Ramona Lisa - Arcadia

 

Arcadia

 

Ramona Lisa

Veröffentlichungsdatum: 29.04.2014

 

Rating: 6 / 10

von Mathias Haden & Kristoffer Leitgeb, 19.08.2016


Die Chairlift-Frontfrau sucht ihr Heil in elektronischen Klangsphären.

 

Unbemerkt unterwegs sein, das hat schon was, wie ich gerade wieder feststellen darf. Daheim ein Star, im Fernen Osten ein unbeschriebenes, ungewohnt blondes Blatt. Dass man da den einen oder anderen verwunderten Blick anzieht ist wenig überraschend, wegen Autogrammen tanzt – womöglich wegen der übermenschlichen Höflichkeit in den hiesigen, japanischen Gefilden – aber niemand an. Der amerikanischen Songwriterin und Sängerin Caroline Polachek dürfte es wahrscheinlich nicht ganz so schlimm ergangen sein, nachdem sie ihrem Indie-Pop-Outfit Chairlift für kurze Zeit den Rücken zuwandte, um unter neuem Alter Ego Ramona Lisa ein Album aufzunehmen, hatte das Duo zwar immer eine treue Fanbase, doch Polachek trotz einem Songwritingcredit bei Beyoncé nicht den Bekanntheitsgrad, der mir in der geliebten Heimat zuteil wird. Aber Schluss mit Polachek, heute geht es um Lisa und ihre Vision am bis dato einzigen Solowerk. Dieses gestaltete die Künstlerin nämlich weit weg von den eingängigen Pop-Stücken ihrer Stammformation. Mit einem Laptop komplett selbstproduziert, setzt Lisa auf ihrem Debüt auf elektronische Klangsphären, sie selbst beschreibt den Sound als "Pastoral Electronic Music". Der Kollege darf sich erfreut die Hände reiben, "Cosmic American Music" lässt grüßen.

 

Dass das Ergebnis dabei deutlich besser und vielschichtiger klingt als etwa beim iPad-Experiment (The Fall) der Gorillaz ist kein Kunststück, doch lassen sich die elf Stücke von Arcadia wirklich ziemlich angenehm durchlauschen. Allen voran weiß da natürlich die dritte Single Dominic zu betören, die unter aufwallenden Keyboardsequenzen daran erinnert, dass die Musikerin nicht nur für starke Melodien gut ist, sondern diese auch mit ordentlichen Hooks in Einklang bringen kann. Auch sonst findet man an allen Ecken Keyboards, die zwischen generierten Streicher- und Kirchenglockentönen eine Vormachtstellung demonstrieren, vor. Getaway Ride gelingt es mit diesen und seiner ruhigen Stimmung ebenfalls, inspirierende Momente inmitten seiner und der auf Arcadia insgesamt fast komplexen Klanglandschaften zu beschwören. Und obwohl die Keyboards die treibende Kraft auf der LP darstellen, kann man sich lange Zeit nicht über Gleichförmigkeit mockieren. Das verdankt das Album auch den eklektischen Soundspielereien, die sich in eigenwilligen Instrumentals oder den fernöstlichen Einflüssen auf dem schönen Lady's Got Gills, auf dem eine bislang unerwähnte Kraft, die sich wie ein weiteres Instrument in das Soundgefüge einbringt, nämlich Polacheks (genug mit Lisa) Stimme, einen der großen Auftritte erlebt, manifestiert.

 

So unangenehm verschachtelt, wie sich der letzte Satz entwickelt hat, wirkt aber auch Arcadia nach unzähligen Anläufen auf mich. Lieblich in seiner Aufmachung, einmal durch die Pforten getreten aber nicht besonders einladend. Vielleicht fehlt mir einfach nur das Verständnis für elektronische, pastorale Musik, die mir den Zugang zu Nummern wie I Love Our World erschweren und mich bei anderen an eine intellektuellere, aber weniger vielseitige Kimbra denken lässt. Wie auch immer: wer ein Ohr für charismatische Frauenstimmen und vielschichtige, bunte Klangwelten besitzt und sich – wie ich selbst auch – gerne in fantasievollen Traumwolken verliert, dem sei zu Arcadia allemal geraten. Vielleicht aber besser nicht, sonst wars das bald mit der Anonymität.

 

M-Rating: 6.5 / 10

 


Ein dubioses Konzept schützt einen nicht davor, langweilig zu klingen.

 

Vielleicht macht es die Tatsache, dass die Japaner generell ned groß gewachsen sind, aber mich beschleicht das Gefühl, der Kollege ist dort drüben leicht größenwahnsinnig geworden. Oder staubt der hier die Lorbeeren eines anderen ab und ich weiß nichts davon?! Also, ich weiß jedenfalls, wo mein Platz ist, nämlich ganz unten. Was mich, wie jeder schon gemerkt haben dürfte, freimütig über die künstlerischen Abenteuer anderer, weit weniger unten befindlicher Leute urteilen lässt. Da kommt doch diese Ramona Lisa wie gerufen, diese Dame mit dem musikalischen Talent und der klaren Vorstellung, wie dieses sich entfalten soll.

 

Jetzt kann in Wahrheit keine Sau was mit dem Begriff "Pastoral Electronic Music" anfangen, was es ihr zwar ungleich leichter macht, zu behaupten, es wäre alles perfekt aufgegangen, allerdings mitnichten bedeutet, dass sie mit diesen dem Computer abgerungenen Klängen auch wirklich jemanden verzaubert. Fast lustig mutet es da an, dass der Kollege die Gorillaz ins Spiel bringt. Denn was Ramona Lisa da zusammenzimmert, klingt oft nach einer komplett spannungs- und emotionsbefreiten Version von Damon Albarns Spielwiese in ihrem Spätstadium. Lady's Got Gills könnte dank unbeweglicher Elektronik und mangelnder Rhythmik auch einfach eine Demo-Version von Empire Ants sein, die fernöstlichen Klänge gibt's ja hier genauso, wenn sie auch nur synthetischer Natur sind. Ansonsten begegnen einem längliche Synth-Passagen, die wie die seelenlose Version eines Orgelspektakels klingen. Ganz so, als würde man eine Stimme durch einen Vocoder verunstalten. Kann was hergeben, aber sanft und berührend wird das nicht mehr. Und so konkurrieren im Falle von Wings Of The Parapets die Strömungen, hier das streichelweiche Stimmchen Polacheks, dort ein unterkühltes musikalisches Korsett.

 

Wohin das führen könnte, beweist sie eigentlich nur einmal wirklich. Der Titeltrack macht den Anfang und schafft den beschriebenen Spagat, stellt sich mit Glockengeläut und schwelend-tiefem Synth-Dröhnen ein, um in himmlische Klänge zu münden, die noch dazu von Polacheks bei Gelegenheit engelsgleichem Gesang unterstützt werden. Im Verbund ist das so anziehend wie beängstigend, ein bisschen unwirklich eben.

Das war es aber, allerdings nur, weil die übrige klangliche Aufwertung eher in gewöhnlicheren Sphären passiert. Immer noch mit einem Funken St. Vincent, wenn es an die Soundcollagen um den an und für sich banalen Beat geht. Backwards And Upwards klingt deswegen mal nach einer Rückbesinnung auf kantige 8-Bit-Romantik, dann wieder nach 80er-Revival und dann wieder nach elektronischem Dream Pop. Im Kern bleibt der Track aber ein kleines Synth-Pop-Schmankerl, ähnlich wie das zurecht vom Kollegen geadelte Dominic, das die latente Müdigkeit des Arrangements auf wundersame Weise überwindet. Eine leicht hypnotische Wirkung baut sich da durch das monotone Keyboard-Stakkato auf, was zum Problem würde, wäre da nicht Polachek, die stimmlich zaubert und für beinahe unwiderstehliche Minuten sorgt.

 

Blöderweise langweilt sie einen eben doch an anderer Stelle oft genug. Da gibt es wenig zu verstehen, wenn zähe Gebilde wie Getaway Ride daherkommen, die viel zu lethargisch wirken, um noch irgendwie als Soundcollage durchzugehen. Es ist dann die Frage, ob es ihr Ziel war, einem Songs zu präsentieren, die perfekt zum Einschlafen taugen. Irgendwie zu bezweifeln. Sie will oder kann auch einfach zu selten anders. Was von beidem es ist, kann schwer beurteilt werden, wenn doch keiner eine Ahnung hat, was "Pastoral Electronic Music" bedeuten soll. Wunderbare Strategie, um kritischen Stimmen Unverständnis vorzuwerfen. Sollte das aber die Vollendung ihrer Vorstellungen sein, sollte sie doch noch einmal nach neuen suchen. Das Talent dafür wäre da.

 

K-Rating: 5.5 / 10

 

Anspiel-Tipps:

- Arcadia

- Getaway Ride

- Dominic


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