Hans Söllner - Wos Reimt Se Scho Auf Nicki...

 

Wos Reimt Se Scho Auf Nicki...

 

Hans Söllner

Veröffentlichungsdatum: 13.05.1987

 

Rating: 6 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 03.11.2017


Aus dem Leben eines Taugenichts - Bavaria Edition, dritter Teil: A Schaß, die CSU, die Polizei. 

 

Ist es möglich, ein und derselben Person tatsächlich unterschiedlich ausgeprägte Sympathien entgegenzubringen, je nach der Lebensphase, in der sich diese befindet? Also nicht basierend auf der Lebensphase, aber eben aufgrund des Verhaltens in dieser. Die vermeintlich logische Antwort ist eigentlich ein lautstarkes Ja, wobei dieses vielleicht auf einem Missverständnis bezüglich der Frage aufbaut. Dass nämlich der Platz in Sympathierankings für Bill Cosby, Will Smith oder Lance Armstrong - schod um eam - anno 2000 ein günstigerer war als in diesem unserem Jahre, ist ein Faktum, dem nicht zu entgehen ist. Aber lassen sich in der Rückschau die scheinbar positiven Jahre von den offensichtlich negativen trennen, ist der Blick auf den (vielleicht doch nicht so sympathischen) 30-Jährigen komplett losgelöst von den jenseitigen Anwandlungen, die der gleiche Mensch mit 60 zur Schau stellt? Oder ist beides untrennbar verbunden und wenn ja, welche Seite wird von der anderen überschattet? Die Personalie Hans Söllner wirft manche dieser Fragen auf, sein drittes Album hilft nicht bei der Beantwortung.

 

Was allerdings auch nicht ihre Aufgabe ist. "Wos Reimt Se Scho Auf Nicki", der dritte Streich des bajuwarischen Edelbarden mit der Stimme aus Gold und/oder rostigem Eisen, steht tatsächlich für sich allein, weil sich nach 30 Jahren ein Album verselbstständigt haben und von der unstreitbaren Verbindung zum Interpreten gelöst haben muss. Insofern ist eine LP aus dem Jahre Schnee einfach nur eine LP, mehr einmal nicht. Was den Vorteil hat, dass der Hans Söllner, den man hier hört, kaum beeinflusst wird von dem Kollateralschaden, den Hans Söllners moderne Version mit all seinen schräger werdenden Wortmeldungen an seinem eigenen Image anrichtet. Man hört einen nicht weniger politischen, nicht weniger schamlos ehrlichen, nicht weniger radikal eigensinnigen Typen, der vielleicht auch damals schon geglaubt hat, Impfungen sind des Teufels, das aber immerhin nicht so ausformulieren musste. Stattdessen regiert das alltägliche Leben des Hans S., erfahrbar gemacht durch Anekdoten, die ganz eindeutig seine anno dazumal humorvolle Handschrift tragen, und Lieder, die ganz eindeutig seine auf ewig unmelodische und finessenlose musikalische Handschrift tragen. Thematisch ist das ungeschliffen und einigermaßen richtungslos, was dazu führt, dass man weder dem eröffnenden A Jeda Is A Spanna, Die Ballade Vom Koffer oder Kauf Ma Uns A Lederjack'n viel mehr als die alles umspannende Botschaft des Nonkonformismus und der Autoritätsskepsis anhört.

Dieses Thema hat Söllners Karriere geprägt wie kein anderes und es ist eine Leistung für sich, es in so vielen verschiedenen Varianten zu bearbeitet zu haben, dass trotz allem keine komplette Fadesse bei seinen Songs aufkommt. Eine gewisse Banalität ist aber nicht zu leugnen, wenn die erlösende Wirkung einer wohl platzierten Flatulenz auf jugendliche Modetrends und eine wuterfüllte mit den eigenen Eltern und so vielen anderen dieser Welt trifft. So sehr die Direktheit bei Zeiten sein größter Trumpf ist, ist sie in Kombination mit den akkord- und melodiearmen Spielereien an der akustischen Gitarre auch ein Bremsklotz, der einen manchmal bewusst weghören lässt.

 

Andererseits mag das auch so manch Reiz ausmachen, zumal ein gewisser Charme in diesen Songs steckt, die das Fehlen von Homosexualität in Bayern aufzeigt oder die Berchtesgadener als "aunständige Leit" demaskiert, die stolz verkünden: "Mia mochans nur im Finstern und schaman uns dabei." Darin steckt ein Desinteresse an der Rezeption durch alles und jeden, wie es sich nur ganz wenige Auserwählte leisten wollen. Wie überhaupt eine solche live aufgenommene Söllner-LP einem ideologischen Familientreffen gleichkommt, bei dem die Schwarzen in Jamaika sofort an die vielen Schwarzen in Bayern erinnern, nur dass man den Jamaikanern das Schwarze gleich ansieht, bei dem auch jeder Witz über die Polizei bejubelt wird. Berechtigterweise, ehrlich gesagt. Ermüdend ist manche Geschichte, man kann sie alle auch ganz schnell auswendig, aber wenig übertrifft den komödiantischen Wert dieser Begegnungen des Rasta-Bayern mit der Exekutive und des Duells Schlagfertigkeit vs. Gesetz. Auch deswegen ist die Ode an die Münchner Polizisten, Mit Blaulicht Und Sirene, ein kleines Highlight, dem nicht nur das hohe Tempo gut tut, sondern auch die angekurbelte morbide Fantasie von Söllner, wenn plötzlich wo Blaulicht zu sehen ist.

 

Musikalisch tut sich neben all diesen kleinen Geschichten, den mit oder ohne Musik zum Besten gegebenen Erlebnisberichten, relativ wenig. Es ist eine Solovorstellung und weil der Hans damals die Mundharmonika noch nicht für sich entdeckt hatte ist da ein Mann, eine Gitarre und sonst nichts. Das hatte in den dunklen 80ern noch ein bisschen eher etwas vom jungen Dylan, nur dass Söllners Erfolgsrezept hauptsächlich um das Fehlen jeglicher Fähigkeiten an Instrument, Mikro und in puncto Rhythmik kreist. Man kann das fast nicht nicht sympathisch finden, wie er durch die Tracks krächzt, ohne dabei allzu viel darauf zu geben, ob denn nun die Stimme noch den Fingern folgt oder ob die Songstruktur an die legendären Darbietungen der Shaggs zu erinnern droht. Einziger Wehrmutstropfen ist, dass dem Deutschen bei all dem die bissige Angriffigkeit späterer Jahre fast komplett abgeht. Zwar ist A Woidfest In Berchtsgad'n eine Perle für sich, allein schon wegen der Vermählung karibischer Anwandlungen und stockkonservativer CSU-Politik in Bayern, der Rest lebt allerdings von einem unbeschwerten Humor, dessen gesellschaftskritische Seitenhiebe fast noch amikaler Natur zu sein scheinen. Die Ausnahme von dieser Regel, das unbarmherzige Für Deine Eltern (Tausch Ma) ist dagegen ein songbaulicher Albtraum und findet in einer unnahbaren Wut sein Heil, die man nur gerade so zu interpretieren weiß.

 

Dass er aber auch damals schon durchaus ein Gefühl für ruhigere und emotionalere Momente besessen hat, untermauert das großartige Wintertraum, das einen romantischen, nicht kitschigen Zugang zu Depression und Einsamkeit findet, dafür eine im Albumkontext komplett unerwartete, poetische Seite zeigt:

 

"Zuag'froana Blick, ois is wia im Nebe'

Koa klare Sicht, i seh koan Weg mehr vor mir

I steck im Schnee und kim koan Schritt mehr weida

Neamd gibt ma d'Hand, der mi do außa ziagt

 

I hob des G'fui, dass olle meine Wünsche

A koider Wind auf's Meer naus treibt

Und z'ruck kimmt mit am Winter

Der a nach'n Frühling no in mir bleibt."

 

Es ist das ein umso eindrucksvoller Ausreißer, wenn er auch allein bleibt und das nicht nur qualitativ, sondern auch stilistisch. Söllner findet sonst weniger Zugang zu irgendwelchen Gefühlen, sondern eher zu einem fast mittelalterlichen Verständnis des Musikers als Geschichtenerzähler. Hat seine Vorteile, insbesondere wenn der Deutsche den nötigen Humor dafür findet und damit ausgleicht, dass der LP inhaltlich Biss und Tiefe fehlt. Dass er ein Drittel der Zeit redend verbringt, ist eigentlich kein Schaden, zumal der spontane, intuitive Komödiant, der in ihm steckt, dabei fast noch eher zum Tragen kommt. Außerdem war damals noch weniger zu hören von Verschwörungstheorien, die Aussteigerfantasien waren noch verträumt und nicht jenseitig, die Rebellion noch im Wachsen und kein Selbstzweck. Schön und gut, ob das den jungen Söllner im Jahre 2017 so wahnsinnig sympathisch macht, wenn vielleicht der alte schon in ihm drinnen war, sei dahingestellt. So gilt am Ende in Bezug auf ihn, aussagenlos und doch prägnant: Wos reimt se scho auf Dillo...

 


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