A MusicManiac's Top 500 Songs

Nach fast acht Jahren als MusicManiac und noch ein paar mehr der Beschäftigung mit Musik wird es Zeit für einen unzureichenden Versuch eines musikalischen Fazits. Natürlich kommt es, typisch für diesen MusicManiac, in ausufernder Listenform und kürt die verwegene Zahl der 500 als beste befundenen, liebgewonnensten und geschätztesten Songs.
Das eher irrsinnige Ausmaß der Liste, die stilistische Bandbreite der Songs darin und die Wankelmütigkeit im Urteil sorgen dafür, dass auch alle Sorgfalt bei der Erstellung nichts daran ändert, dass sie weder vollständig, noch für mich als Ersteller ultimativ zufriedenstellend oder richtig wirkt. Um den Titel der Liste und ihre Aussagekraft noch weiter zu untergraben, sei auch gleich angemerkt, dass sich unter viele, viele wirkliche Songs auch einige klassische Kompositionen und Soundtrackstücke mischen und ihren wohlverdienten Platz bekommen.

 

Deswegen sei gesagt, dass man diese Liste schon ein bisschen, aber tunlichst nicht zu ernst nehmen darf, sondern man viel eher ein bisschen stöbern, die Musik genießen, Spaß haben, überrascht sein, sich wundern sollte. Für Aufregung, Fragen zu meinem Geisteszustand, Beschwerden über die einen Songs und Jubelstürme wegen anderer ist aber natürlich trotzdem immer in den Kommentaren Platz.

Also dann, rein in Part 6 der unendlichen Liste!

 


375.

 

Isaac

 

Madonna

 

Confessions On A Dance Floor
2005

Entgegen dem Credo dieses nostalgischen, eher zwanghaft jugendlich wirkenden Disco-Comebacks von Madonna, das sich hauptsächlich in beatlastigem, klanglich upgedatetem Nonsens äußerst, ist mit Isaac ein Song darauf, der an ihre besten Tage und somit an Ray Of Light erinnert. Trotz Dancefloor-tauglichem Beat, hinterlässt der monoton gezupfte Riff hypnotische Spuren, bringt Madonnas weniger der brachialen Vitalität verpflichtete Stimme ein bisschen spirituelle Mystik à la Frozen zurück und sorgt insbesondere Gaststimme Yitzhak Sinwani für einen einzigartigen Touch. Der ist zwar laut Madonna nichts weniger als ein professioneller Musiker, mit seiner unbearbeiteten, ausdrucksstarken Stimme aber ein willkommener Kontrast zum synthetischen Drumherum und mit der Rezitation eines hebräischen Gedichts auch inhaltlich ein Gewinn.

374.

 

Déjà Vu

 

Eminem

 

Relapse
2009

Inmitten des kreativen Tiefpunkts des Marshall Mathers, kurz nach seiner Rückkehr aus der kreativen Pause, der Drogensucht und entsprechender medizinischer Dramen, sind tatsächlich wertvolle Minuten eher Mangelware gewesen. Fallweise brachte Eminem zum Abschluss des von ihm dominierten Rap-Jahrzehnts aber doch noch alte Stärke zum Vorschein. Mit Déjà Vu gelang das, allen trägen, stockenden Klängen aus den Händen des Dr. Dre zum Trotz, eindeutig am besten, was hauptsächlich daran liegt, dass die Erzählung von Drogenjunkie Marshall und den persönlichen Untiefen, die er erlebt hat, einer der schonungslosesten Blicke auf sich selbst ist, den Eminem im Laufe seiner Karriere hinbekommen hat. Und da spürt man die Beklemmung schon ganz ordentlich, auch und vielleicht gerade wegen des mitgebrachten Galgenhumors.

373.

 

The British Grenadiers

 

???

 

Barry Lyndon
1975

Warum, höre ich manchen fragen. Warum nicht, sage ich! OK, Militärmärsche sind ein ganz eigenes, schwieriges Kapitel, können aber schon auch verdammt gut daherkommen, wenn sie denn richtig aufbereitet sind. Der alte "Gassenhauer" der britischen Armee, The British Grenadiers, von dem keiner weiß, wer ihn verbrochen hat, ist das im Falle der Version, die der Soundtrack von Barry Lyndon hergibt, mit Sicherheit so. Zwar gibt es auch da keine aufschlussreiche Antwort darauf, wer denn da am Interpretieren ist, die militärmusikalisch merkwürdig fast leichtfüßige Umsetzung mit Flöten und dem üblichen Marschgetrommel ist aber auf amüsante Art großartig. Unter anderem auch, weil sie genauso sehr nach einem kleinen Scharmützel zwischen britischen Rotjacken und den Franzosen klingt wie nach einem Pfadfinderausflug.

372.

 

Surrounded

 

Soap&Skin

 

From Gas To Solid / You Are My Friend
2018

Bizarrerweise war die dritte LP der Österreicherin Soap&Skin beinahe so etwas wie eine Enttäuschung, war doch die emotionale, atmosphärische Tiefenwirkung der Großmeisterin neoklassischer Düsternis und elektronischer Darkwave-Exzesse nur mehr sporadisch spürbar. Dennoch blitzt die Extraklasse von Anja Plaschg noch oft genug auf. In einem kleinteiligen, klanglich vielseitigen Spektakel wie Surrounded sowie, immerhin ist das Bauen eher unwirklicher Klangcollagen ja durchaus eines ihrer Talente. Trotzdem hat der Zusammenbau des Songs laut ihren Aussagen mehrere Jahre gebraucht, bis daraus etwas wurde, was als fertig bezeichnet werden darf. Vielleicht auch deswegen, breiten sich rund um ihren flehenden Gesang mehr instrumentelle Eindrücke aus, als man für einen Vierminüter gemeinhin als gut befinden würde.

371.

 

Torches

 

Rise Against

 

Revolutions Per Minute
2003

Lange vor der heutigen, zur Routine verkommenen Durchschnitts-Alt-Rock-Härte, die dem Trupp aus Chicago einige Zeit an den Chartspitzen beschert hat, waren sie ein musikalisches Flaggschiff des Hardcore Punk in seiner bekömmlicheren Ausprägung. Dementsprechend setzt man auf dem bandeigenen Magnum Opus auch nicht auf allzu abweisende Klänge, lässt aber trotzdem wie in Torches keine Sekunde bis zu explosiven, krachenden Riffs vergehen und beweist darüber hinaus, dass man auch abseits politischer Parolen mit der richtigen Hook einen Refrain für die Ewigkeit zimmern kann, in dem man von Tim McIlraths Geschrei nicht genug bekommt.

370.

 

Handcuffs

 

Brand New

 

The Devil And God Are Raging Inside Me
2006

Die Helden vieler haupt- und nebenberuflicher Vorzeige-Emos der 00er-Jahre waren zwar immer ein bisschen zu viel der Dramatik und gleichzeitigen verweichlichten Emotionalität, in der korrekten Dosierung aber ein Garant für atmosphärisches Liedgut. Handcuffs ist der Gipfel dessen, befreit von allen lauten Post-Hardcore-Ausbrüchen und stattdessen untypisch kleinlaut. Daraus ergibt sich aber auch eine selten bei ihnen erlebte Tiefenwirkung, die von zerbrechlicher Melancholie lebt und ein spärliches, karges Arrangement mit ein bissen Melodramatik durch das Cello garniert, dem aber wiederum den schmucklosen und entsprechend tristen Gesang von Jesse Lacey gegenüberstellt.

369.

 

Laurens Walking

 

Angelo Badalamenti

 

The Straight Story
1999

David Lynchs womöglich "normalster" Film ist als eines der langsamsten, nachdenklichsten Road Movies aller Zeiten eine fast meditative, jedenfalls aber gleichermaßen aufwühlende wie seelenruhige Erfahrung. Und weil Alvin Straight darin auf seine alten Tage mit seinem Rasenmäher quer durch den mittleren Westen tuckert, um seinen Bruder nach langem, langem Schweigen wiederzusehen, fällt auch die dazugehörige Musik entsprechend aus. Sie ist also der Ruhe verpflichtet, wehmütig und doch friedlich, von einer um die Akustikgitarre aufgebauten, rustikalen Aura. Laurens Walking vereint in diesem Sinne die besten Eigenschaften des Soundtracks und ist ein herrlich entspannendes, wärmendes, einsames, romantisches Stück Musik.

368.

 

Makes Me Wonder

 

Maroon 5

 

It Won't Be Soon Before Long
2007

On the highway to pop monstrosity nahmen Maroon 5 nach dem durchschlagend erfolgreichen Debüt eine disco-infizierte und recht stromlinienförmige Abzweigung, die im Albumformat konzeptionelle Schwächen sehr stolz vor sich hergetragen hat. Die Leadsingle hat von denen aber herzlich wenig abbekommen und ist stattdessen der frühe Glanzpunkt der zunehmend glatter und seelenloser anmutenden Pop-Maschinerie von und rund um Adam Levine. Der hält sich in diesem Song für seine Verhältnisse sogar fast nobel zurück, verzichtet auf Falsett-Exzesse, übt sich stattdessen in einer Coolness, die definitiv schwierig ist, aber den funkigen Unterton, den fast maschinellen, elektronischen Klang im Hintergrund und den unausweichlichen Drive des Songs perfekt ergänzt. Das Ergebnis ist nun kein emotionales, kein tiefgründiges, kein von Substanz geprägtes, aber eines, das dem Pop im besten Sinne alle Ehre macht.

367.

 

Hitchin' A Ride

 

Green Day

 

Nimrod
1997

Als Rädelsführer des 90er-Pop-Punk schon ein wenig auf dem absteigenden Ast unterwegs, wurden Green Day auf Nimrod nicht unbedingt erwachsener, sondern eher spürbar weinerlicher, was perfekt illustriert wird dadurch, dass eine magere Melancholiker-Hymne wie Good Riddance der mit Abstand langlebigste Moment des Album sein sollte. Die Leadsingle hinterließ bedeutend weniger Spuren, war aber in Wahrheit das Beste, was dem Trio seit Basket Case gelungen ist. Hitchin' A Ride bringt mit seinem abgehackten Riff und den stetig marschierenden Drums mitsamt manischem Ausbruch in der zweiten Songhälfte viel dessen mit, was es als Rocksong, als Ohrwurm, als Pop-Punk-Volltreffer braucht.

366.

 

A Hard Rain's A-Gonna Fall

 

Bob Dylan

 

The Freewheelin' Bob Dylan
1963

Als erstes großes, mit wachem, kritischem Geist, politischem Bewusstsein und sozialpolitischer Botschaft gesegnetes Epos aus Bob Dylans Feder, sind die Spuren, die A Hard Rain's A-Gonna Fall in der Musikgeschichte hinterlassen hat, nur von wenigen anderen Songs wirklich zu toppen. Im Kern noch sehr der Einfachheit seiner frühesten Tage verpflichtet, leben die sieben Minuten womöglich selbst für einen begnadeten Texter wie Dylan etwas zu sehr von seinen Zeilen. Die sind aber in ihrem weit schweifenden, wehmütigen Blick auf die großen Tragödien und Leiden der Welt derartig zeitlos und prägnant, dass eigentlich jegliche Kritik an diesem Lied abprallt.

365.

 

Playing God

 

Paramore

 

Brand New Eyes
2009

Kurz nach dem Durchbruch letztmals in originaler Besetzung und gleichzeitig, auch wenn damals noch unbewusst, letztmals der pop-punkigen musikalischen Heimat verpflichtet, waren Paramore auf ihrer dritten LP auf dem Höhepunkt ihrer ersten Inkarnation angelangt. Zu verdanken ist das der erwachseneren, emotionaleren Seite des Albums. Geboren aus bandinternen, persönlichen Problemen, ist insbesondere Playing God ein Beleg für die atmosphärischere Machart der Songs und die spürbare Anspannung als Basis für diese. Weil über diese Veränderungen das Gespür für großartige Hooks, die Hayley Williams' Stimme ins beste Licht rücken und jeden noch so wuterfüllten Gefühlsausbruch eher als Sprungbrett für einen erstklassigen Refrain erscheinen lassen, nicht verloren gegangen ist, wurde da eigentlich alles richtig gemacht.

364.

 

Happy House

 

Siouxsie And The Banshees

 

Kaleidoscope
1980

Erste bedeutende, personelle Umbauten lagen bereits hinter den Banshees, als sie sich mit ihrer Siouxsie Sioux an vorderster Front an ihr drittes Album machten. Folgerichtig klingt schon dessen Leadsingle Happy House wie nichts, was die Briten vorher angerührt hätten. Angetrieben vom neuen Drummer Budgie und dessen afrikanischen Rhythmen ist es eine Absage an den rauen, abweisenden, oft mäandernden Goth-Sound der ersten beiden Alben. Düster mutet das Spektakel dennoch um nichts weniger an, ist doch Siouxsies helle Stimme mit Zeilen beschäftigt, die den Songtitel in zynischster Manier bearbeiten und dem dynamischen, fast eher die Talking Heads als Joy Division channelnden Sound auf beeindruckend effektive Art zuwiderlaufen. Die daraus resultierende Beklemmung ist gerade deswegen so effektiv, weil sie dieser grotesken Mischung entspringt.

363.

 

Safe & Sound

 

Taylor Swift feat. The Civil Wars

 

The Hunger Games: Songs From District 12 And Beyond
2011

Gerade mitten in ihrer kommerziell ertragreichsten Phase und auf dem Weg zum die Massen einfangenden Synth Pop, wagte Taylor Swift eine komplette Abkehr von dem, was man ihr bisher zugetraut hatte. Zusammen mit dem Folk-Duo The Civil Wars schuf die US-Amerikanerin für den Start der Hunger-Games-Reihe einen Song, der sich bis auf einen kurzen Moment jeglichen Pomp spart und stattdessen ein düsteres, karges Bild zeichnet, in dem Swift eine ihrer bis heute überzeugendsten Gesangsdarbietungen gibt. Was daraus wird, ist ein Höchstmaß an Atmosphäre, das dem entsättigten, einsamen Stil des dazugehörigen Videos perfekt entspricht.

362.

 

Light My Fire

 

The Doors

 

The Doors
1967

Als eine der großen Landmarken des Psychedelic Rock kommt Light My Fire selbstverständlich nicht ohne exzessive, über die Stränge schlagende Instrumentalpassage aus. Und sie ist trotz manischer Einlagen von Ray Manzarek an seiner Vox Continental und den damit verbundenen, schrillen Tastenschlägen definitiv zu lang, um an dem Song spurlos vorüberzugehen. Gleichzeitig bewahren die Doors aber auch über mehr als sieben Minuten ihre Energie, um zwischen jenen  unwiderstehlichen, mit Jim Morrisons Gesang gesegneten Parts zu Anfang und zu Ende, die gemeinsam die Singleversion bilden sollten, eine effektive Brücke zu bilden. Perfekt ist das Gesamtwerk deswegen irgendwie immer noch nicht, aber immerhin sind es zwei perfekte Enden, die mit einem starken Mittelpart zusammengeschweißt werden.

361.

 

Lori Meyers

 

NOFX

 

Punk In Drublic
1994

So wirklich fällt mir - selbst im Lichte eines imponierenden, sympathischen Angriffs auf George W. Bush und das damalige Amerika mit The War On Errorism - nichts ein, was ich an NOFX wirklich mögen würde. Nichtsdestoweniger war es Fat Mike und den Seinen im Laufe ihrer Karriere nicht unmöglich, die eine oder andere Zurschaustellung punkiger Erstklassigkeit zu fabrizieren. Der Eindruck, blinde Hühner hätten in diesen Momenten ein paar Körner gefunden, lässt sich zwar nicht leugnen, das macht aber eine manische Raserei wie jene von Lori Meyers um nichts schlechte. Auch dabei erspart man sich musikalische Finessen, ist aber in einem solchen Hochgeschwindigkeitsrausch und arbeitet sich mit Gastsängerin Kim Shattuck so gelungen unsauber an den Zeilen rund um die befreite Pornodarstellerin ab, dass man gar keine feine Klinge will. Im Gegenteil, so und nicht anders muss das klingen.

360.

 

I Gave You All

 

Mumford & Sons

 

Sigh No More
2009

Während sich die britischen Folk Rocker von Mumford & Sons schon auf ihrer ersten LP als damals bereits mit Jahren Erfahrung gesegnete Band auf ihre ureigene, unveränderliche Formel geeinigt hatten, blieb dennoch Platz für einen Hauch von Varianten. Eine davon und dabei definitiv die stärkste war jene von I Gave You All, einer der ruhigsten und düstersten Momente der Bandgeschichte. Lange verharrt der Song trotz einsetzenden Banjos, Klavier und anwachsendem Beat in einer schwelenden, unterschwellig wütenden, fast endzeitlichen Anspannung. Der ab Songmitte anschwellende Sound und die zunehmende Fülle des Arrangements wirkt dann auch nicht wie der übliche, melodramatische Klimax zum Ende, sondern hat beinahe befreienden Charakter und markiert eine Spannungsentladung, die eine großartige Eröffnung keineswegs zerstört, sondern gekonnt abrundet.

359.

 

The Sixth Station

 

Joe Hisaishi

 

Sen To Chihiro No Kamikakushi
2001

Auf einem ohnehin der Perfektion nahen Soundtrack herauszustechen, ist eine besondere Leistung, die gewürdigt gehört. Dementsprechend steht The Sixth Station als eines der atmosphärischsten, eindringlichsten Stücke in Chihiros Reise Ins Zauberland und in Joe Hisaishis gesamter Karriere hier. Fernab jener romantischen Anwandlungen, die viele seiner verspielteren Kompositionen prägen, ist es eine gesetzte, radikal reduzierte, trotz ihrer relativen Ereignisarmut extrem ausdrucks- und gefühlsstarke Darbietung. Die dazugehörige Szene im Film ist in ihrer bildgewaltigen Ruhe nicht zuletzt wegen dieser Musik ein emotional äußerst ambivalenter Moment, der mehr Eindruck hinterlässt, als er nach allen Regeln der Kunst eigentlich sollte.

358.

 

Americana

 

The Offspring

 

Americana
1998

Der hochpolitische Titeltrack des zweiten großen kommerziellen Höhepunkts von The Offspring wurde zu Unrecht nicht als Single auserwählt. In den endlos patriotischen US of A selbstverständlich mit Potenzial für eine Kontroverse, hätte es sich gelohnt, Dexter Hollands pointierten, fast zynischen Blick auf den American Dream auf MTV und Konsorten loszulassen, auf dass die Aufzählung der absurden Anwandlungen der damaligen amerikanischen Gegenwart mitsamt des Signatursatzes "Everything's backwards in Americana my way!" aus allen Lautsprechern schallt. Unabhängig davon hätte sich der Song allein wegen seiner Extraportion unbändiger Energie und wegen des sich langgezogen aufbauenden Drumintros eine derartige Würdigung verdient. Naja, egal, kommt sie eben hier.

357.

 

Kopf Oder Zahl

 

Jennifer Rostock

 

Ins Offene Messer
2008

In Zeiten, in denen der deutsche Pop-Markt von gewöhnungsbedürftigen Protagonisten wie Silbermond, Xavier Naidoo, Tokio Hotel, Rosenstolz oder Ich + Ich dominiert wurde, war es schon so etwas wie ein freudiges Ereignis, dass plötzlich Jennifer Rostock auftauchten und in den Charts zumindest irgendwie einen Eindruck hinterließen. Während die Band auch in den Folgejahren in zunehmend poppiger, mitunter elektronisch verstärkter, jedenfalls aber schwieriger Form kaum zu Hitlieferanten wurde, blieb ein charakterstarkes Debüt, das es bis heute schafft, stellenweise unanständig viel Spaß zu machen. Im Zentrum dessen steht der Song, mit der sich die Band bei Stefan Raabs Bundesvision Song Contest in die Öffentlichkeit spielte. Kopf Oder Zahl ist ein sehr früher, rückblickend aber auch ziemlich allein gebliebener Höhepunkt für die Band, verspürt fast punkigen Geist, auch wenn musikalisch spürbar an den kreativeren Ecken der Neuen Deutschen Welle angedockt wird. Die Gitarren dürfen aber deutlich dominieren, zumindest gleichberechtigt mit Weist und ihrer damals noch knackig-frischen Wortakrobatik.

356.

 

Survive

 

Rise Against

 

The Sufferer & The Witness
2007

Rise Against dürfen noch einmal, diesmal aber in bereits deutlich verfeinerter Form. Während die Beats pro Minute kaum zurückgedreht wurden, hat die Produktion ein merkliches Upgrade erfahren. Das macht den Song zwar weniger aggressiv, bringt McIlrath aber auf einen stimmlichen Höhepunkt, während um ihn herum immer noch ein kraftvoll punkiges Feuerwerk gezündet wird. Und weil man sich dabei zumindest in jener Version, die manch Glücklicher auf seinem Album finden durfte, mit einem langgezogenen, endlos atmosphärischen Intro perfekt auf den Energieschub einstimmt, danach die Perfektion der ureigenen hymnischen Refrains praktiziert, ist man rundum begeistert.

355.

 

The Battle Of Evermore

 

Led Zeppelin

 

Untitled
1971

Selten hat der Rock ein so prägendes, in vollendeter Brillanz erstrahlendes Werk gewidmet bekommen wie jenes, das Led Zeppelin in einer antikommerziellen Anwandlung und als Absage an in die Band gesetzte Erwartungen ohne Namen veröffentlichen ließen. Dass alles so perfekt an seinem Platz sein kann, alles so reibungslos klingt, sich Kreativität, Ambition und tatsächliche Fähigkeit so ideal im Gleichgewicht sein können, ist kaum vorstellbar. Das legendäre Quartett hat es jedenfalls geschafft und das mit einer gleichzeitigen stilistischen Bandbreite, die zwar nicht bahnbrechend war, definitiv aber imponiert. Sonst ließe sich auch nicht erklären, dass einer der Glanzpunkte der LP so etwas wie The Battle Of Evermore und damit ein maßgeblich von der Mandoline bestimmtes Folk-Stück sein kann. Es ist aber so, obwohl Maestro Jimmy Page angeblich erstmals eine Mandoline in der Hand hatte und Robert Plant austesten wollte, wie samtweich und hoch er scheine Stimme eigentlich erscheinen lassen kann. Wenn die gleichen Leute, die sich davor zu maßgeblichen Helden des Hard Rock entwickelt haben, das auch hinkriegen, ist eine Verbeugung angebracht.

354.

 

The Same Deep Water As You

 

The Cure

 

Disintegration
1989

Der zweite Teil der erst in der Retrospektive zur Trilogie erklärten Zurschaustellung der depressivsten Seiten Robert Smiths macht seiner Stellung alle Ehre. Mit Ausnahme des Lovesong findet sich keine positive Gefühlsregung auf diesem Album, die nicht im Verlauf eines Songs in ihr verzweifeltes, sehnsüchtiges, hoffnungsloses Gegenteil verkehrt würde. Anders als Jahre zuvor auf Pornography passiert das hier zwar mit weit mehr grenzwertiger Romantik und produktionstechnischem Glitzer, wenn man ihn nicht unbedingt will. Die vernichtende Gesamtwirkung bleibt davon jedoch fast unberührt. Überhaupt in einem Song wie The Same Deep Water As You, der sich über schwerfällige neuneinhalb Minuten trotz alles ummantelnder Keyboard-Schwaden und stetem Regen im Hintergrund jeglichen klanglichen Exzess und jede süßliche Anwandlung spart. Stattdessen ist es ein Song, der ob seiner Länge und Gleichförmigkeit zum Versinken in Smiths düsterer Kreation zwingt wie kein zweiter auf dieser LP.

353.

 

Guilty All The Same

 

Linkin Park feat. Rakim

 

The Hunting Party
2014

Da Totgesagte länger leben, war es auch Linkin Park irgendwann vergönnt, ihren mitunter grausigen, jedenfalls aber kaum überzeugenden stilistischen Wanderungen zu entkommen und wieder einmal zu einem gesunden Maß an Härte und Aggressivität zurückzufinden, während Elektronik und Studiomanipulation in den Hintergrund traten. Weil das damals gar so überraschend war, zündete Guilty All The Same als wuchtige Rückkehr umso mehr. Der Song beeindruckt mit einem formlosen, irgendwo zwischen Garage Rock und Thrash Metal liegenden Intro, dem darauffolgenden atmosphärischen Anschwellen von Klavier, Drums und drückenden Riffs und letzlich auch mit dem ganzen Rest, der nicht daran denkt nachzulassen und stattdessen die Band inklusive Gastrapper Rakim in Bestform zeigt.

352.

 

51st Anniversary

 

The Jimi Hendrix Experience

 

Purple Haze
1967

Eventuell lässt es sich dadurch begründen, dass 51st Anniversary deutlich weniger als die meisten frühen Songs der Jimi Hendrix Experience die manische Gitarrenkunst des Jimi Hendrix in den Mittelpunkt rücken, stattdessen ungewohnt textstark und atmosphärisch gerät. In Wahrheit ist es aber eine Schande, dass der Song 30 Jahre warten musste, um als Bonus Track auf einem Rerelease des ersten Experience-Albums zu landen. Bis dahin war ihm nur ein Schattendasein vergönnt als B-Side von Single Purple Haze. Und weil das ein verdammt undankbarer Kampf gegen eine erstklassige Machtdemonstration Hendrix' ist, mangelt es an Anerkennung für diesen lockeren Groove, für Hendrix' starke Auseinandersetzung mit der Idee von Ehe und Langzeitbeziehungen generell, für einen perfekt abgerundeten Song.

351.

 

Hier Kommt Alex

 

Die Toten Hosen

 

Ein Kleines Bisschen Horrorschau
1988

Nur echt mit Beethovens Neunter und dem gequälten Schrei von Gitarrist Kuddel im Intro, ist der Opener zur fünften LP der Toten Hosen ein glorreicher Moment für die Band, der ihr auch erstmals ein wirklich großes, öffentliches Echo brachte. Wie das Album in seiner Gesamtheit auch einer Inszenierung von "A Clockwork Orange" gewidmet und damit dem zugrundeliegenden Stoff verpflichtet, ist es eine perfekte Vorstellung von Hauptfigur Alex - nur in Stanley Kubricks Film auch mit einem Nachnamen, DeLarge, versehen - und ein ziemlich makellos inszenierter Song, dessen von Campino in leidenschaftlicher Manier gesungener Refrain ewig nachhallt.


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