Deichkind - Arbeit Nervt

 

Arbeit Nervt

 

Deichkind

Veröffentlichungsdatum: 17.10.2008

 

Rating: 5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 06.02.2021


Zwischen Hedonismus, Unsinn, Humor und Gesellschaftskritik ist kein Platz für Konstanz.

 

Das Leben in Extremen ist etwas, das man mögen muss. So on the edge hat das schon auch anstrengende Aspekte, vor allem wenn man nicht einfach ein Extrem beackert und sich dort niederlässt, sondern zum eigenen Glück auch noch das radikale Kontrastprogramm braucht. Auch musikalisch kann sich das ganz schön schwierig darstellen, wenn man sich ganz bewusst einem drastischen Hin und Her hingibt. Auf der anderen Seite ist ein Ensemble wie das von Deichkind mit reichlich Erfahrung gesegnet, wenn es darum geht, klanglich, vor allem aber inhaltlich erratisch und geplant chaotisch vorzugehen. So entstehen dann Alben, aus denen man rauskommt wie aus einem Moshpit. Gut durchgeschüttelt, mit Lücken dort, wo man wissen sollte, was genau gerade abgelaufen ist, und nicht immer so ganz bei Sinnen. Und nachdem die Deutschen ihrem Naturell nach vor allem als unschlagbare Bühnenviecher im Live-Metier gelten, passt dieser Eindruck wohl auch sehr gut und dürfte von deren Seite in höchstem Maße gewünscht sein. Auf der anderen Seite der CD, beim Anhören, kommt man allerdings drauf, dass dieses gesteuerte Chaos, das dauernde Pendeln zwischen Party-Penetranz und durchdachter Gesellschaftskritik mindestens genauso viele Schwächen wie Stärken bereit hält.

 

Denn irgendwie wird man in dem Studio entnommener Form nie so wirklich warm mit der unsinnigen, trinkfreudigen, bewusst prolligen Seite der Band. "Arbeit Nervt" kennt die genauso wie beinahe jedes andere Album der Band, startet mit Hört Ihr Die Signale zwar dem Titel nach politisch, besingt dann aber doch lieber in stampfend-stumpfer, dröhnend elektronischer Manier die "internationale Getränkequalität" und "Säufersolidarität", statt sich irgendetwas einfallen zu lassen, das sich anzuhören lohnen würde. Daran gekoppelt ist eine klangliche Aufmachung, die dermaßen penetrant, laut und wummernd ist, dass die teilweise bewusst militante Gangart jeglichen Spaß verliert und nur noch anstrengend anmutet. Angestrengt ist man in der Folge öfter und das oft ohne große Abstufungen, sondern einfach in wirklich bescheidener Manier. Zwar kann man sich im Falle von Dicker Bauch mit dem Beat und dem Rap weit eher anfreunden, an der inhaltlichen Bescheidenheit ändert sich aber trotzdem genauso wenig wie daran, dass wummernde Synthetik kein Erfolgsrezept ist, wenn man denn auch wirklich bewusst zuhören will. Dann ist das nämlich in hohem Maße langweilig und unspektakulär, entbehrt doch im Kern auch irgendwie der mitreißenden Energie und Spielfreude, die man von Deichkind in ihren besten Momenten gewohnt ist. Komm Rüber schleppt sich ganz in diesem Sinne so müde und lahm dahin, dass man sich, weil schon nahezu am Ende des Albums, wirklich nur mehr das Ende herbeisehnt.

 

Irritierend ist nun, wie gut die Deutschen an anderer Stelle klingen können. Einerseits ja altbekannt, dass Licht und Finsternis da immer nahe beieinander sind. Andererseits immer wieder zum Kopfschütteln, wie viel drin ist und was dann doch an vollkommener Zerfahrenheit herauskommt. Jedenfalls gibt es sie selbstverständlich, die notwendigen Ohrwürmer und Volltreffer. Arbeit Nervt ist nicht umsonst ein kleiner Hit und Bandklassiker geworden, spart sich die dröhnende Elektronik großteils und tauscht sie netterweise gegen einen trockenen, harten Beat und Basszupfer ein. Die volle klangliche Breitseite gibt es so nur im bewusst monotonen Refrain, dessen eingängige und höchst verständliche Parole auch und vor allem wegen der starken Zeilen drumherum nachhallt. Dass die Deutschen da einmal mehr mit dem Spagat zwischen Ironie und Ernst spielen, man nicht so ganz weiß, ob denn die Abrechnung mit der Arbeit nun ernst gemeint ist oder nicht, schadet dabei jedenfalls nicht. Für die Spitzenplätze reicht es hier dennoch nicht, weil zumindest in zwei Fällen noch weit besser gearbeitet wird. Closer Urlaub Vom Urlaub ist dank knackigem Riff und Sound irgendwo zwischen Disco und New Wave eine wunderbar entspannende Abwechslung zur oft zur Schau gestellten Härte der vorangegangen Songs. Und es ist auf gewisse Art der Gipfel an Melodik, den man hier serviert bekommt, der noch dazu mit seinem klischeehaften Blick auf die männliche Anstrengung im Urlaub so unumwunden dämlich und doch auch wieder nicht daherkommt, dass man zur Abwechslung mal drüber lachen kann. Mit Humor gesegnet, aber zusätzlich noch der Wahrheit nahe ist Ich Und Mein Computer, das als abgehärtet-manische Anlehnung an die minimalistische Arbeit von Kraftwerk den interessantesten Sound der LP mitbringt und gleichzeitig mit herrlich tonloser Monotonie in abgehackter Kürze die vielen Leiden aufzählt, die einem das digitalisierte Arbeiten beschert.

 

Es gibt dann aber doch auch die Momente, die einen einfach nur musikalisch ansprechen oder zumindest ihrer Rolle als partytaugliche Elektronikhämmer gerecht werden. Metro ist so ein Stück abgehackter, am Techno andockender Elektronik, das wegen ihrer erratischen, von Soundeffekten durchzogenen Art eine schwierige, aber trotzdem sympathische Dynamik mitbringt. Hoverkraft dagegen darf stolz als der Volltreffer des hiesigen Stumpfsinns thronen, kommt inhaltlich selbstverständlich nicht über seinen vielsagenden Titel hinaus, ist aber einfach mit seinem stampfenden Beat und den kratzig-schrillen Synths diese eine funktionierende Sinnlosigkeit, die man sich und der Band erlaubt. Begünstigt wird das auch dadurch, dass man die Truppe auf den übrigen Songs selten so cool im Flow hört wie hier. Weniger den Herren Rappern, sondern eher der musikalischen Leihgabe in Form von Gary Glitters Rock And Roll Part 2 ist es zu verdanken, dass auch Gut Dabei einen positiven Eindruck hinterlässt und zwischen zwei unfassbar unnötigen Skits positiv heraussticht.

 

Letztlich ist es aber so, dass auf jedes Urlaub Vom Urlaub so eine synthpoppige Grässlichkeit wie Luftbahn und auf jedes Ich Und Mein Computer sowas wie Hört Ihr Die Signale kommt.  "Arbeit Nervt" zeigt einem so ziemlich alles, was Deichkind im Laufe der 00er-Jahre so zu bieten hatten, und ist auch mit Neuling Ferris MC im Aufgebot keine musikalische Neuerfindung. In Anbetracht dessen, dass der Elektronik-Hip-Hop der Band immer schon seine Qualitäten hatte, bräuchte es eine solche Abkehr vom Bekannten auch nicht unbedingt. Was den Deutschen aber jedenfalls einmal gut zu Gesicht stehen würde, wäre ein etwas konstanterer Auftritt, ein bisschen weniger erratisches Hin und Her und stattdessen zumindest der Anflug eines roten Fadens. Der ist zwar dank der massiv elektronischen Aufmachung stilistisch irgendwie zu erkennen, inhaltlich aber komplett fehlend. Und die musikalische Aufmachung ist vielleicht etwas einheitlicher, aber genauso eine stetige Gratwanderung, die oft genug scheitert und in einer schwer zu schluckenden Mischung aus unbändiger Penetranz und stampfend-dröhnender Langeweile endet. Da wird es dann fast schon schwierig, die zwischenzeitlichen positiven Ausreißer wirklich zu feiern. Jedenfalls kann von Feierstimmung beim Blick auf das gesamte Album keine Rede sein.

 


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