Bob Marley & The Wailers - Exodus

 

Exodus

 

Bob Marley & The Wailers

Veröffentlichungsdatum: 03.06.1977

 

Rating: 8 / 10

von Kristoffer Leitgeb & Mathias Haden, 29.05.2015


Der politische Ballast macht sich in bluesiger Schwere bemerkbar. Marley verlässt das Studio trotzdem als klarer Sieger.

 

Man schreibt das Jahr 1988, als für Jamaika Geschichte geschrieben wird. Nicht in der Musik, dafür im Eiskanal von Alberta. Ihr wisst schon, Bobfahren und so. Die Jamaikaner hätten ganz sicher gerne Bob Marley dorthin mitgenommen, zum Fahren oder auch nur zum Musizieren. Der war aber damals schon einige Zeit nicht mehr in der Senkrechten, also ungeeignet. Geschichte geschrieben hat er dafür ohnehin schon lange vorher, denn der Reggae wäre ohne ihn nicht dasselbe, er wiederum wäre ohne "Exodus" nicht derselbe.

 

Zumindest in der Rückschau, denn ihn selbst dürfte der große Jubel und Erfolg für diese seine bekannteste LP wenig gejuckt haben. War nicht seine Art. Viel eher wird er sich zurückgelehnt und entspannt zugesehen haben, wie die Welt so tut, als wären diese legendären Songs aus heiterem Himmel gekommen. Dabei sind sie ja doch nur das Ergebnis jahrelanger Hingabe zu Reggae, Blues und Pop. Ergo passieren ihm, so vollgestopft mit Erfahrung, wenig Fehler. Aus dem britischen Exil lässt Marley auf der ersten Seite seine politischsten Songs auf die Welt los, macht seiner Wut aber doch in aller Gemütlichkeit Luft. Denn Natural Mystic und So Much Things To Say bauen auf den gemächlichen, smoothen Bass und die unspektakulären Drums der Barrett-Brüder, Marvins Gitarrengefrickel und die obligatorischen Keyboard- und Trompeten-Spritzer. Und natürlich auf den Meister selbst, der sich sein Leid von der Seele singt.

 

Also eh alles angerichtet quasi. Und trotzdem gehen Glanz und Glorie nicht so einfach von der Hand, wie man das erwartet. Denn Marley tut sich schwer, in diesem Mix aus Politik, Gelassenheit und Romantik auch nur eines davon voll zur Geltung kommen zu lassen. Er versagt nicht, doch ein Siebenminüter wie das militante Exodus kommt trotz starker Rhythm-Section nicht an der Einförmigkeit vorbei, Guiltiness dafür nicht am beschwerenden erhobenen Zeigefinger, der der Musik die Vitalität entzieht. Und dann wär da noch Turn Your Lights Down Low, in dem der Reggae-Gott plötzlich zum Stevie Wonder ohne Stimmgewalt wird, nicht wirklich dem Kitsch zu entgehen versucht. Es geht also nicht alles blendend auf, die Wailers hängen zu oft in der gemütlichen Welt des gehobenen Mittelmaßes, kurz sogar darunter. Auch weil die I-Three dazu verdammt werden, Marleys Hintergrundbegleitung zu machen und sonst nichts. Was ist denn da los? Das starke, aber keineswegs geniale Natural Mystic gar als Albumfavorit?

 

Geh wo, aber Marley lässt sich lange Zeit damit, voll einzuschlagen. Erst mit Jamming ist man sich ganz sicher, dass da noch immer die alte Stärke in Griffweite ist. Der Song ist nicht umsonst Legende, darf getrost als eine der lockersten Marley-Hymnen bezeichnet werden. Dem plötzlich ganz wachen Bass, dem endlich gelöst wirkenden Frontmann und der starken Symbiose aus Keyboard und Gitarre sei Dank. Getoppt wird's trotzdem und zwar ganz zum Schluss. Mit dem Duo Three Little Birds und One Love nämlich. Der wenig erbaulichen Stimmung der LP wird dort widersprochen, infinite Entspannung ist angesagt. Das sorgt für die Minuten, die dem Reggae am ehesten verpflichtet sind und alle Einzelteile in perfekter Harmonie miteinander vereinen.

 

Gut, er hätt einen nicht so lang warten lassen müssen. Gewollt oder nicht, der blueslastige Sound von "Exodus" macht die LP bei Zeiten ein bisschen zäh, sorgt für ein Hörerlebnis der nicht ganz so genussvollen Art. Deswegen gerät das Mithalten mit dem großartigen "Natty Dread" zur Unmöglichkeit, ein Bob Marley weiß allerdings, wie er sich aus dieser Sache aufs Allerbeste herausmanövriert. Mit ein paar Momenten absoluter Extraklasse. Das muss reichen!

 

K-Rating: 7.5 / 10

 


Die bemerkenswerte Aufholjagd des vermeintlichen Magnum Opus lässt die Sonne Jamaikas hell erstrahlen.

 

Bis hierher erstreckt sich also die persönliche kleine Hasstirade des Kollegen mit dem wohl erfolgreichsten Studioalbum des Reggae-Zampanos. Unverständlich eigentlich, ist der Bekanntheitsgrad doch in erster Linie seiner musikhistorischen Bedeutung und seinen Verkäufen geschuldet, während Natty Dread bei den meisten Kritikern seiner musikalischen Güte wegen Oberwasser genießt. Wie auch immer, wenigstens ist der geschätzte K bei seiner Bewertung einigermaßen fair...

 

...denn leicht macht es einem der große Exodus tatsächlich nicht immer, besonders auf der politischen A-Seite. Natürlich kann man sich im sanften Crescendo der Anfangstakte von Natural Mystic und seiner smoothen Natur, der schon die richtigen Worte gewidmet wurden, etwas verlieren, so richtig genießen kann man die mystische Stimmung, die immer wieder vom unpassenden 'Gitarrengefrickel' gestört wird (und auch noch The Heathen heimsuchen soll), aber nicht. So Much Things To Say gelingt mit Chor und hübscher Rhythmik schon etwas besser, so ganz will sich die Magie aber auch noch nicht einstellen. Das Herzstück einer insgesamt ordentlichen, aber recht durchwachsenen ersten Hälfte stellt immerhin das mit Abstand längste Stück, der polternde Titeltrack dar. Über Eintönigkeit im Marley'schen Kanon - zumindest auf Songlänge -, könnte man etliche Bücher füllen, hier aber ausgerechnet diesen mitreißenden Protestsong mitsamt seinen perfekten Percussions, der tollen Bläser und einem Protagonisten in Topform an den Pranger zu stellen, halte ich für etwas deplatziert.

 

Man merkt schon, so ganz will die gewohnte Einigkeit im MusicManiac-Lager diesmal nicht aufkommen. Gut so, denn wer will schon Woche für Woche über kongruente Meinungen und spießige Eintracht hinweglesen. Und es kommt auch noch schlimmer, denn den größten Bock leistet sich der werte Vorsprecher beim zu Unrecht verunglimpften Turn Your Lights Down Low, dem heimlichen Highlight der Platte, auf dem Marley gefühlvoller als je zuvor zu Werke geht und sanfte Gitarren- und Keyboardtupfer ihr Übriges zur beschaulichen Stimmung tun. An dieser Stelle der LP hat einen der Reggae-Krösus ohnehin schon ins Boot geholt, mit Genre-Highlights wie Waiting In Vain oder dem zurecht zur Hymne erkorenen Jamming. Auch der essenzielle Jamaika-Export Three Little Birds hat nach Jahren der aufdringlichen Beschallung von allen Seiten nichts von seiner optimistischen Energie verloren, funktioniert 2015 noch genauso wie 1977 und wird es auch 2428 noch tun, jedenfalls lässt sich dies aus meinem bescheidenen Sichtfeld voraussagen.

 

Bevor eine tolle, aber nicht meisterhafte LP schließlich die letzte Rille hinter sich gebracht hat, gibt's noch den vom Kollegen vorhergesagten Kitsch, nämlich auf dem moralinsauren One Love/People Get Ready, der zwar musikalisch überzeugt, textlich aber schon etwas schwierig wird. So endet Marleys berühmtestes Werk genau so, wie es begonnen hat: stark, aber nur in vereinzelten Augenblicken wirklich brillant. Gut, dass er mittendrin das Genie offenbart, dass ihn zurecht zum König des Reggae gemacht hat. Und mit den passenden Zeilen verabschieden wir uns an dieser Stelle: "Give thanks and praise to the Lord and I will feel all right. / Let's get together and feel all right."

 

M-Rating: 8 / 10

 

Anspiel-Tipps:

- Exodus

- Jamming

- Three Little Birds

- One Love


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