Father John Misty - Pure Comedy

 

Pure Comedy

 

Father John Misty

Veröffentlichungsdatum: 07.04.2017

 

Rating: 6.5 / 10

von Kristoffer Leitgeb, 21.02.2019


Schwermütige, hochpolitische und detailverliebte Pop-Orchestrierung mit ungewohnt zäher Qualität.

 

Interessanterweise kommt man bei manchen Musikern zwar nicht umhin, ihre Großartigkeit anzuerkennen, man tut sich aber gleichzeitig ein bisschen schwer zu benennen, worin genau sie eigentlich so großartig sind. Meistens hilft man sich dann mit vagen Begriffen, erklärt jemand zum herausragenden Songwriter, zum beeindruckenden Poeten oder zum Urheber musikalischer Landschaften. Josh Tillman gehört ein bisschen in diese Kategorie, weil man ihm schwer beikommen wird, wenn man nach klassisch plakativen Stärken in seinem Schaffen sucht. Das trifft umso mehr zu, seitdem er sich als Father John Misty dem Erfolg, aber auch einer gewissen musikalischen Exzentrik zugewandt hat. Fehlende sprachliche Präzision hin oder her, hört man dem Mann an, dass Großes möglich ist, wenn er sich ins Studio begibt. Allerdings hat diese Feststellung heute auch damit zu tun, dass er schon mit seinem Debüt dafür gesorgt hat, dass sich die Welt dieser einen Sache sicher ist. "Pure Comedy" dagegen ist ein weiterer Schritt in eine Richtung, die einen an sicher geglaubtem zweifeln lässt.

 

Möglicherweise wusste Tillman selbst, dass es dazu kommen könnte, was die Veröffentlichung eines eigenen Essays zur Ankündigung des Albums erklären würde. Auf alle Fälle beschäftigt sich die LP laut diesem mit den existenziellen Problemen einer Spezies, die mit nur halb ausgeformtem Hirn zur Welt kommt. Etwaige Ähnlichkeiten mit der menschlichen Spezies sind da natürlich purer Zufall und nicht intendiert. Die Sache ist aber, zumindest in der hier gebotenen Form, ernst genug, um einmal tatsächlich auf den gesellschaftspolitischen Gehalt des Ganzen einzugehen. Selten um einen zynisch-sarkastischen Nebensatz über die Makel des sozialen Lebens in seinen Songs verlegen, ist "Pure Comedy" eine Ansammlung dieser Makel auf einem Album. Wobei es viel mehr ein langes, wortreiches Lamento über diese Makel und die daraus entstehenden seelischen Konsequenzen ist. Und man käme auf die Idee, Tillman würde auch auf diesem Gebiet meisterlich agieren, würde man sich nur der theatralischen Eröffnung hingeben. Der Titeltrack ist nämlich von einer majestätischen Schönheit, gleichzeitig bis zum Bersten mit melancholischer Ernüchterung angefüllt und vor allem dank der ruhigen, dem Klavier und Tillmans Stimme überlassen Einleitung immer noch reduziert genug, um einem die Emotionen nicht in einem detailverliebten Arrangement zu ertränken. Trotzdem ist es auch eine treffende musikalische Einleitung. Denn die Soundwand, die sich ab Songmitte dank Saxophon, Streichern und Drums vor einem aufbaut, fängt zwar nicht die ruhende Schwere vieler Minuten ein, aber deren melodramatische und atmosphärisch schwergewichtige Note.

 

Die wird dem US-Amerikaner allerdings auch früher oder später zum Verhängnis. Effektiv hält die LP vier Songs lang auf grandiosem Niveau durch, bevor sie sich in einem mäandernden, undynamischen und mitunter unerwartet kitschigen Musizieren verliert. Randy Newman ist der Name, der bei etwaigen Vergleichen wohl am öftesten gefallen ist, und sowas ist nur bedingt als Kompliment zu verstehen. Denn die langgezogenen Stücke, die einem beginnend mit dem trägen, textlich übersteigert romantisierenden Birdie begegnen, lassen einen zunehmend einschlafen. Der Höhepunkt dieser Fehlkalkulation ist Leaving LA, das sich auf dreizehn Minuten einer schwerfälligen Bewegungslosigkeit hingibt, die anfangs gefühlsbetonte, aber variantenarme Serenaden eines Sun Kil Moon in Erinnerung ruft, irgendwann aber selbst dessen Vorliebe für ausschweifende Ausschlachtung minimalistischer Songstrukturen überflügelt. Entsprechend ist das dank der ungebetenen Streicher, Tillmans mitunter übertriebenem Gesang, vor allem aber wegen der komplett unerklärlichen Dauer ein Koloss, der jedes Durchhaltevermögen strapaziert.

 

Das liegt nicht zuletzt daran, dass die humorvolle Ader des Songwriters, die selbst auf dem kitschigen Vorgänger immer wieder im richtigen Moment durchgekommen ist, auf seiner dritten LP so ziemlich komplett fehlt. Der Ersatz ist zumindest zeitweise ein weinerlicher Weltschmerz, der zugegebenermaßen genau nach meinem Geschmack wäre, hätte man ihn nicht mit einer unvorteilhaften Mischung aus gleichermaßen ereignisarmen wie aufgeblasen wirkenden Arrangements ausstaffiert. Gut, es bliebe immer noch die kaum zu leugnende Hürde einer Schiller'schen Melodramatik in den Texten, aber immerhin würde die dann in lebhafterer Musik aufgehen.

So allerdings schleichen die Tracks zumindest in der Albummitte ganz ordentlich dahin. Tillmans Gabe des Arrangierens, die er hier sträflich wenig ausspielt, sorgt immer noch dafür, dass man sich zumeist in feinst ausgestalteten Songs wiederfindet, denen es lediglich an Abwechslung und Dynamik fehlt, während einem die schleppende Mischung aus Streichern, Keyboard im Hammond-Orgel-Modus und untersetzten Klavierakkorden unweigerlich irgendwann kitschig erscheint. Bedeutungsschwangere Songtitel wie When The God Of Love Returns There'll Be Hell To Pay tun ihriges zum entsprechenden Eindruck, wobei ein Song wie Smoochie trotz anders gearteter Namensgebung ähnliche Probleme mitschleppt.

 

Father John Mistys Rettung inmitten all dessen sind die besagte Eröffnung und ein kurzes Erwachen zum Ende des Albums. Während zu Anfang Total Entertainment Forever mit schnellerer Gangart und lebhafterer Instrumentierung der einzige Song ist, der die vielfältigen Klänge der beiden Vorgänger in Erinnerung ruft, schließt ein Song wie das großartig gesungene Ballad Of The Dying Man, das nebst souligem Touch mit sanftem Gospel-Hauch vor allem die lyrischen Stärken des Songwriters hervorkehrt:

 

 "So says the dying man once I'm in the box

Just think of all the overrated hacks running amok

And all of the pretentious, ignorant voices that will go unchecked

The homophobes, hipsters, and 1%

The false feminists he'd managed to detect

Oh, who will critique them once he's left?"

 

Dass sich das als bissiger Sarkasmus herausstellt, merkt man dank der schwermütigen Präsentation spät, aber man schätzt es umso mehr. Ein bisschen direkter ist es in The Memo, das seine zähe musikalische Untermalung fast gänzlich durch den starken Text wettmacht:

 

"I'm gonna take five young dudes

From white families

I'm gonna mount 'em on a billboard

In the middle of the country

I'm gonna tell everybody

They sing like angels with whiter teeth

But just between you and me

They're just like the ones before

With their standards lower

Another concert-goer will pay you to believe"

 

Doch es sind wenige Momente, in denen man die erstklassige Qualität der Zeilen, die Tillman hinaussingt, wirklich mitbekommt. Während dieser Umstand auch "I Love You, Honeybear" begleitet hat, ist es hier noch schlimmer. Unheilvolle klangliche Auskleidung und bewusst bedeutungsschwere Lyrics sorgen dafür, dass nicht etwa nur der Humor, sondern letztlich auch die Eindringlichkeit der Botschaften verloren gehen. Das befällt zumindest einen Teil der Songs, insbesondere Birdie und Leaving LA, an denen man nichts findet, das nicht schmalzig wäre.

 

In Summe ist es trotzdem verdammt schwierig, Kritik wirklich präzise anzubringen. Der Name Father John Misty steht auch auf "Pure Comedy" immer noch für sorgfältiges Musizieren mit einer Soundpalette, die barocken Charme mitbringt und potenziell ziemlich farbenfroh klingen kann. Er steht auch genauso immer noch für eine starke Stimme, der es zwar merklich an gesanglichen Varianten neben Melodramatik und Sprechgesang mangelt, die aber Wärme und Gefühl mitbringt. Und er steht für einen begnadeten Texter, der mit dem nötigen Sarkasmus jedes Thema mit gebotenem Ernst und trotzdem der nötigen Lockerheit aufgreifen kann. Allerdings mangelt es dieser LP ausgerechnet an letzterem, wobei die Ernsthaftigkeit an sich nicht das Problem wäre, würden mit ihr nicht ein zu erahnender spiritueller Zwangsoptimismus und doch überbordende Melodramatik einhergehen. So stark die Statements sein mögen, so treffsicher die gesellschaftlichen Probleme ausgewählt wurden, für jemanden mit Josh Tillmans musikalischen und lyrischen Neigungen sind es nicht die besten. Mit ihnen verliert er sich in einer bewegungslosen Einförmigkeit, die mitunter bizarr ausschweifende Formen annimmt und seine Stärken untergräbt. Es spricht trotz allem für ihn, wie überzeugend, wenn nicht beeindruckend, dieser Mann sein kann, obwohl man es mit seinem bis dahin schlechtesten Album zu tun hat.

 


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