Marilyn Manson - Antichrist Superstar

 

Antichrist Superstar

 

Marilyn Manson

Veröffentlichungsdatum: 08.10.1996

 

Rating: 7 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 19.10.2019


Düstere Theatralik mit Hang zum Grotesken, gespenstischem Sound und fehlendem rotem Faden.

 

Nicht viele Musiker bringen es weit genug, um für einen Amoklauf verantwortlich gemacht zu werden. In der sehr kurzen Liste der Zwangsbeglückten findet sich auch Marilyn Manson, was allerdings weniger eine Überraschung, sondern eher eine logische Folge ist. Denn Manson ist die wandelnde Kontroverse, eine offene Einladung zur Empörung, ein künstlerisches Manifest, an das den Aufschrei provoziert. Und wenn das auf die intellektuelle Erleuchtung konservativer US-amerikanischer Kreise trifft, dann geht es schnell einmal rund. In den 90ern war das zumindest so und damit auch ein gewichtiger Teil des Manson'schen Erfolgsrezepts gefunden. Ja, damals musste man oft noch dämonische anklingen, albtraumhafte Videos zimmern und auf der Bühne weiß-Gott-was aufführen, um so wirklich Empörung hervorzurufen, heute reicht dafür ein unglücklich formulierter Tweet, eine kalkuliert geschmacklose Werbung oder ein schwarz angemaltes Gesicht auf einem verblichenen Foto. Da kommt auch ein Marilyn Manson nicht mehr mit, weswegen er heute kaum noch auffällt. Zu Zeiten von "Antichrist Superstar" war das noch anders, da war die Welt noch in Ordnung.

 

Oder eben auch nicht, je nach Blickwinkel. Denn dieses voluminöses Spektakel, als Rock Opera gedacht und zumeist operativ genug, um als solche durchzugehen, soll ja eigentlich eine kryptische und doch möglichst spürbare Kritik an der damaligen amerikanischen Gegenwart und so manch anderem sein. Unabhängig davon, ob das so wirklich gelungen ist, ist die LP definitiv der eigentliche Startschuss zu Mansons Weltruhm, auch wenn das Debüt schon zwei Jahre zuvor das Licht der Welt erblickt hat. Für viele wohl auf ewig der Gipfel der harten Horror-Theatralik der Band, ist es zumindest einmal die erste als ausgeformt wahrnehmbare Zurschaustellung der düsteren, verqueren Vision Mansons. Im besten Fall kombiniert diese dröhnende Riffwände, ein paar unbequem eingeflochtene elektronische und dem Keyboard entlockte Sounds, die mehr oder weniger direkt vom mitwirkenden Trent Reznor inspiriert wurden, und vor allem die eindringliche gesangliche Wandlungsfähigkeit Mansons mit unwiderstehlichen Hooks. So geschehen bei The Beautiful People, seines Zeichens der Signature Song der Bandgeschichte, gesegnet mit ikonischem Riff und gleichermaßen genialen Drums, beides zwar simpel und monoton, gerade auch deswegen aber unfassbar effektiv. Wohl aber nur halb so sehr, wäre da nicht diese Stimme, die zwischen aggressivem Geschrei, autoritärem, gepresstem Sprechgesang und in die Höhe abrutschenden gespenstischen Monologen pendelt und somit die ohnehin erdrückende Aura des Tracks multipliziert.

 

Ähnlich triumphal zeigt sich die Band abseits davon nicht wahnsinnig oft und wenn es denn gelingt, dann mit ähnlicher simpler Härte und derselben Aggressivität. Das Album beginnt richtigerweise auch unter dieser Prämisse mit der starken Irresponsible Hate Anthem, die als brachiale, mit geschmeidigem Bass gesegnete Eröffnung primär durch ein unbarmherziges Riffgewitter und Mansons lautstarkes Geschrei im Gedächtnis bleibt. Dieses Rezept, bei dem die explosive Metal-Härte im Zentrum steht, bedeutet auch beim etwas gemächlicheren Torniquet, insbesondere aber bei Little Horn und 1996 Erfolg. Es mag ein sehr einfach Modell sein, letztlich ist die Albtraumvision Mansons aber dann am stärksten spürbar, wenn man mit ihr nicht durch mehr oder weniger atmosphärische elektronische Spielereien oder dahinstolpernde Rhythmen, sondern durch die kompromisslose Wucht unablässiger harter Riffs und leidenschaftlich lauter Vocals konfrontiert wird. Kombiniert wird das noch dazu mit einer unterkühlten, mitunter sterilen Industrial-Produktion, die den Gitarren zwar zum Teil ihre Wucht nimmt, dafür aber die Szenerie umso unwirtlicher erscheinen lässt und vor allem für eine ideale Passform der diversen kurzen und stark eingeflochtenen sphärischen und metallischen Elektroniksounds und Stimmmanipulationen sorgt. Und schon kommt so etwas wie Angel With The Scabbed Wings heraus, dessen wuchtige Tribal Drums und knackiger Riff Mansons erratischen Gesang bestmöglich untermalen und auch für sich genommen verdammt gut klingen.

 

Während man das und ähnliches sehr gerne mitnimmt und auch weniger harte Rockeinlagen wie das nach Garage Rock riechende Mister Superstar in Maßen überzeugen, zeigen einem die Brüche mit dieser einfachen Gangart fast ausschließlich die Schwächen des Albums auf. Cryptorchid beispielsweise versandet als mäanderndes Industrial-Stück zwischen Mansons exzentrischen, irgendwann mit Vocoder verunstalteten Vocals und einer bipolaren Untermalung, die hier eine unförmige Spieluhrmelodie hergibt, da leblose Mellotron-Schwaden ausspuckt. Kinderfeld ist dagegen zwar fest im Rock verwurzelt, die Riffs geben sich aber betont zäh, sodass der Track über fünf Minuten in einen ermüdenden Trott verfällt. Einen solchen muss man zwar dank der Lautstärke des Gebotenen sonst nicht wirklich fürchten, diese Mixtur aus plakativen, auf den Schockeffekt fokussierten Texte und Sounds zusammen mit der eher monotonen Natur der Songs hinterlässt allerdings ihre Spuren. Entsprechend ist man irgendwann nicht mehr so wahnsinnig beeindruckt von diesem Spektakel, weil es einem trotz eines vermeintlichen Höhepunkts zum Ende des von Manson konstruierten Dreiakters nicht mehr so wirklich spektakulär klingt. Der mit dem Titeltrack eingeläutete letzte Akt findet sein überzeugendes Maximum im energiegeladenen 1996, offenbart aber ansonsten deutliche Abnutzungserscheinungen, die zwar keine dramatischen Unterschiede machen, aber eben die einsetzende Müdigkeit im Lichte der musikalischen Einförmigkeit offenbaren.

 

Vielleicht liegt diese mangelnde Begeisterung aber auch gar nicht an der Musik, sondern eher an der schwer erkennbaren roten Faden dieses Albums, dem ja eigentlich ein Konzept zugrunde liegen sollte. Nun ist es nicht so, als bekäme man nicht die Wut, das Spiel mit der einen oder anderen grenzwertigen Wortwahl - insbesondere mit bewusstem Anklang an faschistischem Vokabular - die Kritik an Konformität, Kapitalismus und, und, und mit. Doch die Geschichte vom supernatürlichen Wesen, das sich zum Rockstar aufschwingt und zum Schluss die Apokalypse hereinbrechen lässt, ist nicht grundsätzlich eine eher wirre inhaltliche Basis, sie ist auch im Laufe des Albums nur sehr schemenhaft und in einzelnen Momenten zu verfolgen. Möglicherweise liegt das auch nur daran, dass man Manson ob seiner leidenschaftlichen, exzentrischen Auftritte nicht immer Wort für Wort versteht, so oder so verliert man sich ein wenig in dieser Konstruktion.

 

Das lässt dann schon auch ein bisschen die atmosphärische Kraft des Gesamten schwinden und reduziert die Rock Opera zu einer Ansammlung von Songs, die mal mehr, mal weniger überzeugen und einen einfangen, um von Manson in diese Horrorvision hineingezogen zu werden. "Antichrist Superstar" ist also wohl etwas überambitioniert angelegt, aber deswegen trotzdem keine Enttäuschung. Oft genug erliegt man dem eigenwilligen Charme der Band und ihrer brachial monotonen Härte genauso wie ihrem namensgebenden Frontmann und dessen erinnerungswürdige, durch und durch leidenschaftliche Performance. Ob es einem nun zu viel an theatralischer Provokation ist oder ob man es doch gern etwas weniger unwirtlich hätte von der Atmosphäre her, ist dann jedermanns eigene Entscheidung. Aber das, was Marilyn Manson hier veranstalten, machen sie auf eine Art, dass man die düstere Atmosphäre spürt und die Musik trotzdem ihre unterhaltende Facette behält. Was sollte man da mehr wollen?

 


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