von Kristoffer Leitgeb, 05.07.2019
Überzeugende Hochglanz-World-Music als Gegengewicht zur gewohnt mäßigen Disney-Klassik.
Wer gleich an diesem Punkt den Einwand vorbringen möchte, dass Soundtracks aus dem Hause Disney, zumindest aus deren Animationsabteilung, verzichtbar und berechenbar sind, tut das mit gewisser Berechtigung. Interessanterweise ist es seit der Disney-Renaissance, die dereinst mit Arielle begonnen hat, zu einer regelmäßigen Ehre für das Studio geworden, bei den Oscars und Golden Globes für den besten Song oder gleich überhaupt den besten Score nominiert zu werden. Natürlich wissen kundige Geister, dass das noch nicht allzu viel bedeutet. Und realistischerweise ist das, was da musiziert wird, fast ausschließlich auf die Zielgruppe der Jungen und Jüngsten zugeschnitten, wenn auch mit einer Professionalität und zeitweisen personellen Qualität, dass man deswegen nicht gleich erschaudern müsste. Aber die Ansprüche sind mäßig, insbesondere betreffend der Kreativität und Originalität der klassischen Kompositionen, die in Hülle und Fülle gezimmert werden, um den Film auszustaffieren. Das ist auch der Grund, warum die Musik meist in den Filmen imponiert, für sich genommen aber blass und oft genug fehlgeleitet erscheint. "Moana" hat keinen Oscar, noch nicht einmal einen Golden Globe bekommen, ist aber trotzdem der Beweis für das Gegenteil und damit dafür, dass auch in Zeiten des Hyper-Zielgruppen-Targeting bei Disney noch oft genug stark gearbeitet wird.
In diesem Fall wie in den meisten anderen ist das ein Umstand, der einer Grundsatzentscheidung entspringt. In der Animationswelt ist es ein gern gewählter Zugang, sich dem filmischen Geschehen und dessen kulturellen Hintergründen auf möglichst plakative, wenig einfallsreiche Art auch musikalisch anzunähern. Sprich: "Cars" spielt im mittleren Westen und bekommt deswegen Country und Heartland Rock ab, "Coco" wird von Latin-Musik erdrückt und hier wurde für die passende Beschallung der endlosen polynesischen Weiten des Meeres klanglich im Pazifik angedockt. Sowas ist immer etwas billig, zumindest wenn man es gleichzeitig auf rhythmische Eingängigkeit, Mitsing-Qualitäten und leichte Bekömmlichkeit trimmt. Das bedeutet stilistische Verwässerung und kann schon einmal die Genres der Wahl in ihrem Kern beleidigen. Ob das in diesem Fall so ist, ist insofern schwer zu beurteilen, als dass die Erfahrungen mit Musik aus der pazifischen Inselwelt sehr begrenzt sind. Das hat den Vorteil, dass das für die Kompositionen verantwortliche Trio aus Broadway-Star Lin-Manuel Miranda, Standard-Komponist Mark Mancina und dem gebürtigen Samoaner und Gründer der neuseeländischen Band Te Vaka, Opetaia Foa'i, eigentlich nichts zu verlieren hat.
Diese Voraussetzungen werden zumindest dort, wo es an die Songs geht, auch bestens ausgenutzt. Die erste Hälfte des Soundtracks überzeugt dementsprechend fast auf voller Länge, findet eine großartige Balance aus World Music bzw. den regionalen musikalischen Einflüssen, dem Feeling für Showtunes, das Miranda mitbringt, und dem gewünschten Pop-Appeal, den Disney wohl jedem Beteiligten abverlangt.
Entsprechend lassen sich die besungenen Kompositionen auch in drei Kategorien einteilen. Zum einen hätten wir da atmosphärische, genuin polynesische Stücke wie die beklemmende Eröffnung Tulou Tagaloa und das großartige We Know The Way, dessen drumlastige Chants einen der Höhepunkte der LP markieren. Zum anderen wären da die unverhohlen poppigen Stücke, immer noch mit Latin- und polynesischen Einflüssen auf instrumentaler Ebene angereichert, abseits davon aber blendende Beispiele, wie man familienfreundliche, sonnige, eingängige Songs bastelt, ohne dabei irgendwann zum Speiben austauschbar und nervig zu werden. Entsprechend sind die Latin-Gitarre und die großartigen Backgroundgesänge von Where You Are ein perfekter Boden für die lebhafte und harmonische Mehrstimmigkeit des Songs. Genauso ist ein bisschen Pathos wie im hoffnungsvoll hymnischen I Am Moana (Song Of The Ancestors) keine Schwäche, wenn er so souverän und gleichzeitig emotionsbeladen verarbeitet wird. Als Dritte im Bunde wären da noch die zwei Außenseiter, die eigentlich musikalisch nichts auf dem Album zu suchen hätten. Da wäre das gemütliche, zwischen Latin und Big Band oszillierende You're Welcome, das sich zwar sicherlich eine fähigere Stimme als die von Dwayne Johnson verdient hätte, ansonsten aber einen netten Kontrast setzt. Und dann ist da natürlich Jemaine Clement, der den besten von einer Krabbe gesungenen Song seit Under The Sea zum Besten gibt und den glitzernden Glam-Sound von Shiny mit seiner exzentrischen, an Tim Curry in der "Rocky Horror Picture Show" erinnernden Performance nur noch besser werden lässt.
All das überzeugt und würde die erste Hälfte überraschenderweise zu einer herausragenden machen, hätte man sich nicht dazu hinreißen lassen, den Popmarkt noch ungleich mehr zu bespielen und die grottige Version des Hauptsongs How Far I'll Go von Alessia Cara einzubauen. Im Film etwas melodramatisch, aber zweifellos stimmig, hier allerdings ein grausam verunstaltetes Tropical-House-Debakel, das man nur wirklich schwer durchhält. Darüber vergisst man beinahe, dass auch die R&B und Rap bespielende Zweitversion von You're Welcome weniger willkommen ist, als man es sich wünschen würde. Man mag es kaum glauben, aber das sind ein Schandfleck und ein mäßiger Schwachpunkt, die die erste Hälfte wirklich runterziehen.
Was nichts daran ändert, dass die weniger ansprechende Seite des Soundtracks natürlich die von Mark Mancina im Alleingang komponierte ist. Der macht realistisch betrachtet nicht einmal einen schlechten Job, zumindest einen weit besseren als zum Beispiel Randy Newman für "Cars", versteigt sich aber nichtsdestoweniger in Klischeesounds und nur selten gerechtfertigter dramatischer Orchestration. Verstärkt wird dieser Eindruck hauptsächlich dadurch, dass Mancina sehr wohl versucht, die Lockerheit der geschriebenen Songs und vor allem die polynesischen Einflüsse auf die Musik irgendwie zu erhalten. Es wäre unfair, würde man behaupten, dass das nie gelingt. Battle Of Wills schafft es, gleichzeitig verspielt und spannungsgeladen zu klingen, kombiniert die Flötenklänge gut mit Streichern und der generell dynamischen, leichtgewichtigen Percussion. Wayfinding gerät noch heller und luftiger, während Te Ka Attacks sehr erfolgreich mit polynesischen Chants und erratischer Orchesterarbeit Aggressivität vermittelt und Sails To Te Fiti eine späte Erinnerung an die Stärken der regionalen musikalischen Prägung bietet, auch wenn da die Streicher und Bläser endgültig deplatziert wirken. Ultimativ ist sein Beitrag allerdings einer, der die LP eher in die Länge zieht, als dass er sie lohnend erweitern würde. Wenig ist schwach, ähnlich wenig sticht in einer Form heraus, dass man sich wirklich mit der Dreiviertelstunde beinahe komplett instrumentaler Musik anfreunden könnte. Dafür agiert Mancina zu harmlos und archetypisch und lässt die verschiedenen Einflüsse, die er einzubauen versucht, eher zu einer verwaschenen Mixtur verkommen, als dass klassische und Weltmusik-Elemente wirklich voll zur Entfaltung kämen.
Das ist eigentlich verdammt schade in Anbetracht dessen, wie souverän und mitunter beeindruckend diese LP startet. "Moana" ist gewaltig, wenn es nur um die Songs geht, und lässt dahingehend bei weitem nicht so viele Wünsche offen, wie man es von den kinderfreundlichen Kompositionen eines Disney-Films erwarten würde. Da bestehen keine Zweifel, dass die unterschiedlichen Backgrounds der Beteiligten einiges dazu beigetragen haben, dass hier sehr überzeugende und stilistisch ansprechende Lieder herauskommen. Speziell der Beitrag von Opetaia Foa'i und seinen Kollegen von Te Vaka sollte da wohl nicht unterschätzt werden. Dass es ultimativ nicht für mehr reicht, liegt an zwei Pop-Reinfällen und einer von Mancina in Alleinregie verantworteten instrumentalen Seite des Soundtracks, die in keiner Phase eine ähnliche konstante Stärke beweist oder irgendwann ähnlich unterhaltsam und rundum harmonisch wirkt. Als hätte man es nicht im Vorhinein gewusst, dass es bei einem Disney-Soundtrack so und nur so geht...