Eminem - The Marshall Mathers LP

 

The Marshall Mathers LP

 

Eminem

Veröffentlichungsdatum: 23.05.2000

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 05.05.2018


Wenn die Abrechnung groß geschrieben wird, leidet nichts mehr als die Musik hinter dem Rap God.

 

Möglicherweise ist es einfach so verlockend, sich so sehr auf diese eine große, nicht zu übersehende Stärke eines Künstlers zu versteifen, aber Eminem wird einfach zu oft auf seine Fähigkeiten als Wortakrobat und begnadeter Rapper reduziert. Das ist einerseits unfair, weil der Mann abgesehen von einem denkwürdigen Ausritt in die autobiografische Filmwelt auch durchaus was als Produzent drauf hat. Andererseits hat es natürlich den Vorteil, dass die meisterliche Arbeit am Mikro so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, dass alles andere relativ egal geworden ist. Mal abgesehen von dem riesigen Sprung in der Schüssel, der irgendwo zwischen Marshall Mathers und Slim Shady im geteilten Kopf zu finden war. Zumindest wäre es lange, lange nicht nennenswert aufgefallen, dass sich irgendjemand um die Musik hinter den Raps gekümmert hat, solange man sich auch mit unterschiedlich brauchbaren Allgemeinplätzen behelfen konnte, um den Sound einigermaßen zu beschreiben. Nur so kann "The Marshall Mathers LP" zum Klassiker erkoren werden. Und selbst dann...

 

Gleich vorweg, Allgemeinplatz ist einer meiner vielen Vornamen, dementsprechend gleich zu Beginn einer, um ein wenig zu beschreiben, was denn dieses eine Album unter den mittlerweile recht vielen des größten weißen Rappers an musikalischem Fundament zu bieten hat. Naja, also, irgendwie Hip-Hop mit ein bisschen R&B, Funk und Rock. So richtig revolutionär eben, wie es noch nie jemand gehört hat. 2000 war das tatsächlich noch realistischer, aber selbst dann ist bestenfalls die makellose Klarheit der Produktion ein Alleinstellungsmerkmal im Hip-Hop. Die Brücke zwischen düsterer Verrohung und soundtechnischer Perfektion könnte nicht besser geschlagen werden, als es hier oft genug getan wird. Dass man sich dafür auch gleich noch untypisch offensichtlicher Anleihen am Rock bedient, schadet schon einmal gar nicht. Es hilft aber auch nur bedingt, der Sound allein noch nicht die Musik macht. Es fehlt der Beat, die Hook, der Flow. Letzteres bringt ein Eminem zwar auch noch a cappella mit, der Rest ist aber so eine Sache. Denn schon Kill You eröffnet mit einem schleppenden Stop-and-Go-Gemisch aus einem knöchernem Rock-Riff und einem Beat, der in seiner abgehackten, komplett ausgetrockneten Form zwar der abweisenden Natur der LP entgegenarbeitet, der sprunghaften Natur von Ems Rap und der generellen Repeat-Qualität wenig zuträglich ist.

 

Die dritte LP des US-Amerikaners ist demnach bald als eine der wenigen Höhepunkte identifiziert. Natürlich gibt es Stan, diesen musikalischen Monolithen, dieses kompositorische Meisterwerk, das allein mit einem Dido-Sample, einer simplen Bassline und einer Mixtur aus strömendem Regen und wüstem Gekritzel auf Briefpapier so viel herauszuarbeiten im Stande ist, dass es nur beeindrucken kann. Dass weder textlich noch raptechnisch irgendwelche Einbußen hinzunehmen wären, potenziert die Qualität des Fan-Epos ins Unermessliche. In Eminems Raps passt nicht nur jedes einzelne Wort an seinen Platz, die Präsentation im Stile stetig wachsender, besessener Verbitterung vermengt sich mit dem Regen und den späten Hilfeschreien der gefesselten Frau zur beklemmenden, gespenstisch realistischen Vorstellung.

Nur ist das auf wirklich jeder erdenklichen Ebene ein Einzelstück. Unerreichbar und einsam an der Spitze des Albums. Sucht man nach weiteren Ausreißern, muss man sich die emotionalsten und aggressivsten heraussuchen. Das abschließende Criminal spart zwar den grenzwertigen Humor des Rappers nicht aus, kann aber als Abrechnung mit der stumpfsinnigen Kritik an seiner Lyrik genauso überzeugen wie die wutentbrannte Reaktion auf die Erwartungen seines Labels und der Öffentlichkeit von The Way I Am. Beide zählen auch nicht nur textlich, sondern genauso klanglich zu den Albumhighlights. Hier ein plakativ lebendiger Loop aus Beat, Bass und Keyboard, dort eine beeindruckend atmosphärische Collage aus Klavier, dem auf der LP beinahe überrepräsentierten Bass, fatalistischem Glockengeläut und bis zum Höchstvolumen verzerrten Hard-Rock-Riffs. Und natürlich funktioniert das, wie souverän hier gleichermaßen der perfekte Unterboden für den nächsten denkwürdigen Rap bereitet wird und mit den Anleihen am Rock und Blues gleichzeitig atmosphärische Höhen erreicht werden, ist in dieser Form höchst selten.

 

Was wiederum allein schon im Schaffen Eminems eine ungute Regelmäßigkeit kennt, ist das hohe Maß an spannungsarme Fillermaterial. Zwar lässt sich relativ leicht ein Plädoyer für jeden einzelnen Track auf der übervollen LP konstruieren, man muss aber schon auf einem Auge blind sein, um die ermüdende Qualität zu vieler Minuten hier zu übersehen. Dass einen die aufdringliche Keyboard-Cembalo-Kombi von The Real Slim Shady in aller Kürze nervt, steht außer Frage, genauso wie sich keiner darüber beschweren braucht, dass man Remember Me? einen Ausbund unglaublicher Trägheit nennt. Die Unterstützung durch RBX und Sticky Fingaz schafft diesbezüglich keine Abhilfe, der so dramatisch andere Rapstil, behäbig, schwergewichtig, jeglicher Akrobatik fern, trägt eigentlich noch viel mehr dazu bei, dass der banale Sound des Tracks untergeht. Wo der schon angesprochen ist, große Feuerwerke darf man sich musikalisch eigentlich nicht erwarten. Der Sound wird seinen platten und monotonen Charakter weder in der schleppenden Selbstbeweihräucherung von I'm Back noch im erneuten Kollaborationsmisserfolg Bitch Please II los. Das trifft auch eine Schwachstelle der LP, die eigentlich nur dann nicht zum Vorschein kommt, wenn sich D12-Mann Bizarre in Amityville zum Duettpartner aufschwingt und umgeben von drückend düsteren Soundwänden mit Em semierfolgreich ein ganzes Lebensgefühl inmitten der tristen Armut Detroits vertont.

 

Nichts davon reißt einen irgendwie mit, im Gegenteil brechen solche Durchschnittssongs zusammen mit den miserablen Skits jeden noch so gut aufgebauten Flow. Wie kontraproduktiv dabei letztlich auch die Tracklist ist, zeigt allein schon, dass der D12-Gastauftritt im lockeren Drogentrack Under The Influence zwischen dem Horrorcore-Drama Kim und Criminal geparkt wird. Passt alles nicht wirklich zusammen. Was auch daran liegen kann, dass so etwas wie Kim überhaupt nirgendwo hinpasst und in seiner Aufmachung so einzigartig ist, dass man nur mehr den geisteskranken Charakter des Songs vor sich hat. Eminems Abrechnung mit der späteren Gemahlin Kim stellt sich nervenaufreibend dar, selbst wenn man sie nur einmal hört. Das schonungslose Geschrei Eminems, gepaart mit den gestellten Schreien Kims, das ist schwere Kost, umso mehr mit der offensichtlichen Richtung, in die sich der Song entwickelt. Gleichzeitig ergibt sich natürlich gerade da eine der effektivsten Soundcollagen in seiner Karriere, wenn sich der brachiale Beat mit dem fast verträumten Geklimper am Klavier paart und noch dazu von dröhnenden Gitarrenriffs und unheilvollen Keyboard-Klängen unterstützt wird. Das ist dann der Punkt, an dem sich einem der Magen ein bisschen umdreht. Angesichts dessen, was Eminem gerade in diesen Jahren provozieren wollte, ist es ein Erfolg auf ganzer Linie, müsste man dem Song nicht den musikalischen Wert fast komplett absprechen.

 

Das wiederum ist eine Seltenheit in der abwechslungsreichen zweiten Hälfte, die als Eigenproduktion von Eminem mit den Bass Brothers vielschichtiger wirkt als die ermüdende Trockenheit von Dr. Dres ersten Tracks. Trotz solcher geballter Qualität auf dem Produzentenfeld ist es dann ausgerechnet Stan, als einziger vom DJ The 45 King zusammengestellt, das durch seinen klanglichen Minimalismus am allermeisten heraussticht. Gerade diese Fähigkeit zur effektvollen Ruhe, in der die textliche Schärfe von Eminem umso stärker zum Tragen kommt, wird einem zu selten gezeigt. Die schonungslos makabere Art des Rappers geht nämlich in fast jedem anderen Track reibungslos in die Musik über, sorgt für beklemmende Soundeffekte von der quietschend zufallenden Tür bis zum hupenden LKW auf verregneter Landstraße. Ideal ist davon eigentlich nichts wirklich, wobei abseits davon kein Weg vorbei führt an der Feststellung, dass der melodischere Ansatz von Eminem als Produzent ganz eindeutig hilft. Egal, ob in der Funk-inspirierten Drug Ballad, im schwergewichtigen Blues-Rap von Amityville oder gleich beidem in Bitch Please II, die offensichtliche Nähe von Eminem zum Rock macht sich da rasch bezahlt.

 

Es heißt aber deswegen noch lange nicht, dass irgendwas davon seine Laufzeit wirklich ausreichend ausfüllt, um nicht früher oder später den Weg in Richtung des Ordentlichen zu gehen. Auf einer ganz eigenen Ebene ist das für ein Album wie die "Marshall Mather LP" eigentlich tödlich, weil das Gegenteil dessen, was Eminem ohne Beißkorb und die effektvoll düstere Musik erreichen wollen. Andererseits sind die Ausfälle selten angesichts der Tatsache, dass er zum ersten, leider aber nicht zum letzen Mal die 70-Minuten-Marke knackt. Sowas war noch nie nötig und doch schafft er partout keine kurze Playlist mehr. Nun gut, soll sein, solang es damit immerhin zu einem der gefeiertsten Rap-Alben aller Zeiten handelt. Inwiefern das gerechtfertigt ist, ich weiß es nicht. Der Weg von Ems dritter LP hinein in die Klassikerregionen ist aber ein relativ weiter.

 

Anspiel-Tipps:

- Stan

- The Way I Am

- Criminal


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