Led Zeppelin - Untitled

 

untitled

 

Led Zeppelin

Veröffentlichungsdatum: 08.11.1971

 

Rating: 10 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 08.09.2018


Die namenlose Perfektion auf allen Ebenen und damit nicht ein Rockalbum, sondern das Rockalbum.

 

Meine allgemeine Einschätzung ist, dass ein genredefinierendes Werk - und damit bewege ich mich ganz bewusst keinen Zentimeter von der Wortbedeutung weg - ein Amalgam möglichst all dessen sein sollte, was das betreffende Genre ausmacht. Das ist keine revolutionäre Meinung, aber es ist wichtig, weil so indirekt die schlichte Möglichkeit eines solchen Albums extrem reduziert wird. Insofern wird eindeutig zu oft von der genreinternen Bedeutung einer LP geschwafelt. Was aber nicht heißen soll, dass da nicht die eine oder andere Musikrichtung wäre, die in dieser Hinsicht recht dankbar erscheint. Punk, Reggae, Techno, das sind Genres mit einer klanglichen Spannweite, die überschaubar ist, ergo sind albumumspannende Zusammenfassungen davon durchaus möglich und ein legendäres Pionierwerk darf durchaus stellvertretend für die ganzen Nachmacher im gleichen musikalischen Gewässer stehen bleiben. Im Rock geht sowas nicht. Zu mannigfaltig die Stoßrichtungen, in die er sich entwickelt hat. Dementsprechend würde es hier mehr als in beinahe jedem anderen Genre gelten, den Aktionsradius einzuschränken und sich in Subgenres umzusehen. Gäbe es da nicht dieses eine Album mit dem klingenden Namen.

 

Pun intended! Wo nichts ist, kann nichts klingen, weswegen die einzige nicht schillernde Komponente der vierten LP von Led Zeppelin der nicht vorhandene Titel ist. Wobei sogar das nicht stimmt, da das quasi das verbalisierte Äquivalent zur visuellen Nichtigkeit des Beatles'schen White Album darstellt und insofern gerade durch den offensichtlichen Mangel ikonische Qualität bekommen hat. Das ist aber komplett nebensächlich, wenn auch die umgangene Namensfindung in der lauwarmen Rezeption für den untypischen Vorgänger wurzelt. Der war weniger rockig, als es die Welt erwartet hatte, und dementsprechend mäßig beliebt. Deswegen die hoffnungslose Zuflucht in der versuchten Anonymität. Aber der Inhalt zählt bekanntermaßen weit mehr als die Verpackung und auf dieser Ebene ist allein schon bemerkenswert, dass das namenlose Ding nicht einfach eine Vermengung all dessen ist, was für die Briten vorher so wunderbar geklappt hat. Natürlich ist der Achterpack an Songs auch das und vereint entsprechend die Blueswurzeln mit trockenem Hard Rock, dosierterer Inspiration aus dem Folk und bandtypisch makelloser und ambitionierter Produktion. So ergeben sich Songs wie Black Dog und Rock And Roll, die die LP standesgemäß und souverän eröffnen. Beide sind nicht geeignet, als künstlerische Offenbarungen angesehen zu werden, so sehr man sich über die imposante Rhythmik im Stop-and-Go-Opener mitsamt seiner A-Cappella-Passagen auch freuen kann. Besser ist sowieso der zweite Track und damit die wahrscheinlich straighteste Rockdarbietung des Quartetts seit Living Loving Maid beziehungsweise eigentlich gleich überhaupt. Das führt dazu, dass der antriebsstarke, swingende Rock 'n' Roll von Rock And Roll den wohl besten Song ergibt, dessen Titel gleichbedeutend ist mit dem Genre.

 

Doch so gern man diese Eröffnung hört und so makellos sie bei allen leisen Zweifeln am durchschlagenden Hörvergnügen von Black Dog auch ist, die beeindruckenden Facetten des Albums finden anderswo statt. Mit den folgenden Tracks wird nämlich daraus die womöglich am besten orchestrierte und arrangierte Rock-LP aller Zeiten, der man Makel vielleicht aufgrund geschmacklicher Präferenzen, nicht aber auf handwerklicher Ebene vorwerfen kann. Widmet man sich Instrumentierung, Produktion und der Inszenierung der diversen stilistischen Ausflüge, findet man ein rundum perfektes Album, dessen Reichtum an Abwechslung trotz so klar definiertem und bandtypischem Sound mit jedem neuen Track spürbarer wird.

Den Anfang macht dahingehend The Battle Of Evermore, das schon mit dem Mandolinen-Intro den radikalsten Schritt der Band in Richtung Folk bedeutet und das leichte Arrangement ohne Percussion oder Bass einer harmonischen gesanglichen Theatralik gegenüberstellt, die Plant in die höchsten Regionen seiner Stimme treibt und mit diversen Chorpassagen und Sandy Denny als Gastsängerin unglaubliche Ausdrucksstärke entfaltet. Auf der anderen Seite dieses Spektrums steht ein Footstomper wie Misty Mountain Hop, der kraftvoll dahinrumpelt und sich mit John Paul Jones' Performance am E-Piano zu einem Doppelpack mit dem folgenden Four Sticks formiert. Das wiederum macht zwar dank der Quattro-Drums von John Bonham Anstalten, rhythmisch ins Orientalische abzudriften, ist aber nicht nur dank Page und seiner kernigen Gitarre fest im Rock verwurzelt, sondern bietet auch noch den ersten Synthesizer-Einsatz der Band in der Bridge.

 

Herzstück des Albums ist aber natürlich Stairway To Heaven, das selbst auf dieser so stark inszenierten LP noch einmal eklatant heraussticht und mit seinem vielschichtigen Aufbau einen ähnlichen Prog-Touch mitbringt wie Jahre später Bohemian Rhapsody. Was allerdings Stairway To Heaven diesem und so ziemlich jedem anderen Rocksong voraus hat, ist die makellose Vereinigung so ziemlich aller vorstellbaren positiven Eigenschaften, die ein Lied überhaupt haben kann. Trotz behändem Beginn umgehend eingängig und melodisch erstklassig, schlägt man mit dem akustischen, von Flöten begleiteten Beginn und dem manischen, harten Gitarrensolo gegen Ende erfolgreich eine Brücke über das gesamte stilistische Arsenal der Band. Dass man gleichzeitig dank des verträumt-melancholischen Beginns, der perfekt arrangierten Einstiege von Bonhams Drums und Jones' Bass und dem druckvollen Ausbruch zum Ende, der auch Plant urplötzlich vom sanften Serenadenton zurück in die traditionellen Rockklänge befördert, ein Höchstmaß an atmosphärischer und emotionaler Kraft entfaltet, zementiert den Triumph endgültig. Umso beeindruckender, dass man abschließend mit When The Levee Breaks noch einmal nahtlos daran anschließt und trotz komplett anderer Machart einen ähnlich überzeugenden Auftritt schafft. Der ist definitiv dezent monoton, allerdings in dieser Hinsicht aufgrund des düsteren Grundtons passend und mit dem legendären, wuchtigen Beat von Bonham und dem mächtigen Blues-Riff ein absoluter Genuss, verfeinert durch diversen Studiospielereien, die auch die umgedrehten Mundharmonika-Parts erklären.

 

Es sind zwei Songs, die ein makelloses Quartett in absoluter Höchstform zeigen und damit exemplarisch für die gesamte LP stehen. Wie gut das unbetitelte Album wirklich ist, merkt man auch daran, dass der eigentlich ganz ordentliche Akustiktrack Going To California ein bisschen wie das Mauerblümchen der acht Tracks wirkt und so dezent gemacht ist, dass er ziemlich untergeht. Das große Spektakel spielt sich an anderer Stelle ab und zementiert die Briten als eine der besten, wohl aber als die modellhafteste Rockband aller Zeiten. Als solche haben sie mit ihrer vierten LP folgerichtig etwas geschaffen, das dem Genre wohl auf ewig als Gardemaß und Inspiration in fast allen Belangen dienen wird. Sich auch nur an die dabei zur Schau gestellte musikalische Allmacht und die damit verbundene Konstanz heranzuwagen, wird gleichzeitig den allerwenigsten Musikern gelingen. Selbst abseits solcher genrespezifischer Heldenverehrung bleibt einem aber nur ein Urteil übrig und das ist effektiv nicht mehr als eine beeindruckte Verneigung von den Herren Page, Plant, Bonham und Jones.

 


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