Kevin Rudolf - In The City

 

In The City

 

Kevin Rudolf

Veröffentlichungsdatum: 24.11.2008

 

Rating: 3 / 10

von Mathias Haden, 26.04.2017


Geschichten aus der urbanen Gruft: Von stigmatisierten Vornamen und räudigen Pop-Rock-Bastarden.

 

Heute möchte ich Klartext sprechen. Das sagen, was sich seit der Unterstufe des Gymnasiums schon jeder gedacht, bis heute aber nur in vertrauten Kreisen ausgesprochen hat. Als Kevin hat man es nicht leicht. Allen Kevins, die hier mal reinschauen (bis die Heute unseren Rezensionen eine eigene Sparte widmet, dürften es nicht viele sein) und sich ungerecht behandelt fühlen, nur ein Wort: Tendenzen. Natürlich gibt es auch unter den Millionen Kevins, die tendenziell eher ihren Mitschülern das Pausengeld abluchsen oder im zarten Alter den Weg zu Nikotin finden, auch Ausnahmen. Gynäkologen, Astrophysiker, Baulöwen, Kredithaie, Bürohengste und sogar Schauspieler, die ihre Midlife-Crisis im amerikanischen Suburbia mit der Freundin der eigenen Tochter zu überwinden suchen. Es gibt aber auch die andere Seite der Medaille. Und einen Grund, warum der Name Kevin unter den Prominenten, den Reichen und Schönen dieser Welt verhältnismäßig selten vorkommt. Ich gebe zu, ich kenne ihn nicht. Ich weiß auch nicht, was eine Mutter bewegt, ihrem Kind diesen Namen zu geben und schon gar nicht, welches Stigma auf selbigem zeit seines Lebens lasten muss. Aber ich kenne Kevin Federline - Gott sei Dank nicht persönlich. Und einen anderen Kevin, der musikalisch betrachtet in einer nicht viel höheren Liga spielt, von Kritikern fatalerweise bislang aber verschont blieb.

 

Lasst mich euch nun etwas erzählen, über Kevin Rudolf. Als Sänger, Songwriter und Gitarrist eierte der Anfang der 2000er durch das urbane Amerika, lernte eine Vielzahl an Celebrities kennen und spielte unter dem Pseudonym Binocular ein erstes Album ein. Interessiert hat's damals keinen, trotzdem verhalfen ihm seine guten Kontakte schon bald zu einem Plattenvertrag bei Cash Money Records, das zu jener Zeit vor allem mit Lil Wayne Million um Million einsackte. Der ist auch auf dem von Rudolf mitproduzierten Major-Label-Debüt In The City am Start. Auf Lead-Single Let It Rock nämlich, die Multi-Platin abstauben konnte und im Gegensatz zum Album oder Rudolf selbst auch hierzulande ein großer Hit war, in sämtlichen Clubs von der Donaustadt bis Rudolfsheim-Fünfhaus rauf unter runter gespielt wurde. Und tatsächlich hat dieser wilde Club-Banger genug Wiedererkennungswert, um pubertierende Jugendliche mit Damenspitzerl auf der Tanzfläche zu halten. Natürlich ist die Mischung aus euphorisierten Party-Synthesizern und pushendem Beat nichts neues, sieht man Mal von Rudolfs das ganze Album durchziehenden, nicht gerade versierten Gitarrenriffs ab. Doch mit Waynes eigenartigen Strophen und dem simplen Refrain hat das schon was. Mehr jedenfalls, als der überwiegende Rest der LP zu bieten hat. Die einzige Frage, die das Album unbeantwortet lässt: Was zum Teufel macht Nas hier? Antwort: Einen ordentlichen Job. Denn dem Rap-King gelingt es ganz gut, dem dröhnenden Soundgemisch, einem Paradebeispiel für laute Musik um des Lautsein willens, mit ein paar erdigen Rhymes Paroli zu bieten. Das gelingt dem dritten und letzten Gast aus der Szene nicht besonders gut. Rick Ross kämpft zwar, der zweiten und nicht ganz so erfolgreichen Single Welcome To The World mit derselben Souveränität und einem trockenen Flow Flügel zu verleihen, verliert sich aber in affiger Selbstinszenierung und peinlichen Let's Go-Chants.

 

Wer sich im Verlauf dieser Rezension Gedanken darüber gemacht hat, wie denn eigentlich Hip Hop und röhrende, teils verzerrte Gitarrenriffs zusammenpassen, der ist auf einer verdammt heißen Spur. Denn In The City hat primär ein großes Identitätsproblem, das diese eigenartige Verbindung übersteigt. Wenn er sich nicht als pseudorappender Pimp oder harter Lackaffe im Rockkostüm gibt, versucht es Rudolf als grüblerischer Singer-Songwriter, der einen kleinen Einblick in seine zerbrechliche Lebensrealität offerieren möchte. Erinnert jedenfalls alles ein wenig an die Ausführungen des Kollegen zu Kid Rock, der einst auch am liebsten Superheld und Kleinstadtpoet zugleich sein wollte. So vereint die LP pathetische Nummern wie Welcome To The World, urbane Weisheiten vom Titeltrack und N.Y.C. oder den wallenden Bombast vom überlebensgroßen, eigentlich schlicht angelegten R&B-Closer The Great Escape, den Rudolf mit kitschigen Soli und einem schmerzenden Mix aus atmosphärischer Sounddichte und wolfsähnlichem Gejaule auf über sechs Minuten streckt:

 

"This is my song,
These are my words,
This is my story..."

 

Na Halleluja. Da können die simpler austarierten Stücke wie I Song oder Scarred nur besser dagegen aussehen.

 

Nein, im Ernst. Dieser vermeintliche Facettenreichtum, der am Ende in einen räudigen Pop-Rock-Bastard mündet, ist über die Spielzeit von 43 Minuten nur ganz schwer zu ertragen. Da ändert auch die Tatsache nichts daran, dass Rudolfs musikalische Vision nur selten Momente wirklicher Unzumutbarkeit erreicht und In The City viel eher als schwache Summe nichtssagender Teile zwischen Attitüden aus Pop, R&B, Rap und halbstarkem Macker-Rock herhalten muss. Damit reiht sich der Amerikaner in die schier endlose Liste der Opportunisten ein, deren Beziehung zu Musikern, Toningenieuren und Produzenten lockere Konversationen auf Pool-Partys in L.A. nicht überschreiten hätte sollen. Soviel zu den bescheidenen Bemühungen eines zufällig herausgepickten Kevin. In der nächsten Episode der Namenchecker: das Mysterium Leonie. Stay tuned for more name'n'roll!

 

Anspiel-Tipps:

Let It Rock

NYC


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