The Velvet Underground - The Velvet Underground

 

The Velvet Underground

 

The Velvet Underground

Veröffentlichungsdatum: ??.03.1969

 

Rating: 7.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 03.03.2018


Der radikale Tausch von Einzigartigkeit und emotionaler Nahbarkeit - alles wegen zwei Buchstaben.

 

Das konsequente Außenseitertum ist einer der schwierigsten und undankbarsten Lebenswege, die man sich aussuchen kann. Man wird einiges an Einsamkeit, an schiefen Blicken, an mangelnder Akzeptanz und Selbstzweifeln erdulden müssen, um sich da wirklich dauerhaft einrichten zu können und nicht zwischen dem eingezogenen Schwanz und der drohenden Geisteskrankheit wählen zu müssen. Und selbst dann ist noch nicht einmal sicher, dass man irgendwann dafür gelobt wird. Gut, Velvet Underground, der Band gewordene Heilige Gral des verschroben Außergewöhnlichen, hat genug an Lob eingeheimst über die Jahre. Mehr noch, die Rock-Welt wird sich auf ewig vor diesem Namen verneigen. Die Gründe dafür sind vielfältig, sie haben aber letztlich doch ganz normale Gesichter. Während das bekannteste und prägendste davon ziemlich sicher Lou Reed gehört, irgendwo auch eine gewisse Nico herumgeistert, ist die Geschichte hinter "The Velvet Underground" eine von gerade einmal zwei eingetauschten Buchstaben: Aus Cale wird Yule.

 

Dabei macht es nicht zwingend nur dieser Wechsel vom liebevoll als "lunatic" bezeichneten John Cale zum naturbelassenen musikalischen Konventionalisten Doug Yule, dass hier zwei Alben, eben die self-titled LP und ihr noch berühmterer Vorgänger in einem der extremsten vorstellbaren Kontraste zueinander stehen. Da war die Manifestation einer Idee von "Anti-Musik", auf alle Fälle einmal das Abschwören von allem, das die Musikwelt als rein und schön bezeichnet hätte und damit unter anderem ein Monolith des Lärms wie Sister Ray. Auf der anderen Seite findet man eine Ansammlung von Songs, die man kaum anders als zahm nennen könnte. Ruhig, von Exzentrik und Experimenten beinahe komplett bereinigt und stattdessen ungekannt gefühlvoll, zudem persönlicher als alles, was einem Lou Reed bis dahin ausgekommen ist. Das schürt allerdings zwangsläufig Zweifel, allein schon wegen der Tatsache, dass "White Light/White Heat" vielleicht nicht für jeden eines der besten, definitiv aber eines der beeindruckendsten Rock-Alben aller Zeiten war. Gelebte Kompromisslosigkeit, zur Kunst erhobenes Desinteresse daran, ob die Welt bereit und offen für das Dargebotene ist, ergo ein lupenreiner Punk-Moment, bevor es den Begriff in irgendjemandes Musikverständnis gab.

 

"The Velvet Underground" ist nichts davon, weswegen es zu einem kompletten Austausch erkennbarer Qualitäten kommt. Dementsprechend regiert eine zurückhaltende Schönheit, geprägt von simpler Melodik und dem Hang zur Sensibilität bei Text, Gesang und Instrumentierung. Candy Says präsentiert einem mit genau diesen Dingen eigentlich bereits die ganze LP. Verträumt und verletztlich, zerbrechlich instrumentiert und das fast ausschließlich mit dem zupfenden Paarlauf von Lou Reed und Sterling Morrison an den Gitarren. Dass gerade da Doug Yule singt, hilft immens, allein weil seine Stimme als einzige dieser reinkarnierten Version der Band auf den Leib geschneidert scheint. Reeds kratziger, wenig melodischer Gesang kann auf dem Gebiet naturgemäß nur bedingt mithalten. Andererseits steht sein puristischer Auftritt im liebevollen Pale Blue Eyes der Albumeröffnung in nichts nach. Ist ja doch ein Multitalent. Deswegen spricht auch aus der klassischen Ballade mit ihrer folktypischen Untermalung aus ruhigen Gitarrenakkorden und simpler Tamburin-Begleitung eine emotionale Zerbrechlichkeit, die ihresgleichen sucht. Der Typ Reed begegnet einem dann aber doch eher wieder in einem antriebsstarken Folk-Rock-Track wie Beginning To See The Light, dessen lautstarker Refrain die beste Bühne für die stimmliche Exzentrik bietet, die dem Bandleader innewohnt und die ihn in vielen seiner besten Momente ausgezeichnet hat.

 

Damit wären dann blöderweise die drei besten Songs abgehakt und es bleibt das, was man gemeinerweise als Rest abtun könnte. Dieser Rest beweist immer noch formvollendetes Songwriting, aber eben auch das Fehlen genau der genialen Geistesblitze, die der Band ihre Einzigartigkeit verliehen haben. Klangliche Manipulation ist Schnee von gestern, gesangliche Extravaganzen ebenso und an der textlichen Front regiert eine gleichermaßen großartige wie unspektakuläre romantische Poesie. Das kann und muss man, so wie es die Band hier zum Besten gibt, eigentlich mögen. Nichts ließe bei den Blues-Zupfern und dem statischen Beat von Some Kinda Love oder dem hoffnungsvollen, den Dream Pop vorwegnehmenden Klang von I'm Set Free einen anderen Schluss zu, als dass hier starke Arbeit geleistet worden wäre. Doch in Relation ist die Ausbeute für ein VU-Album fast mager. Die großen Klassiker fehlen und es liegt nahe, die latente Risikolosigkeit an der musikalischen Front dafür mitverantwortlich zu machen. Dass Reed es gerne gesehen hätte, wenn die Begriffe Velvet Underground und Erfolg zueinander finden könnten, ist mehr als verständlich, der zugänglichere Sound folgerichtig. Trotzdem ist es befremdlich, so angenehme Kompositionen serviert zu bekommen von einer Band, die bis zum damaligen Zeitpunkt fast zur Gänze aus Ecken und Kanten bestanden hat.

 

Nun gut, man versucht es sowieso noch einmal mit dem Experimentieren. The Murder Mystery heißt dieser finale Hieb gegen die poppige Bekömmlichkeit, knapp neun Minuten lang und dem immerwährenden Drogenrausch der 60er entsprungen. Wie sonst ließen sich die ineinander verkeilten, komplett unverständlichen Spoken-Word-Passagen erklären, die nur dann unterbrochen werden, wenn sich Maureen Tucker und Reed ein luzides Gesangsduell über psychedelischen Gitarren- und Orgelklängen liefern? Das wirkt soweit eigentlich ambitioniert genug, will einen irgendwie ein bisschen an The Gift erinnern und klingt doch so elendiglich langatmig, unspektakulär und sinnfrei. The Murder Mystery ist einfach der falsche Song in der falschen Form am falschen Album, eine komplett unpassende Posse, die im Verbund mit den konventionellen, aber eben wunderbar harmonisch geformten umgebenden Songs grotesk deplatziert erscheint. Damit der eine Track aber nicht so allein ist, stellt man ihm noch das lächerliche After Hours zur Seite, gesungen von Tucker und das auf eine Art, die einem die mühsamsten Anwandlungen des modernen Indie-Folk in Erinnerungen ruft. Kindlich, süßlich und doch ohne irgendwelche damit verbundene wirkliche Romantik, gleichzeitig bewusst unharmonisch an allen erkennbaren Fronten, selbst der akustischen Gitarre. Verschwendete Minuten allenthalben.

 

Insgesamt kann man aber über "The Velvet Underground" nicht großartig richten, zumindest nicht in negativer Art und Weise. Dazu springen einen zu oft das großartige Songwriting von Lou Reed, seine plötzlich gefundene Vorliebe für an den Kitsch grenzende, verletzliche Romantik und die vollendete Harmonie an musikalischer Front an. Insofern sind die Vorwürfe solche, die auf höchstem Niveau vorgebracht werden. Dort zeigt sich aber, dass zwar weiterhin von albumumspannender Stärke die Rede sein kann, die legendären Minuten, die anno 1969 bereits fix mit dem Namen The Velvet Underground verbunden waren, allerdings nirgendwo zu finden sind. Verbindet man das mit dem langatmigen, bestenfalls fehlgeleiteten Versuch, die verschrobene Magie der Vorjahre zurückzubringen, ist keine weiße Weste mehr da. Die reine Songausbeute ist es aber nicht, die die dritte LP der Warhol-Schützlinge im Vergleich etwas blass wirken lässt, Moe Tucker sollte den wirklichen Grund treffend zusammenfassen: "It was good stuff, a lot of good songs, but, just, the lunacy factor was... gone."

 


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