegesang, sondern macht die Backgroundstimmen zum zusäztlichen Instrument, die sich eher der ummantelnden Melodik hingeben, anstatt mit dem Leadsänger zu konkurrieren.

 

Die Band kann mit dem als Basis praktisch machen, was sie will, verlässt sich aber im guten Sinne auf bewährtes Terrain. Into Your Arms mutiert trotz abschreckend dichtem Klangteppich aus Keyboard, Gitarren und Synthesizern vor allem dank der dezenteren Passagen zur wunderbar stimmigen Liebesballade. Colours entfaltet dagegen mit monotonem Elektronik-Loop und stampfendem Beat die größte atmosphärische Kraft, ausgerechnet in diesem hoffnungslosesten Moment, der nichts mehr ausdrückt als schale Ernüchterung:

 

"Our years don't come in colours

We raise children after all we settle down

And long for harmony

I hope I never get to be this man of bitter state you're in"

 

Rein thematisch ist es in diesem Sinne ungünstig, dass direkt davor mit Waterfall eine Art Wiederauferstehungshymne zum Besten gegeben wird. Stimmungsmäßig macht das wenig, die in diesen Jahren zum Markenzeichen der Band gewordenen Gitarrenzupfer, die ganz dezent zur Songmitte einsteigen, bilden die Krone auf einem rundum stimmigen Arrangement, dessen lockerer Akustiksound wiederum stetig erweitert wird, bis man sich zum rockigen, voll ausstaffierten Finale steigert, dem selbst die eher trägen Backgroundstimmen wenig anhaben können.

 

Vielleicht sollte man an dieser Stelle anmerken, dass man ein leicht ungutes Gefühl nicht ganz los wird: Irgendwie passt überall eine Kleinigkeit nicht. Ist es hier die deplatzierte oder schlicht zu laut geratene Mehrstimmigkeit, ist es dort Welters störrische, in verworrenen Bildern stecken gebliebene Lyrik, ist es wieder woanders ein Hauch unwillkommener Melodramatik. Dass letztere vor allem die erste Hälfte durchzieht, wäre soweit ohnehin besprochen, sie belästigt einen danach auch kaum noch. Dezent scheint sie trotzdem durch, genauso wie eine gewisse Unsicherheit, wenn es darum geht, einem Song ein anderes Schema des stetigen musikalischen Anschwellens zu verpassen. Fast alles strebt dem großen, mit allem verfügbaren musikalischen Werkzeug ausgestatteten Finale zu, als müsste man den beschrittenen Weg in fröhlichere Täler mit jedem Track neu bestätigen.

 

Ist unnötig, kostet aber letztlich nur minimal Punkte in der B-Note. Trotz aller Fehler, die man sich in den Songs heraussuchen kann, so man es denn will, ist den Mannen um Oliver Welter nämlich eine LP gelungen, die man wirklich am besten mit dem Wort harmonisch beschreibt. Zumindest, wenn man ihnen die ersten beiden Tracks als eher unnötige Beigaben verzeiht. Dann bekommt man ein Album, das den emotionalen Zwiespalt lebt, ohne einem den unbedingt ständig unter die Nase reiben zu müssen. Die melancholische Ader ist bei weitem noch nicht versiegt, trotzdem lebt fast alles unweigerlich auf und die nicht zu leugnenden Qualitäten, die sich Naked Lunch erarbeitet haben, entfalten sich letzten Endes da wie dort. Eines wird man aber wohl bis in alle Ewigkeit sagen können und müssen: Die dunkle Seite ist ihnen näher und erst auf der kommen die Stärken der Band voll zur Geltung.

 

Anspiel-Tipps:

- My Country Girl

- Into Your Arms

- Colours


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