Various Artists - A Clockwork Orange


C'Era Una Volta Il West

 

Ennio Morricone

Veröffentlichungsdatum: 20.12.1968 (??.11.2005)

 

Rating: 9.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 13.09.2019


Ikonische Westernklänge in nie dagewesener Vielfalt. Ein Meister am Meisterwerken.

 

Global betrachtet, ist kein Wort mehr über Ennio Morricone zu verlieren, weil eigentlich alles gesagt ist über ihn. Berechtigte Einwände dagegen sind, dass die Herrlichkeit des Großmeisters der Filmmusik nicht wirklich eine Obergrenze an Lobesworten rechtfertigt und dass zumindest in diesem kleinen Musikparadies bisher trotz fast 40 reviewter Soundtracks noch keiner des legendären Italieners zu diesen Ehren gekommen ist. Also eine Premiere der längst überfälligen Art, dass nun hier einmal das in den Fokus gerät, was Jahrzehnte cineastischer Musikbegleitung geprägt hat und dessen Ausnahmestatus kaum übertroffen werden könnte. Spezifisch betrifft das hier einen Film, der nicht nur, aber auch wegen eines einzelnen Instruments in jedermanns Gedächtnis verwurzelt ist, sicherlich auch ein ganz klein wenig bedingt dadurch, dass selbst der große Held des Films ausschließlich als "Harmonica" angesprochen wird. Es ist also die Rede von "C'Era Una Volta Il West", für diese Zeit typisch katastrophal in die deutsche Sprache transportiert als "Spiel Mir Das Lied Vom Tod". Der Film ist genial, was nicht in dieser Form möglich gewesen wäre, hätte Morricone nicht mit einem zumindest ebenso herausragenden Soundtrack mitgeholfen.

 

Diese Behauptung stimmt hier wohl noch etwas mehr als bei fast allen anderen Soundtracks, gehörte doch Sergio Leone zu der fordernden Art Regisseur, die vom Komponisten einfach mal so die Musik haben will, bevor noch irgendwas vom Film gedreht ist. Ein Zeugnis der Genialität Ennio Morricones ist dahingehend nicht nur, dass dabei so glänzendes Material herausgekommen ist, sondern auch, dass Leone gerade wegen dieser Qualität die Musik haben wollte, um sie während der Dreharbeiten in den entsprechenden Szenen abspielen zu können. Zurück beim Klanglichen an sich, ergibt sich ein so vielschichtiges und beinahe überwältigendes Bild, dass eine kurze Zusammenfassung mehr als nur unmöglich erscheint. Obwohl Morricone nämlich in üblicher Manier nicht auf Leitmotive als tragende Säulen des Soundtracks verzichtet und damit den Hauptfiguren mit jeweils eigenen Motiven auch musikalisch in puncto Charaktertiefe auf die Sprünge hilft, passiert das in so unglaublich vielen verschiedenen Varianten. Und das streift ja noch nicht einmal die vielen Kompositionen, die eben nicht diesen Figuren gewidmet sind.

 

Wagt man sich nun doch an eine grobe Einordnung, filtert man alsbald drei größere musikalische Brocken heraus. Da wären zuallererst jene Stücke, die wie die allseits bekannte Titelmelodie einer hymnischen, von wortlosem Gesang geprägten Arie gleichen und damit die einsamen Weiten des Wilden Westen genauso einfangen wie einen Hauch von heiler, unschuldiger Welt. Ein bisschen Heimatfilm-Feeling kann da aufkommen, wenn so C'era Una Volta Il West eröffnet und nach Edda Dell'Orsos beeindruckendem Sologesang die leicht schmalzigen Streicher plötzlich aufwallen und ein bisschen an die "Schicksalsjahre einer Kaiserin" denken lassen. Wenn dem auch so sei, ist es nichtsdestoweniger ein imposantes Spektakel, allein aufgrund dieser unfassbaren musikalischen Harmonie und der höchsten Präzision beim Ausbalancieren der verschiedenen musikalischen Eindrücke. Gerade lang genug dominiert anfangs die Mandoline, bis die Streicher sich zunehmend einmischen. Gerade kurz genug ist die Pause zwischen den beiden Gesangeinlagen Dell'Orsos.

Wenig überraschend ist es diese Stimmung, die die weibliche Hauptrolle Jill prägen sollte. In L'America Di Jill von sanften, luftigen Blechbläsern mitbestimmt, in Jill wiederum mit sparsamen Zupfern an der Mandoline und dunklen Streichertönen vielschichtiger gestaltet, nur um im Finale noch einmal in voller Pracht ausgebreitet zu werden.

 

Der zweite Teil des Kuchens gehört jene Stücken, die es schaffen, eine leichtgewichtige, fast unbeschwerte Natur mitzubringen und mit einfachen, hellen Klängen für den humorvollen Seitenhieb zu sorgen, den Leone bewahren wollte. La Posada No. 1 oder Cheyenne fallen genau dort hinein, basieren großteils auf einsamem, hellem Zupfen am Banjo, nur bedingt durch Streicher, Klavier oder dahintrabende Percussion unterstützt. Prägnanter wird dieses Motiv vielleicht noch in Sul Tetto Del Treno umgesetzt, in dem verstimmte Klavierklänge und stoisch langsame Gitarrenakkorde aufeinandertreffen, oder aber auch in Addio De Cheyenne, in dem Morricones Multiinstrumentalist des Vertrauens, Alessandro Alessandroni, sein charakteristisches Pfeifen hören lässt. Der Gipfel dessen ist aber natürlich das schräge L'Orchestracchia, das einen aus dem Nichts mit komödiantischen Klängen der Extraklasse konfrontiert. Ein bisschen Tuba, ein bisschen Kazoo, ein bisschen Akkordeon, Banjo, Violine und natürlich das klassische Wild-West-Klavier und schon ist alles beisammen für ein merkwürdiges Schauspiel irgendwo dort, wo man fast schon Polka tanzen wollte. Vielleicht auch einfach nur ein verkannter Partyhit im Wilden Westen des 19. Jahrhunderts.

 

Nun aber zum dritten und für alle, die mit diesem Meisterwerk jemals in Berührung gekommen sind, auch wichtigsten Eckpfeiler dieses Soundtracks. Denn was wäre all das hier ohne die Mundharmonika, ohne die einsamen, verlassenen, schrillen Klänge, die in Armonica umgehend für Gänsehaut sorgt und für eine der denkwürdigsten Melodien der Filmgeschichte verantwortlich ist? Diese im Nichts verhallenden, nach Verzweiflung, Rache, einem vorbestimmten Ende und Tod klingenden Töne sind nicht wirklich in irgendeiner Weise zu verbessern. Umso weniger, weil Morricone in einem Anflug grenzenloser Genialität dieses ursprünglich allein gelassene Instrument zuerst mit Streicherstakkatos, dann plötzlich mit den trockensten, rausten vorstellbaren E-Gitarrenriffs ergänzt und so für Minuten sorgt, die so unfassbar viel Atmosphäre ausstrahlen, dass schon fast lächerlich ist. Morricone hat jedes Recht, dieses perfekte Motiv an genügend Stellen wiederzuverwenden. Es liegt allein schon nahe, weil es schlicht der Soundtrack der Hauptfigur ist, doch auch die beeindruckende Art, auf die Morricone diese ikonische Vorstellung abwandelt, macht jede Wiederholung wertvoll. In L'Ultima Rantolo bekommt man es in absolut gespenstischer Weise als reines Mundharmonika-Stück präsentiert, im zentralen L'Uomo Dell'Armonica wiederum wird aus dem kargen Beginn ein zunehmend lauteres Spektakel, das zu den anschwellenden Streichern und der E-Gitarre noch pompöses Trommeln und den Choral des Titelstücks versammelt. Und Come Una Sentenza macht aus diesem Kernmotiv überhaupt noch einmal etwas ganz anderes und lässt zuerst die E-Gitarre ganz allein krächzen, durchzogen nur von langgezogenen, schrillen Streichereinsätzen, mutiert dann aber zu einem hymnischen, von der Trompete dominierten Quasi-Requiem.

 

An dieser Stelle sei gesagt, dass man sich wiederholt ins Gedächtnis rufen muss, dass einem das hier auf 27 Tracks und über einer Stunde ausgebreitet wird. Und es ist ein packendes, absolut geniales Erlebnis, trotz dieser Länge und dementsprechend vieler Gelegenheiten, einen zu langweilen. Das Eingeständnis, dass das tatsächlich ganz, ganz selten, aber eben doch passiert, muss trotzdem sein. Interessanterweise passiert das nicht gegen Ende des Soundtracks, sondern hat sich eigentlich zur Mitte erledigt. Gerade dort verfällt die Musik allerdings in eine etwas gar ereignisarme Harmonie, die einen absolut nicht beeindruckt.

Sind diese paar Minuten aber überwunden - welch Herausforderung... -, kann man sich wieder der Tatsache widmen, dass neben allem, was bisher schon Erwähnung gefunden hat, noch mehr wartet. Und weil das alles hier auszuarten droht, sei in dieser Hinsicht nur mehr auf eine, ganz spezielle Vorstellung hingewiesen. L'Attentato existiert komplett außerhalb der musikalischen Welt, die Morricone hier eigentlich abgesteckt hat. Fast fünf Minuten sind es, in denen nichts außer erratischen, unheilvollen Klavierakkorden und einer vielfältigen, abgehackten Percussion zu hören ist. Melodisch ist da natürlich gar nichts, doch die sekundenweisen Klangfetzen, die hier aneinandergereiht sind, faszinieren auf ganz eigene Art und breiten sich atmosphärisch irgendwo dort aus, wo ein klassischer Wild-West-Showdown und ein albtraumhafter Horrorfilm aufeinandertreffen. Es ist die definitiv beklemmendste Form des Spannungsaufbaus, die man sich vorstellen kann.

 

Der Rest - und es gäbe noch verdammt viel davon - ist ohnehin Filmgeschichte, weswegen es dann doch Zeit wird für einen abschließenden virtuellen Kniefall vor Ennio Morricone und seiner Arbeit. "C'Era Una Volta Il West" ist so ziemlich das Höchste, was ein Soundtrack sein kann. Ein Triumph auf so ziemlich allen Ebenen, der ein solch integraler Teil des dazugehörigen Films ist, dass allein dessen Klassikerstatus zu einem Gutteil dem akustischen Geschehen zu verdanken ist. Und dieser Soundtrack wird auch auf sich allein gestellt keinen Deut schlechter. Im Gegenteil offenbaren sich erst bei genauerem, vom Bild losgelösten Hinhören die vielen Feinheiten und Morricones unglaubliches Gespür für perfekt austarierte Arrangements so wirklich. Ganz abgesehen natürlich von seinem Variantenreichtum und der Fähigkeit, mit seinem durchaus eklektischen Arsenal an Instrumenten so viele verschiedene Stimmungen zu erzeugen und so facettenreich zu arbeiten. Ich bin mir nicht ganz sicher, wo man hier wirklich mit Kritik ansetzen sollte. Ja, es ist bei weitem nicht alles perfekt im Sinne dessen, dass man sich alles immer und immer wieder anhören wollen würde. Aber was auf diesem Planeten ist das schon? Das hier ist auf jeden Fall nahezu makellos in der Ausführung und Ausgestaltung, sodass es einen beinahe nur faszinieren kann.

 

An der Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass die Anspiel-Tipps da unten eine schwierige Übung waren, weil es ein Leichtes und auch durchaus die Qualität reflektierend gewesen wäre, einfach vier Variationen des Mundharmonika-Themas auszuwählen, nur dass das ein bisschen an der Idee des Ganzen vorbeischießt. Deswegen ist es eine Kompromisslösung geworden, damit die Vielfalt der Musik auch ein bisschen zum Vorschein kommt.

 


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